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Der neue Gothic. Einstmals lag er wie ein schwarzer Mantel wärmend über einer ganzen Subkultur, nun findet er sich als heimatloser Geist wieder, rastlos streunend zwischen kühlen Hochglanzfassaden, geklammert an die Lost Places der Zivilisation, gegen seinen Willen wiedergeboren in eine Zeit des kulturellen Mikrozerfalls, in der es eher um inszenierte Individualität geht als um Szenezugehörigkeit. Wie zum Teufel konnte ausgerechnet 2024 die Stunde der Wiedergeburt der Krähe werden?

Als James O'Barr vor mehr als vierzig Jahren begann, die Comicfigur „The Crow“ zu entwickeln, immer noch voll des seelischen Schmerzes ob des Unfalltodes seiner Freundin, wusste er zumindest, woran er sich klammern konnte. Krähen, Katzen und die Erinnerungen an ein weißes Pferd, verendend im Stacheldrahtzaun, wurden zu seinen Navigatoren durch eine düstere Parallelwelt, die nach dem Abbild der damals herrschenden New-Wave- und Gothic-Strömungen entstand. Wenn er selbst als Sterblicher schon nicht die Zeit zurückdrehen konnte, so war es ihm zumindest möglich, mittels der ihn umgebenden Einflüsse ein übernatürliches Alter Ego zu erschaffen, um den Schmerz zu absorbieren und als Munition gegen das Böse einzusetzen. Keine Punks und Rowdys, kein alkoholisierter Autofahrer... das Böse lag in der Machtlosigkeit gegenüber dem Lauf des Lebens selbst.

„The Crow“ von 1994 war im Grunde so etwas wie die perfekte Verfilmung von O'Barrs Vision und Brandon Lee die ideale Personifikation der Krähe. Es war nicht nur Lee, der Schminke unter seinem öligen Haar trug, mitsamt eines Kostüms, das ihn zur Ikone der Goth-Kultur machte. Die gesamte Stadt, durch die er streifte, war ebenfalls maskiert... mit brennenden Tonnen, glänzendem Asphalt und einem Rundfenster, das einen dunkelromantischen Ausblick lieferte auf eine immerschwarze Nacht. Eine Comicverfilmung im ursprünglichen Sinn war da entstanden, ein verdrehtes Märchen, das sich der Realität mit jeder Faser verweigerte, so wie es bereits die Vorlage tat. Regisseur Alex Proyas, der diese Stadt der Träumenden zum Leben erweckte, würde gleich in seinem nächsten Film eine weitere solche Stadt aus der Taufe heben, die Prä-Matrix-Simulation „Dark City“.

Nach einer Ewigkeit in der Entwicklungshölle ist nun also das Remake von „The Crow“ da. Ohne jedes Gefühl für Timing ins Licht gepresst, weil eben raus muss, was raus muss. Geworden ist es genau das, was es dieser Tage werden musste: Eine Adaption mit dem vorhersehbaren Ablauf einer Origin-Superheldengeschichte, fad gewürzt mit dem Weltschmerz der Vorlage, hadernd mit den eigenen Ursprüngen und erstickt von den Stilmitteln moderner Actionfilme.

Bill Skarsgård, dessen Clownsschminke ihm womöglich auch diesen Job verschafft hat, bleibt in der Titelrolle der einzige Gothic-Repräsentant, während derartige Einflüsse an dem klinisch sauberen Look um ihn herum einfach abperlen. Und selbst der Hauptdarsteller ist für zwei Drittel des Films lediglich ein verlorener Teenager im Körper eines Mittdreißigers, dessen äußere Erscheinung in etwa dem modischen Ideal eines amtierenden deutschen Nationalspielers entspricht, samt krakeliger Körperbemalung und exzentrischer Kurzhaarfrisur. Skarsgård kämpft sich mit Shoegazing-Technik durch eine Scheinrealität, die zwar nicht wirklich echt wirkt, aber auch nichts Fabelähnliches an sich hat wie die Vorlage. Sie erscheint lediglich überstilisiert, so wie das neue, ästhetische Actionkino, das sich aus den Grundlagen des Filmschaffens von John Woo entwickelt hat. Anstatt von Tauben flattern nun eben Krähen unter dem wolkenverhangenen Himmel empor und werfen flüchtige Schatten auf die rostigen, von Gras überwucherten Schienen einer ehemaligen Bahnstation, eine Kulisse, so klischeehaft, dass sie fast schon von einem Katatonia-Albumcover abgekupfert sein könnte. Sami Bouajila hat als Tourguide aus dem Zwischenreich sehr viel mit der Rolle von Laurence Fishburne in „John Wick 4“ gemein, so wie die ästhetische Maßstäbe bildende Actionreihe von Chad Stahelski überhaupt einen enormen Einfluss auf die Regie von Rupert Sanders auszuüben scheint. Superzeitlupen, Luftaufnahmen einer leblosen Stadt, als zentrales Action-Setpiece dann schließlich ein Tempel der Künste, in dem Scharen von anonymen Gegnern fachgerecht filetiert werden, bis sich die weißen Hemden unter den schwarzen Anzügen vollständig rot verfärbt haben. Brutalität und Exzess im Zeichen der Ästhetik, leider jedoch nicht im Zeichen der Rache und Vergeltung. Die Krähe bleibt stumm, während der Bodycount steigt. Doch der Bezug zum Hochglanzspektakel „John Wick 4“, der ja auch durch Skarsgård selbst gefestigt wird, kommt nicht von ungefähr; schließlich weist der wiederum viele Parallelen zu „Matrix“ auf, so wie das Original ein Fingerzeig auf „Dark City“ war. Hier schließt sich der Kreis.

