Jean Vebers meisterhaft inszenierter Thriller braucht sich in Sachen Spannung keineswegs hinter US-amerikanischen Produktionen wie "Se7en“ oder "Silence of the Lambs“ zu verstecken – und bietet zudem noch feinstes europäisches Schauspielerkino mit zum Teil wahrlich phantastischen Regieeinfällen, die das (inzwischen etwas abgegriffene) Cop-sucht-Serienkiller-Thema weit über den Durchschnitt heben.
Vincent Perez (hier einfach göttlich!) spielt einen Apotheker mit Ökotick, der auf phantasievolle Weise (u. a. mit einem Schwarm „abgerichteter“ Marienkäfer) die geschundene Welt zu rächen versucht. So sterben nacheinander der Boss einer Ölgesellschaft, ein Tabakfabrikant und eine Kosmetikfabrikantin, die ihren Erfolg bestialischen Tierversuchen verdankt, Guillaume Depardieu gibt den etwas zu zart besaiteten Polizisten, der auf den Serienkiller angesetzt wird. Doch noch bevor er ihm auf die Schliche kommt, findet der ihn und freundet sich mit ihm an…
"Le pharmacien de garde“ ist Kino in Formvollendung! Allein die Musik von Marco Prince macht Vebers leisen Schocker sehenswert. Der Jungregisseur vollzieht gekonnt eine Gradwanderung zwischen verschiedenen Genres: vom Psychothriller mit Horrorelementen über ein sensibles Drama über Freundschaft und Verrat bis hin zur gallig-schwarzhumorigen Satire gestaltet sich ein absolut glaubhaftes und doppelbödiges Werk, dem ein grosses Publikum zu wünschen gewesen wäre. Besonders spannend wird es nach dem „Bruch“ im letzten Drittel des Films, wenn man die Metropole Paris verlässt und die beiden ungleichen Freunde (und Gegner) allein in einem Haus auf dem Land sind. Hier wird der Killer-Thriller zum leisen Kammerspiel mit latent homoerotischen Zügen.
"Le pharmacien de garde“ (woher der dämliche deutsche Titel „Blutiges Erbe" kommt, wird wohl für immer ein Rätsel bleiben) wird in den kommenden Jahren mehr und mehr gewinnen und in spätestens zehn Jahren auch ein Kultfilm à la Fincher sein. Ein Muss!