Anno 2015 fabrizierte George Miller mit „Mad Max: Fury Road“ ein Powerhouse von einem späten Sequel, mit dem kaum jemand gerechnet hatte: Zehn Oscar-Nominierungen, sechs Auszeichnungen mit dem Goldjungen und begeisterte Kritiken. Dennoch sollte es neun Jahre dauern, bis die zweite Hauptfigur des Films mit „Furiosa“ ihr eigenes, schon früh angekündigtes Prequel bekommen sollte.
Zu Beginn erlebt man die kindliche Furiosa (Alyla Browne) als Teil der Vuvalini-Gemeinschaft, zu der sie in „Fury Road“ zurückkehren möchte. Doch als sie und ihre Schwester beim Pfirsichesammeln auf ein paar Banditen treffen, steht dem Mädchen der Exodus aus dem Paradies bevor: Sie wird entführt. Ihre Mutter nimmt die Verfolgung auf und schon hier unterscheidet sich die Inszenierung von gängigen Standards. Die Jagd zieht sich auf Handlungsebene über mehrere Stunden hin, bei der beide Seiten taktieren: Schaltet Mary einen Banditen mit einem Scharfschützengewehr aus, so erzeugen die anderen Schurken Sandwolken, um keine einfachen Ziele mehr zu sein. Wird ein Bandit getötet, so wird schnell überlegt, welche Ausrüstung und Beute man besser nicht zurücklässt. Mary wiederum kann schnell ein Banditenbike fit machen, um die Verfolgung fortzusetzen, mit geübten Handgriffen, wie es in der Postapokalypse zum Alltag gehört. Gerade durch solche Details weiß bereits diese mehrere Minuten lange Verfolgungsjagd für sich einzunehmen.
Am Ende können Furiosa und Mary zwar verhindern, dass irgendeiner der Banditen noch vom Standort der Vuvalini erzählen kann, doch Furiosa bleibt in Gefangenschaft des schurkischen Anführers Dementus (Chris Hemsworth), während ihre Mutter beim Befreiungsversuch stirbt. Auch hier kann Miller durch kleine Details ein unheimlich stimmiges Bild der postapokalyptischen Höllenwelt zeichnen, in der Mitgefühl tödliche Folgen haben kann. Mary wird bei der Befreiung entdeckt, weil sie eine Banditin verschont. Furiosa gelingt die Flucht deshalb nicht, weil sie sich nicht an die Anweisungen ihrer Mutter hält, sondern dieser beistehen will.
So wächst Furiosa als Sklavin und Ersatztochter von Dementus heran, der mit seiner Horde irgendwann auf die Zitadelle von Immortan Joe (Lachy Hulme) stößt. Nachdem er die Festung nicht so einfach einnehmen kann, erzwingt Dementus mit List ein Bündnis mit dem Gewaltherrscher, der Furiosa als Unterpfand fordert…
Sicher kann man „Furiosa“ auch ohne Kenntnis von „Fury Road“ anschauen, zum besseren Verständnis ist eine Kenntnis des Films von 2015 auf jeden Fall empfehlenswert. Und doch kopiert Miller nicht einfach dessen Rezept, sondern geht seinen eigenen Weg. „Furiosa“ verhält sich zu „Fury Road“ wie „The Raid 2“ zu „The Raid“: War der Vorgänger noch ein auf Wesentliche konzentrierter Film, der in seiner Reduktion fast wie ein Metakommentar auf sein eigenes Genre wirkte, so ist der Nachfolger ein ausladenderes Epos in der gleichen Welt, hier eben als Prequel erzählt. Beschränkte sich die Handlung von „Fury Road“ auf wenige Tage, so erzählt „Furiosa“ die Geschichte seiner Hauptfigur über Jahre hinweg, von der Entführung als kleines Mädchen bis zu jenem Punkt, an dem „Fury Road“ einsetzt. Da macht Miller auch keine Kompromisse: Mit Anya Taylor-Joy ist zwar eine der aktuell angesagtesten Schauspielerinnen in der Hauptrolle besetzt, doch sie löst Alyla Browne erst mehr als einem Drittel des Films ab.
