Ich kümmere mich ja eigentlich nurmehr um die kleinen Filme, die man dem Vergessen entreißen sollte, aber in einem Fall wie „The Substance“ mache ich gern mal eine Ausnahme, wenn ich mich denn schon für etwas Neues ins Kino verirre.
Selbst die Presse stimmt in diesem Fall mit ein: das ist interessant, was Coralie Fargeat da zusammengebraut hat, Showbiz-Satire meets Bodyhorror, dabei immer auf die Zwölf. Wer kann so etwas schon noch liefern?
Ich bin gewillt, mich der generell positiven Presse anzuschließen, denn visuell lässt lässt die französische Feministin hier gewaltig die Kuh fliegen. Allein dieses Asset verleiht dem Film eine beachtliche Sogwirkung, die genauso abhängig macht wie die „Substanz“ im Film.
Erzählerisch haben wir es hier mit einem alten Hut zu tun, zumindest der Kernplot: die alternde Schauspielerin und Fitnesshupfdohle, die zwar ihren Körper mit 50 noch bemerkenswert im Griff hat, aber eben nicht die männlich dominierte Führungsetage samt Geldgebern von Hollywood und allen angeschlossenen TV- und Streamingstationen. Selbige erweist sich als kurzsichtig, sexistisch, geil, eklig und feige, was den Schluss zulässt, dass „jung&schön“ wohl die einzige Basis für die holde Weiblichkeit in diesem Klima ist. Als sie ihren jahrelangen Job als Aerobic-Vorturnerin verliert, fällt Elizabeth in ein tiefes Loch von Marianengrabenausmaßen. Jobangebote bleiben aus, ein Sozial- oder Privatleben besitzt sie nicht, weil sie sich total für den Erfolg den Geboten ihrer Arbeitgeber unterworfen hat und selbst ihr luxuriöses Apartment ist mehr eine Huldigung an sich selbst.
Nach einem halbwegs glücklich verlaufenen Autounfall, steckt ihr dann ein Pfleger eine Nachricht in die Tasche, die zu einem Kontakt mit den Machern hinter „The Substance“ führt – welche Lizzie dann schließlich auch zu probieren gewillt ist, nachdem sie einen letzten Versuch auf freundlichen menschlichen Kontakt durch ihre perfektionistisch bedingte soziale Unfähigkeit hat verfallen lassen.
Was diesen „Pakt mit dem Teufel“ so ungewöhnlich macht, ist, dass diesmal kein Fingerschnippen ausreicht, es ist auch hier ein langer harter Weg bis an den Abgrund. Ihr Kontakt zu den Machern ist ein anonymes Postfach in einem seltsam aseptischen Raum in einer heruntergekommenen Lagerhausgegend, in den sie quasi "einsteigen" muss. Ihr „Starter-Set“ offenbart schon, dass dieser Weg kein leichter sein wird, denn Spritzen, Kanülen und enorm sparsame Handhabungsbeschriftungen deuten schon an, dass man wirklich entschlossen sein muss, um dieses Vorhaben anzugehen.
Auch bringt die forcierte Zellteilung durch einmaliges Aktivieren noch andere aufwändige Dinge mit sich, aber bis das dann soweit ist, reißt Demi Moores Rücken schon der Länge nach auf und gebärt die versprochene neue Version ihrer selbst : eine zweite, jüngere Elizabeth, jetzt dargestellt von Margaret Qualley.
Und damit geht die Arbeit erst los, denn jede der beiden Elizabeths muss die jeweils andere am Leben erhalten, mit Nahrung versorgen und nach exakt sieben Tagen ihre wache Existenz für eine Woche aufgeben. Eine Woche alt, eine Woche neu, das ist der Preis, fixiert mit ureigensten Extrakten aus der Wirbelsäule.
Darauf geht Tinseltown natürlich steil und in kürzester Zeit hat Elizabeth ihre Show wieder und präsentiert sie nun angepasst als ultramoderne Trainingsshow im potentierten Pornomodus, das „Showgirls“ der 2020er.
Es ist ab da keine Überraschung mehr, dass eine zerrissene Figur, deren Existenz in zwei Menschen aufgeteilt wird, die aber eins sind, nicht eben Geschlossenheit zeigt, wenn es darum geht, für jemanden da zu sein und sei es auch man selbst. Schon bald attackiert die Jugend das Alter, fordert mehr Raum für sich, verschiebt sich die Balance. Und der fein ziselierte Pakt gerät ins Wanken, das Kleingedruckte kommt ins Spiel und Ichbezogenheit und Selbsthass lösen eine zerstörerische Lawine aus.
