Review

"Es war nicht einfach, den Ton des Films zu finden."
~ André Hunebelle


"Komm, tu mir ein Gefallen, mein Junge, und bring ein bisschen Abwechslung ins Programm."
Spielend in der High Society hat auch der Film eine ganz erstaunliche Exklusivität zu bieten, Luxus in der gesamten Umgebung und der Ausstattung, entsprechendes Benimm und nobles Auftreten, ein Gestus der Oberen Zehntausend, gekoppelt mit einem Szenario, dass sich der gerade angesagten Spionagefilme ebenso bedient (Hunebelle, der Denys de La Patellière ersetzt hat, hat zuvor und parallel einige OSS 117 gedreht, die einheimisch auch in den Top 20 gelandet sind) wie dem hochwertigen französischen Kriminal- und Polizeifilm. Maske und Verkleidung, Tarnung und Täuschung, das Nutzen und Verwenden falscher Identitäten, eine eingängige Titelmelodie, die sich gleichzeitig nach Abenteuer und Bedrohung klingend durch die gesamte Trilogie mit zieht. Eine Geschichte zwischen dem Adel und dem kleinen Mann, zwischen dem Reporter, dem Commissaire und dem Verbrechergenie, zwischen dem Anpeilen an die zugrundeliegende Buchreihe, dem Übernehmen nur einiger Grundmotive, der Zuwendung an internationalen Mainstream, ein 'Geschöpf der Fantasie', eine Comédie policière im voluminösen Franscope und kräftigen Eastmancolor:

Das Land wird vom Verbrecherkönig Fantomas [ Jean Marais ] unsicher gemacht, die Polizei unter Führung von Kommissar Paul Juve [ Louis de Funès ] und Inspektor Michel Bertrand [ Jacques Dynam ] stehen dem ganzen Treiben trotz viel Bemühung relativ erfolglos gegenüber. Als der skeptische Journalist Jérôme Fandor [ Jean Marais ] ein fiktives Interview mit dem kriminellen Phantom veröffentlicht, geraten er und damit auch seine Kollegin und Verlobte Hélène Gurn [ Mylène Demongeot ] in das Visier des Gesuchten und damit auch in Gefahr.

"Man sollte denken, ich hätte meine Existenz ausreichend unter Beweis gestellt.", sagt die Titelfigur beizeiten, entsprechend fliegend ist der Start, geht man von bekannten Fakten aus und erzählt die Handlung mittendrin einfach und einen speziellen Abschnitt davon weiter. Erst die Missetaten in der Stadt, an der Rue de Castiglione, den königlichen Plätzen, der Avenue des Champs-Élysées, dann die Fahndung vor den Toren der Metropole, im Département Val-d’Oise, der La Roche-Guyon Gemeinde, eines der schönsten Dörfer des Landes, in einer langgezogenen Treibjagd erkundet und als Finale und Cliffhanger für mehr und kommendes gleichermaßen abgerundet. Angeboten wird Spannungskino und Abenteuerkomödie, reich an Dekoration, Spezialeffekten und Gestus, kräftig und dennoch gediegen in der Optik, zwischen Hollywood und Europa, modern und klassisch, als Spektakel (mit einem etwas zu ausufernden Showdown mitsamt dem Einsatz von Zweirad, Vierrad, Lokomotive, Hubschrauber und Schnellboot) zeitgenössisch attraktiv und dennoch nachhaltig und nicht antik; ein schwieriger, wenn im Grunde unmöglicher und hier auch nicht gänzlich gelungener Spagat voller Hirngespinste, der im selben Jahr vergleichbar nur etwa dem britischen James Bond 007 – Goldfinger und auch nur mit demselben Aufwand, Attraktion, Attraktivität und dem Zusammenspiel aller Kreativen gelingt.

Der Mann mit den hundert Gesichtern und der Film mit den hundert Gesichtern, transnationale Ausrichtung mit nationalem Repertoire, journalistische Ermittlungen, detektische Observationen, das Spiel mit echten und vorgetäuschten Nachrichten, mit Sein und Schein, mit Ernst und Ulk, Terror auf den Straßen inklusive eines Granatwurfes auf die Schaufensterauslage eines Fernsehgeschäftes, vor dem auch noch zahlreiche schaulustige Passanten stehen und sich das Interview des leitenden Polizeibeamten und dessen Beschwichtigungen und Versprechen naher Aufklärung ansehen. Ein weiterer Bombenanschlag auf das Redaktionsbüro versetzt gleich mehrere Anwesende mit Gips und Co. in das Krankenhaus, Sachschäden und hier auch körperliche Verletzungen, pointiert aufgelöst und mit Slapstick versetzt. Eine spätere Prügelei mit zwei Schergen im üppig möblierten Verlies und dessen Geheimgängen, einer wahrhaft fürstlichen Dunkelkammer, ist je nach Schlagfolge grob und flüssig, effektiv und artistisch gelenkig. Posse, Pulp, Pop, Popanz, Prestige, Pracht, Politik, Presse, Polizei, ein thematisch vielfältiges Spektrum ist vorhanden und Interpretation und Lesart zahlreich.