„Furiosa“ ist eingeteilt in fünf Kapitel, die von verschiedenen Lebensphasen der Protagonistin erzählen: Vom entführten Mädchen zur Aspirantin in Immortan Joes Harem, nach der Flucht von dort als Warboy getarnt, später Fahrerin des War Rig, wie der schwerbewaffnete Tanklaster genannt wird, den Praetorian Jack (Tom Burke) im Auftrag Joes befehligt. Durch ihre Erfahrungen wird Furiosa hart gemacht, muss immer wieder ihren Einfallsreichtum und ihre Stärke beweisen, um schließlich zu jener abgebrühten, mit allen Wassern gewaschenen Person zu werden, die das Publikum aus „Fury Road“ kennt. Mit dessen Erwartungen spielt Miller auch: Immer wieder gibt es Situationen, von denen man denkt, dass dies nun der Moment ist, in dem Furiosa ihren Arm verliert, nur um dann doch in einem Stück herauszukommen.
Stilistisch geht Miller dieses Mal farbenfroher zu Werke, setzt auf kräftigere Farben, allerdings auch auf etwas mehr und etwas deutlichere CGI-Unterstützung als in „Fury Road“, was jedoch nur selten störend auffällt. Damit gelingen ihm eindrucksvolle Bilder (etwa Panorama-Shots von Dementus‘ riesiger Horde oder ein aufwändiger Überfall, der in einer einzigen Einstellung im Hintergrund stattfindet), untermalt von einem dynamischen Soundtrack von Tom Holkenborg alias Junkie XL. Besonders beeindruckend ist aber das Wordbuilding, das Miller fast nebenbei betreibt, jedoch durch kleine, unaufdringliche Details und großen Ideenreichtum unglaublich einprägsam gestaltet. Da gibt es den History Man (George Shevtsov), ein Sklave, der als eine Mischung aus Chronist und lebendem Wörterbuch fungiert und von Kopf bis Fuß mit Schriften tätowiert ist. Da gibt es eine alte Frau unter den ausgehungerten Sklaven Immortan Joes, die Leichenteile sammelt und darauf fette Maden züchtet, die wiederum als Nahrung dienen. Da gibt es Kranhaken in den Verteidigungsanlagen der Zitadelle, mit deren Hilfe die Warboys Angreifern einfach die Motorräder klauen können. All das wird gepaart mit Erfindungen aus dem Vorgänger, etwa die Partnerstädte Gas Town und Bullet Farm, mit denen die Zitadelle die wichtigsten Handelsgüter der Postapokalypse (Benzin, Munition, Nahrung) im Zirkel tauscht.
Vor allem aber tritt Millers Kreativität erneut in den einfallsreichen Actionszenen zutage, an denen phantasievoll gestaltete Vehikel teilnehmen. Dementus beispielsweise fährt erst einen Streitwagen, der anstelle von Pferden von drei Motorrädern gezogen wird, später einen geländegängigen dreiachsigen Monster Truck. „Furiosa“ startet erst mit ein paar kleineren Actionszenen, darunter die anfängliche Verfolgungsjagd, der vergebliche Erstürmungsversuch der Zitadelle oder ein Überfall auf einen Tanklaster. In der Filmmitte kommt das erste exzessive Set Piece, welches große Teile des dritten Kapitels einnimmt: Mit Motorrädern, Autos und Fluggeräten attackiert eine Banditenhorde das War Rig, das wiederum über vielfältige Verteidigungsanlagen verfügt. Mit immer neuen Strategien und Taktiken werden beide Parteien in voller Fahrt mehr und mehr dezimiert, mit Schießereien, Explosionen und Nahkämpfen. Letztere wurden – wie schon jene in „Fury Road“ – von B-Actionstar und Miller-Landsmann Richard Norton choreographiert. Bald darauf folgt das zweite exzessive Set Piece in einem Steinbruch, in dem neben dem War Rig und den üblichen Trucks und Bikes auf Baumaschinen zum Einsatz kommen. Zudem beweist Miller dabei große Meisterschaft der Rauminszenierung und Übersichtlichkeit der Action, wenn mehrere Parteien an mehreren Stellen agieren: War Rig und gegnerische Fahrzeug kämpfen an einer Stelle, von einem Turm nehmen Angreifer den Kriegslaster mit einem Raketenwerfer unter Beschuss und von einer erhöhten Position wiederum greift Furiosa via Scharfschützengewehr ein.