Im exzessiven Finale schließlich schlagen die Wellen übereinander. Body Transformation, organischer Zerfall, Mutationen, Blutbäder, brachiale Kämpfe mit sich selbst und der Missbrauch des eigenen Körpers, hier kommt alles zusammen, bis an die Schmerzgrenze und weit darüber hinaus.
Fargeat kennt da kein Zurückzucken, nutzt die volle Palette, kreiert ihren eigenen Frankensteinmythos. Wer denkt, der Plot erinnere ihn im Wesentlichen an Zemeckis‘ „Der Tod steht ihr gut“, dann stimmt das, nur eben nicht so grob auf Humor gestrickt, sondern persönlicher und individueller gestaltet, mitunter grotesk und überzogen präsentiert, aber immer mit einer tragischen und persönlichen Note versehen, der dem unrealistischen Treiben auch in der Mutantenmonstershow des Finales noch einen Hauch humaner Grundierung lässt.
Dass das alles nicht ganz ernst gemeint ist und gleichzeitig doch, beweist schon der bunte Strauß an Verweisen, den Fargeat im optischen und narrativen Erzählrausch in den Film montiert hat, hier finden sich Bezüge zu Dutzenden von Horrorfilmen, vom Cronenbergschen Umgang mit dem Bodyhorror im sterilen Badezimmer bis zu offensichtlichen Inspirationen bei Kubricks „The Shining“, der mit roten Korridoren, bekannten Teppichmustern und ebenso karmesinfarbenen Baderäumen grüßt, nicht zuletzt mit einer neuen Version der Frau aus Zimmer 217. Zwischendurch scheinen wir durch Scheinrealitäten David Lynchs zu fahren. Jekyll und Hyde grüßen hier ebenso wie „Das Bildnis des Dorian Gray“, genauso wie die Intensität von Abhängigkeiten aus „Requiem for a Dream“ hier einfach mal in drastische Bilder umgesetzt wird. Das Finale schließlich zitiert erst „The Fly“ und später dann „Carrie“, aber die Liste der Inspirationen ist sehr lang und kann noch beliebig fortgesetzt werden.
Was nicht dabei untergebracht wurde, ist leider irgendeine neue Erkenntnis, stattdessen arbeitet sich der Film an der bekannten Form der Hollywoodsatire ab, was zum Erfolg nötig ist und was es einen kosten kann, die Selbstaufgabe und die Schattenseiten des Ruhms. Das alles wird rekapituliert und visuell meisterhaft als ein abwechslungsreicher Bilderbogen präsentiert. Dabei rückt die feministische Kritik hier etwas an die Seite, zu grob umrissen ist Dennis Quaids schmieriger Ekelproduzent – aber vielleicht gefällt sich der die Regisseurin gerade an dieser bildhaften Offensichtlichkeit. „The Substance“ ist nicht wirklich subtil, aber sie ist vielschichtig interpretierbar, kann aber auch leichthin beiseite geschoben werden, als oberflächliche Aufbereitung visueller und geschmacklicher / geschmackloser Reize – aber letztendlich ist es auch das, was die Film- und TV-Industrie bisweilen ausmacht. Und die Schauspielerei oder die Weiblichkeit erweist sich in dieser Figur sowieso als ihr schlimmster Feind, der eine geformte und gewachsene Identität abhanden gekommen ist.
Mag der Plot nicht wirklich innovativ zünden, ein sensorisches Fest ist Fargeats Arbeit geblieben, das Echo ihres letzten Films „Revenge“, eines Rape&Revenge-Films, ist hier noch häufig spürbar. Demi Moore – die hier wie Qualley in einigen Szenen komplett blank zieht – bietet eine Höllenshow auf, mal intensives Personaldrama, mal überdrehtes Overacting, während Qualley als giergeplagte junge Version die Fehler nicht wiederholen will (oder gerade das tut, das wird nicht klar).
Das provoziert immer wieder ein Glucksen und Giggeln, lässt Lacher zu, geht aber in einigen Sequenzen auch deutlich über die übliche Schmerzgrenze, wenn die destruktiven Triebe die Auflösung des Individuums und der Persönlichkeit vorantreiben. Es bedarf schon eines stabilen Magens, wenn man kein Horrorafficionado ist, um das wertzuschätzen. Am Ende wirkt der Film abgerundet, aber nicht vollumfänglich sättigend – aber manchmal kann auch eine Mischung aus Oberflächenreizen meisterhaft sein, wenn Van Gogh sie auf die Leinwand bringt. Oder eben der Typ mit der Kettensäge. (8/10)