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Was wäre wenn?-Geschichten um das Dritte Reich und seine verbrecherischen Funktionäre scheinen eine gewisse Faszination auszustrahlen. Robert Harris veröffentlichte mit seiner zwei Jahre später verfilmten Nazi-Utopie Vaterland 1992 einen Bestseller, der in einem von Hitler regierten Großdeutschland der 60er Jahre spielt, nachdem Deutschland als Sieger aus dem zweiten Weltkrieg hervorging. Das Grauen, welches vor nunmehr über 60 Jahren in Deutschland vor sich ging, beschäftigt immer noch die Gemüter und kann, ja, darf nicht vergessen werden.

In diese populäre Kerbe des „Mahnmal Nationalsozialismus" schlägt auch Nichts als die Wahrheit von Regisseur Roland Suso Richter, zu dessen Oeuvre neben den Event-Filmen Der Tunnel (2001) und Das Wunder von Berlin (2008) der harte Gefängnisthriller 14 Tage lebenslänglich (1996) zählt, bei welchem Kai Wiesinger ebenfalls in einer Rolle als moralisch fragwürdiger Rechtsanwalt auftrat. Dennoch könnten die beiden Filme verschiedener nicht sein: Hier der (fiktive) Gerichtsprozess von KZ-Arzt Josef Mengele, dort ein Intrigenspiel um einen schnöseligen Anwalt, der gerade durch seinen arrangierten Aufenthalt in der JVA seine Katharsis erlebt.

Dabei fällt es Kai Wiesinger in Nichts als die Wahrheit sichtlich schwerer, als Schauspieler zu bestehen. Das hat weniger mit seiner schauspielerischen Klasse zu tun als viel mehr mit seinem Gegenüber: Kein Geringerer als Götz George schlüpfte in die Rolle des senilen, aber immer noch bedrohlich wirkenden, glatzköpfigen KZ-Arztes, der aufgrund brutalster Menschenversuche als „Todesengel von Auschwitz" in die Annalen einging und füllt die Rolle sehr eindringlich aus. George spielt seine Figur mit leiser, aber harter Stimme, mit hoher sachlicher Intellektualität - und genau auf diesem subtilen Wege gelingt es ihm, den Dämon zu schaffen und ein Gesicht zu geben, der jedoch leider nur die Eindrücke, die viele Zuschauer im Vorfeld des Films von dieser Person, diesem Monster in Menschengestalt, hatten, bestätigt. Die von George verkörperte Figur vermag leider kaum eine Facon jenen Vorurteilen und Klischees hinzufügen, die der Stempel „Nazi-Verbrecher" schon beinhaltet.

Ein weiterer Schwachpunkt dieses Films, der mit der an sich viel versprechenden Idee spielt, dass sich ein im argentinischen Exil lebender Nazi-Verbrecher nach etlichen Jahren den deutschen Behörden stellt, um die aus seiner Sicht „wahre Geschichte" der historisch belegten Geschehnisse zu erzählen und sich vor einem Gericht zu verantworten, ist schlicht sein Drehbuch. Konventionell und an klassische Justizthriller erinnernd, sind einige Haken, die der Plot schlagen wird, schon von Anfang an vorhersehbar: Die Familie des Anwalts wird auch was die Vergangenheit einzelner ihrer Mitglieder angeht nicht gänzlich ungeschoren davonkommen und der Anwalt selbst, der - wie der Zufall so spielt - schon seit etlichen Jahren an dem ultimativen Buch über seinen Mandanten, dessen Verteidigung er aus fragwürdigen Motiven übernimmt, begibt sich zusehends in eine moralische Grauzone.

Die Fragen, ob „so einer" einen unvoreingenommenen Rechtsbeistand und eine faire Verhandlung bekommen darf werden ebenso gestellt wie jene nach den Grenzen des Hippokratischen Eides und der Sterbehilfe, ein Thema, das - und da hat sich seit dem Erscheinen des Films 1999 wenig geändert - in Deutschland immer noch eher stiefmütterlich behandelt wird eben aufgrund der ideologisch motivierten Euthanasie-Verbrechen im Dritten Reich. Des Weiteren spielt der Film durch die Dämonisierung Mengeles als Teufel mit der verführenden Kraft des Bösen und lässt den Zuschauer bis zum Ende mitfiebern, ob sich Wiesinger in seiner Rolle als Anwalt Peter Rohm auf Mengeles Seite ziehen lässt und überhaupt noch zwischen seiner Pflicht als Anwalt und seiner persönlichen Überzeugung zu unterscheiden und trennen vermag. Rohm wird als „Nazi" beschimpft und bis zum Ende bleibt offen, ob aufgrund seiner provokativen Verteidigungsstrategie, die auf Legitimation der Verbrechen im Rahmen einer ethischen Gesinnung abzielt, nicht doch ein Fünkchen Wahrheit in dieser Behauptung steckt.

Dann stoßen jedoch wieder einige Stereotypen bitter auf, die äußerst plump aufgetischt werden. Vor dem Gericht demonstrieren gesichtslos-tumbe Neo-Nazis mit plakatierten Phrasen wie „Auschwitz = Lüge" und liefern sich Duelle mit der Polizei und Linken; weniger konfrontative rechte Kreise versuchen Attentate auf den redewilligen Mengele, der mit seiner Offenheit droht, einige unliebsame Fakten preiszugeben. Auch die immer wieder eingestreuten Rückblenden um Rohms Erinnerungen an seinen nicht ganz freiwilligen Trip nach Argentinien zu Mengele (er wurde dazu unter Drogen gesetzt) bleiben in ihrem Sinn und ihrer Absicht fragwürdig. Durch diese zum Teil arg überflüssigen Nebenhandlungen verliert Nichts als die Wahrheit doch arg an Spannung und verliert an seiner bis dahin durchaus gegebenen Plausibilität und Authentizität, wobei letztere sich besonders im letzten Teil bei den Zeugenaussagen um die Dokumentierung von Mengeles Verbrechen niederschlägt.

George als alter, gebrechlicher Mann, der inbrünstig immer noch für seine Ideale steht aber unter dem Deckmantel einer „humanistischen Gesinnung" verpackt, wird uns als Zuschauer noch lange - auch nach dem von ihm gesprochenen Epilog im Abspann - verfolgen. Viel mehr jedoch wird nicht von Nichts als die Wahrheit im Gedächtnis haften bleiben. Am Ende steht ein ambitionierter Film mit einem wagemutigen Thema, der jedoch seinen eigenen Anspruch, die historische, aber eindimensionale Figur Mengele mit einem differenzierten Psychogramm auszustatten, nur in einem geringen Maße erfüllen kann. Mit einem weniger sensationellen, potenziell populären Thema hätte aus Nichts als die Wahrheit unter Umständen ein richtig guter, kleiner Thriller werden können, der auch auf inhaltlicher Ebene überzeugt hätte. Oder man hätte Robert Harris einfach das Drehbuch schreiben lassen sollen (6,5/10).

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