Danach kann man nicht anders, als ein furioses Finale zu erwarten. Und genau das verstolpert „Furiosa“ dermaßen, dass man nur mutmaßen kann, ob Miller am Ende vielleicht das Budget ausging oder sie zu weit im Zeitplan zurückhingen. Denn der Showdown kommt reichlich abrupt und dramaturgisch total holprig und ist noch dazu enttäuschend klein skaliert. Als Furiosa Dementus aufspürt, hat dieser aus nicht erklärten Gründen nur noch fünf Hansel anstelle seiner gewohnten Heerscharen um sich, außerdem streicht das Schurkenpersonal enttäuschend schnell die Segel. Das ist sehr antiklimaktisch und wird auch noch unerwartet dialoglastig, wenn Miller, der vorher vor allem über Bilder und Aktionen erzählt hat, das Verhältnis von Furiosa und Dementus nochmal mit eher bemühten Dialogen auf eine andere Ebene hieven will. Das meiste davon hat er schon vorher mit kleinen Details (Teddybär) klar gemacht, sodass dies keine neue Tiefe erreicht. Ebenfalls etwas bemüht ist der Gastauftritt von Mad Max und seinem treuen V8 Interceptor in einer Einstellung zur vor dem Finale.
Anya Taylor-Joy mag der große Star sein, aber wenn man über die Hauptfigur von „Furiosa“ spricht, muss man eigentlich zwei Leistungen würdigen. Alyla Browne erweist sich als talentierte Nachwuchsdarstellerin als junge Protagonistin, die sich mit Einfallsreichtum und begrenzten Ressourcen in der Postapokalypse durchschlägt. Taylor-Joy darf ihr Charisma dann als ältere, zunehmend mit allen Wassern gewaschene Furiosa einbringen. Sie spielt die Endzeitkriegerin als Überlebenskünstlerin, die einerseits tough und abgeklärt ist, andrerseits immer noch Hoffnung auf die Rückkehr ins Paradies in sich trägt. Chris Hemsworth legt seinen Schurken geringfügig karikatur- und cartoonhaftiger als seine Vorgänger an, doch das macht seine Bedrohlichkeit aus: Dementus ist ein Wahnsinniger, der sich selbst als Sonnengott sieht, aus Launen heraus handelt und dem alles zuzutrauen ist. Weitere Akzente setzt Tom Burke als rechtschaffener Endzeitkrieger unter lauter Halsabschneidern. Viele Darsteller spielen ihre Rollen aus „Fury Road“ erneut, etwa Nathan Jones als Rictus Erectus. Lachy Hulme ersetzt den 2020 verstorbenen Hugh Keays-Byrne als Immortan Joe. Und nachdem Chris Hemsworth einen Gastauftritt im Netflix-Vehikel „Interceptor“ für seine Ehefrau Elsa Pataky hatte, hat diese nun einen Cameo als Mitglied von Furiosas Stamm.
„Furiosa“ greift viele Qualitäten von „Fury Road“ auf, darunter die wahnsinnig kreativen Actionszenen mit den einfallsreichen Vehikeln und den spektakulären Stunts sowie das geschickte Wordbuilding. Dem simplen Plot des Vorgängers setzt er hier eine ausladende Charakterwerdungsgeschichte entgegen, die zwar durch mehr CGI-Einsatz etwas künstlicher wirkt, sich aber über lange Zeit quasi auf Augenhöhe mit „Fury Road“ bewegt. Doch indem Miller das Finale verstolpert bleibt am Ende „nur“ ein guter Endzeit-Actionfilm. Es hätte allerdings ein brillanter sein können.