Aber „The Crow“ will nicht einfach hohles Actionkino sein, also mischt er auch viele der Zutaten mit ein, die in den übernatürlich-religiösen Horrorthrillern der 90er zugegen waren, von „Stigmata“ bis „End of Days“, von „Resurrection – Die Auferstehung“ bis „Dämon“, von „Die neun Pforten“ bis „Im Auftrag des Teufels“. Nun ist jemand wie Danny Huston ja durchaus dazu in der Lage, eine diabolische Präsenz zu erzeugen, aber wenn er seinen Opfern tödliche Worte einflüstert und diese sich unter Hypnose dem Selbstmord hingeben, hat man es mit einem einfachen Gimmick zu tun, für das man eben keinen Danny Huston braucht, sondern lediglich ein paar Kontaktlinsen und blutige Effekte. Kein Vergleich zu der Agonie, mit der Michael Wincott damals seinen Racheengel bezirzte; zwischen Skarsgård und Huston bleibt es erschreckend unpersönlich. Nicht nur auf Handlungsebene, auch emotional findet kaum Interaktion zwischen den Widersachern statt. Wüsste man es nicht besser, könnte man glatt glauben, die Darsteller hätten am Set keine einzige Szene miteinander gedreht.

Wenigstens in Bezug auf die Liebesgeschichte ist ein wenig Mühe zu erkennen, nimmt sich „The Crow“ doch in der ersten Hälfte viel Zeit, zu ergründen, wie zwei verlorene Seelen in diesem kalten Universum zueinander finden konnten. Hier kommen zumindest gedämpft die Klageschreie aus der Vorlage zur Geltung. Tahliah Barnett und Bill Skarsgård harmonieren als Wild-at-Heart-Pärchen einigermaßen solide miteinander, allerdings wirken einige ihrer Dialoge wenigstens in der deutschen Synchronfassung weniger poetisch als vielmehr jugendlich-banal und viele ihrer gemeinsamen Szenen enden kitschig-prüde. Zudem verliert sich die Spur der Beiden zur Mitte, als die Geburt der Krähe ansteht und das große Aufräumen beginnt. Allgemein gestaltet sich der Aufbau wenig raffiniert. Das weiße Pferd wird der Handlung in der Auftaktsequenz aus der Kindheit Eric Dravens als Symbol vorangestellt, anschließend folgt das Skript von Zach Baylin und William Schneider recht einfallslos dem Einmaleins für Heldenwerdung, wo O'Barrs Vorlage mit roher Gewalt begann und die Vergangenheit erst in schmerzhaften  Rückblenden bewältigte. Sanders verpasst es zudem, den Übergang von der Liebesgeschichte zum Rachethriller entsprechend druckvoll zu inszenieren. An Ballereien, Geschnetzel und Härten wird nicht gespart, doch das CGI-Blut und die Mündungsfeuer aus dem Rechner bleiben nicht die einzigen abmildernden Elemente. Der Film atmet schlichtweg nicht, er reagiert nicht sensorisch auf die Entwicklungen in der Story, er treibt einfach weiter und zeigt, was er zeigt.

Es ist grundsätzlich positiv zu vermerken, dass „The Crow“ gar nicht erst versucht, sich mit der gleichnamigen Erstverfilmung aus dem Jahr 1994 anzulegen. Ein reines Re-Imagining wäre zum Scheitern verurteilt, hätte man doch nur wenig verbessern, aber viel versauen können. Die Entfremdung vom Original bedeutet aber zugleich auch eine Entfremdung von der Comicvorlage. Nach fünfzehn Jahren Entwicklung kommt der fertige Film zu einer Unzeit. Die Ratlosigkeit, den Stoff dem aktuellen Zeitgeist anzupassen, ist in jedem Moment spürbar. Das stilistische Bekenntnis zum modernen Hochglanz-Actionkino höhlt letztlich den emotionalen Kern der Saga aus, der hinter der Fassade aus schwarzweißer Schminke kaum mehr zu erkennen ist; Tränen hin oder her. The Crow, ein Antiheld aus einer vergangenen Epoche, der seiner verblassenden Aura hinterherjagt und zum Geist zu werden droht – das taugt wohl kaum zu einem neuen Franchise-Auftakt.

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