Regisseur Rolf de Heer, der mich schon mit „Bad Boy Bubby“ ebenso ungewöhnlich wie vorzüglich zu unterhalten wusste, lieferte 2003 den australischen Low-Budget-Thriller „Alexandra’s Project“ ab, der ebenfalls für ein ungewohntes Filmerlebnis bürgt.
Es ist schwierig, etwas zum Film zu schreiben, ohne die Spannung des sehr ruhigen, ausgedehnten, an der Grenze zur Langatmigkeit inszenierten Anfangs nicht zu verderben: Der Zuschauer bekommt eine weiße, australische Durchschnittsfamilie präsentiert, wobei das Hauptaugenmerk zunächst auf dem Ehemann Steve (Gary Sweet) liegt, ein beruflich erfolgreicher, von sich selbst eingenommener, überheblicher Kotzbrocken, der glaubt, eine glückliche Ehe mit seiner Frau Alexandra (Helen Buday) und den gemeinsamen beiden Kindern zu führen. Er hat Geburtstag und erwartet nach Feierabend eine Überraschung, die er auch bekommt, allerdings ganz anders ausfiel, als er erwartet hatte. Alexandra hingegen scheint nicht halb so glücklich zu sein wie ihr Mann, was ebenso in zahlreichen Szenen angedeutet wird wie die Planungen ihrer Überraschung - ohne dass der Zuschauer erfährt, was genau sie vorhat.
Als Steve und der Zuschauer gleichermaßen mit der bösen Überraschung konfrontiert werden, ist man mittendrin in einer tiefen Ehekrise, die auf ihrem Höhepunkt angelangt ist und ein elementares Kommunikationsproblem zwischen der unglücklichen Alexandra und dem ungläubigen Steve offenbart. Alexandras Überraschung wird zu ihrem persönlichen Rachefeldzug, für den sie eine räumliche Distanz zu Steve wahrt, ohne die sie ihr Vorhaben nicht hätte umsetzen können und die gleichzeitig bezeichnend ist für die Unfähigkeit, miteinander offen und konstruktiv zu kommunizieren. Was dabei zunächst recht harmlos, aber bereits unheilschwanger beginnt, steigert sich mehr und mehr in einen abgrundtief bösartigen Psychotrip, eine Tortur sondergleichen für Steve einerseits, einen kaltblütig ausgekosteten Triumph für Alexandra, die sämtliche Register zieht, andererseits. Im Laufe dieser Entwicklung dürften die Sympathien des Zuschauers zugunsten Steves umschlagen oder zumindest deutlich werden, dass das Drehbuch sich nicht eindeutig auf eine Seite schlägt, sondern auf überspitzte Weise die seelischen Verletzungen, die sich Paare gegenseitig zuzufügen vermögen, auf erschreckende Weise dokumentiert. Einseitige Schuldzuweisungen wären da unangebracht, denn so unsympathisch Steve anfänglich auch erschien, zeugen doch viele Vorwürfe Alexandras von einer persönlichen Sinnkrise, die er in diesen Ausmaßen vermutlich nur schwer hätte erahnnen können. Er muss einsehen, dass seine glückliche Ehe lediglich eine Fassade war, die nicht bröckelt, sondern mit einer Abrissbirne eingeschlagen wird. Letztlich wird ihm dadurch jegliche Lebensgrundlage entzogen, was vermutlich schwerwiegender wirkt als der Tod.
Bei all dem baut de Heer eine kammerspielartige, beklemmende Stimmung auf und verzichtet fast gänzlich auf Ablenkungen wie künstlerische Kameraexperimente, Filmmusik, ausgefallene Schnitttechniken etc., er konzentriert sich puristisch auf das einseitige Duell zwischen Eheleuten – und auf die Leistungen seiner Hauptdarsteller. Helen Buday, zum Drehzeitpunkt 40 Jahre alt, lässt er emotionale Facetten von Apathie und Verbitterung über Wut und Häme bis hin zu Gehässigkeit und Lust durchleben, was sich, verstärkt durch Make-up-Arbeit, in ihrem Antlitz wiederspiegelt. Gary Sweet wird innerhalb von eineinhalb Stunden vom kraftstrotzenden Karrieretypen zum weinerlichen, gebrochenen Mann. Beide überzeugen in ihren Rollen, wenngleich die deutsche Synchronisation nicht immer ganz optimal ist. Im Originalton vermute ich einen Schuss mehr Authentizität. Was Ganzkörper-Nacktszenen betrifft, sind beide „gleichberechtigt“ und zeigefreudig.
Leider schafft „Alexandra’s Project“ nicht den Absprung zum rechten Zeitpunkt. (Achtung, Spoiler:) Als Steve bemerkt, dass er aus seinem eigenen Haus nicht mehr herauskommt, hätte man ein stimmiges, dramatisches Ende mit einer bösen Pointe gehabt. Alles, was danach kommt, ist überflüssiges Streckmittel und wirkt aufgesetzt. Das hätte man sich besser gespart. Zudem darf natürlich der Realismusgehalt des Films angezweifelt, denn dass eine frustrierte Ehefrau so akribisch einen derartig komplexen Rachefeldzug plant und nahezu pannenfrei ausführt, halte ich glücklicherweise für sehr unwahrscheinlich, wenngleich sie natürlich fremde Hilfe in Form des Nachbarn hatte.
Etwas Sorge bereitet mir, dass vielleicht nicht allzu deutlich wird, wie sehr Alexandra ihren Selbsthass auf Steve projiziert und für manch unreflektierter Zuschauer bzw. Zuschauerin gar Vorbildfunktion einnehmen könnte. Diese Befürchtung wiederum ist aber ein eindeutiges Indiz dafür, dass mir „Alexandra’s Project“ durchaus an die Nieren ging, nicht nur das, mich verblüfft hat und hat leiden lassen. Insofern ein unterm Strich beunruhigender, intensiver Thriller, der manch einen mehr zum Nachdenken anregen dürfte, als ihm lieb ist.