"Sie glauben gar nicht, Herr Kommissar, wie ich mich freue Sie zu sehen." - "Die Freude wird von kurzer Dauer sein.
Hunnebelle, der sich mutmaßlich nach der Beauftragung der Produktion durch (Société Nouvelle des Établissements) Gaumont die Erlaubnis von Marcel Allain, dem (neben dem längst verstorbenen Pierre Souvestre) noch lebenden Autoren der Vorlage geholt hat, diese den veränderten Umständen anzupassen und den Gegebenheiten nach zu erleichtern – wobei dieser im Nachhinein Unzufriedenheit mit der Trilogie äußerte und eine Klage wegen moralischen und kommerziellen Schadens durch die 'grotesken' Bearbeitungen einlegte und aufgrund 'völliger Verzerrung' der Texte auch gerichtlich Recht und eine Neubewertung der finanziellen Einnahmen bekam; was sicherlich mit weitere Verfilmungen verhinderte bzw. deren die Bereitschaft dazu neben dem auch kolportierten Mißverhältnis zwischen Marais und de Funès minderte – , hat sich vermehrt auch an den eigenen früheren Publikumserfolgen mit Jean Marais (und Bourvil) wie Ritter der Nacht (1959) oder Mein Schwert für den König (1960) orientiert. Bourvil war auch hierfür angedacht und die Rolle mit ihm im Hintergrund geschrieben, hat aber abgesagt.

Ersatzmann de Funès (der im selben Jahr mit Der Gendarm von Saint-Tropez nicht nur im eigenen Land Zuschauerkönig war und ca. 3.3 Millionen Eintrittskarten mehr verkauft hat) musste erst gegen Einspruch der Produzenten durchgekämpft werden und frei geboxt, und ist hier eingangs auch deutlich zweiter Mann in der Reihung, er trägt die Schadenfreude, den körperlichen Krawall und stellt als Energiebündel und 'Giftzwerg' das zänkische Gegenüber für den eleganten Marais, die Geschichte würde ohne ihn allerdings auch (wenn auf gänzlich andere Art und Weise) funktionieren, ohne Marais eben nicht. Letzterer selber wirkt hier in aktueller Umgebung (die niemals dem Realismus der Fünften Französischen Republik, sondern erst einer burlesken und dann einer exotischen Verschiebung dieser entspricht) wie ein französischer Cary Grant: Aussehen, Verhalten, Schlag bei den Frauen und Geburtsjahr sind nah beieinander, und die Verschwörungsplotte und der Strang mit dem Unschuldigen als Verdächtigen im Visier der Beamten und der verlorenen Identität scheint auch aus einem Hitchcock zu stammen und von dorther inspiriert."Ich sagte schon, dass ich Perfektionist bin.(...)Ich habe immer das Gesicht meiner Opfer getragen."

Ein Kaleidoskop verschiedener Ideen und Einflüsse, geschüttelt und gerührt quasi, das Erzeugnis einer speziellen Zeit, welches vom speziellen literarischen Werk der Belle Époque weit entfernt bis konträr zu ist, eine ablenkende kommerzielle Matinee, eine cineastische Renaissance, mit allen erdenklich gefragten Zusätzen – auch der Verwendung von eben symbolhaften Anschlägen auf die Bevölkerung, wie dem Beschuss aus einem fahrenden Auto auf ein gut besuchtes Kino, welche durchaus dem Terror der Front de Libération Nationale während der Jahre 1958 und 1959 in Südfrankreich oder selbiges Gebaren der Organisation de l'armée secrète widerspiegeln können – , aber außerhalb von Angsterzeugung, sondern losgelöst im Kintopp. "Ich werde ein Monstrum aus dir machen, ein blutrünstiges Ungeheuer." Gottlob nur in der verbalen Ankündigung, zum wohligen Gruseln und dem Erregen der Abenteuerlust, nicht in der Umsetzung. Formale Schwächen sind ausgerechnet bei der wohl mit aufwändigster Szene, der Abfahrt des an den Bremsen manipulierten Simca Vedette Régence die Serpentine herunter, wo die Fahrkünste des am Steuer tatsächlich befindlichen Rémy Julienne keine Chance gegen den Wulst aus Rückprojektion und Zeitraffer haben. Eine weitere Aktionseinlage nur wenige Minuten später mit der Verfolgung eines Autos durch drei Triumph Twenty-One (und böse aussehenden Motorradstunts) ist dafür in seiner übersichtlichen Kontrolle des Geschehens umso intensiver.

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