Martha freut sich wie narrisch, denn nach langer Abwesenheit kommt endlich ihre Schwester Jenny wieder nach Hause. Zu ihr und zu ihrem Onkel, bei dem Martha wohnt. Alle freuen sich dass Jenny da ist: Onkel Ralph, der sich mit Dämonologie beschäftigt. Die Haushälterin Mrs. Britton. Der mürrische Chauffeur Marcos vielleicht nicht so. Aber dafür umso mehr der Arzt Dr. Laurent, der Martha behandelt. Denn Martha hat beim erlebten Unfalltod ihrer Eltern vor vielen Jahren die Sprache verloren.
Und dabei würde sie ihre Ausdrucksfähigkeit gerade jetzt so dringend benötigen. Denn noch in der Nacht ihrer Rückkehr wird Jenny grausam ermordet. Ein entsetzliches Erlebnis für alle, und es wird zuerst vermutet, dass ein aus einer Anstalt ausgebrochener Sex-Maniac dafür verantwortlich ist, die Ermittlungen gehen dann aber schnell in Richtung eines Hippies, der den Teufel anbetet. Inspektor Duran findet keine vernünftige Spur, da findet schon der nächste Mord statt. Und noch einer. Fast scheint es, als ob Martha isoliert werden soll …
KNIFE OF ICE hat eigentlich alles, was man von einem guten Giallo erwartet. Gute Schauspieler, erstklassige Optik, edle Settings, schöne und groovige Musik (na gut, der Score von Marcello Giombini kann den Klassikern des Genres nicht einmal ansatzweise das Wasser reichen, aber für das Adjektiv nett reicht es allemal), eine kreuz und quer mäandernde Handlung mit vielen roten Heringen, und jede Menge Stimmung. Woran liegt es, dass mich der Film erst nach über einer Stunde Laufzeit abholen konnte?
Irgendwie konnte ich den Draht zu der Geschichte nicht finden. Blieb mir die stumme Martha trotz einer erstklassigen Darstellung Carroll Bakers fremd, und konnten Gänsehautszenen wie die Augen, die im Nebel in das Auto starren, nur bedingt Atmosphäre zaubern. Zu aufgesetzt wirkten gerade solche Momente, um wirklichen Thrill zu erzeugen. Erst ziemlich zum Schluss, wenn Martha allein zu Hause ist und sich des Butzemanns erwehren muss, erst dann war ich gebannt vor dem Bildschirm und habe aufgeregt mit den Füßen am Boden gescharrt.
Aber warum so spät? Ich vermute schwer, dass es die persönlichen Problemchen des Rezipienten waren, die den eigentlich (schon wieder dieses Wort) sehr ansprechenden Film ein wenig herunterzogen. Oder waren es vielleicht doch die grausamen Bilder des Stierkampfes, mit denen der Film eingeleitet wird? Seit den verschiedenen Tiersnuff-Einlagen in DIE RACHE DER KANNIBALEN traue ich Umberto Lenzi viel Schlechtes zu, auch dass die tote Miezekatze auf dem Rasen eine echte tote Miezekatze ist. War es möglicherweise die Weigerung der ansonsten sehr ordentlichen US-Synchro, den Film nach Spanien zu verlagern? In der Synchro wurde sehr standhaft von dem Ort Martigny in der Nähe des Genfer Sees gesprochen, möglicherweise weil die Autos mit einem GE wie Genf herumfahren. Dass GE auch das alte Kennzeichen für Gerona in Katalonien ist, dieses Detailwissen kann man einem amerikanischen Kulturschaffenden nun wirklich nicht zumuten.
Aber ehrlich gesagt sind das doch alles nur Kleinigkeiten. Persönliche Nickligkeiten. Wahrscheinlich ist es doch so, dass KNIFE OF ICE einfach ein wenig blutarm ist. Dass die Wünsche des spanischen Produzenten nach wenig Gewalt und gar keinem Sex buchstäblich befolgt wurden, was viele mögliche optische und narrative Höhepunkte aus der Story herausnimmt. Dass die Personenzeichnung innerhalb des Kriminalfalles teilweise so überzogen ist, dass dem Zuschauer sehr schnell klar ist, wer der Mörder auf gar keinen Fall sein KANN. Dass Carroll Baker mit ihren 40 Jahren einfach ein wenig zu alt wirkt für diese Rolle, und ihr Sidekick Alan Steel (wer?) unglaublich farblos bleibt. Eduardo Fajardo als Chauffeur, der hier wirkt wie Boris Karloff in seinen besten Rollen, degradiert Steel in jeder Sekunde seiner Anwesenheit zum Statisten, was für eine Nebenrolle eigentlich undenkbar sein sollte. Und dass die Geschichte standardisiert abrollt, ohne bis zur Auflösung wirkliche Überraschungen zu bieten, spricht dann auch nicht wirklich für den Film. KNIFE OF ICE ist von den Lenzi/Baker-Gialli einfach der schlechteste. Punktum. Lenzi hatte wohl von Gialli spürbar langsam die Nase voll, bis auf den artifiziellen SPASMO wandte er sich nun verstärkt dem Poliziotto zu, wo es weniger um verschwurbelte Handlungen, als um knallharte Auseinandersetzungen geht. Deswegen ist KNIFE OF ICE nicht wirklich schlecht, Gott bewahre, aber der Mann hat vorher und nachher deutlich besseres gedreht. Doch zumindest ist es schön, George Rigaud endlich einmal in einer größeren Rolle zu bewundern, was ja auch nichts Alltägliches ist …