Review

„Das Messer“ von Duccio Tessari darf durchaus als einer der besten und interessantesten Gialli überhaupt bezeichnet werden. Grund genug für mich nach der mehr als positiven Überraschung, die ich mit diesem untergegangenen Streifen erlebte, mir nach Möglichkeit auch noch die übrigen Kriminalfilme des Regisseurs zu Gemüte zu führen von denen es zwar die meisten in deutsche Kinos geschafft haben, jedoch bislang bedauerlicherweise keiner von ihnen hierzulande, bzw. überhaupt weltweit auf DVD erschienen ist (Im Fall von „Mann ohne Gedächtnis“ nicht einmal auf VHS).

„Das Grauen kam aus dem Nebel“ (Eine Krönung unpassender Titelschmiede- der Titel hat mit dem Film soviel zu tun wie Lucio Fulci mit Alice Schwarzer) drehte Tessari noch vor „Das Messer“ und bereits hier ist deutlich zu erkennen, was seine weiteren Kriminalfilme auszeichnen sollte und was so eine im positiven Sinn große Kluft zwischen ihm und Kollegen wie Sergio Martino oder Dario Argento (deren Qualitäten ich aber mitnichten schmälern will) ziehen sollte.
Bei Tessari sind die geheimen Höhepunkte nicht spektakulär montierte Frauenmorde sondern ähnlich wie bei seinem ebenfalls unterbewerteten Kollegen Damiano Damiani die Offenlegung der Psychologie und emotionalen Engpässe seiner Protagonisten, die mit der Handlung verwebt werden.

Folgerichtig sind die ermittelnden Beamten im Film auch weit entfernt von den üblichen Stereotypen. Der Kommissar, gespielt von Italowestern-Ikone Frank Wolff („Spiel mir das Lied vom Tod“, „Leichen pflastern seinen Weg“,hier ohne Rauschebart) zeigt angesichts seinem unmöglichen Wunsches, den „Klienten“ echte Hilfe zu bieten und der Gleichgültigkeit im Polizei-Apparat, Resignation, die sich gelegentlich auch auf seinen jungen Assistenten (Gabriele Tinti, der spätere Ehemann von Laura Gemser) übertragen. Hier sei eine großartige Szene erwähnt: Als ein Kronzeuge nicht auf die Fragen des Kommissars antwortet überreicht der junge Mann ihm seinen Dienstausweis mit den Worten „Ich quittiere den Dienst“ und prügelt die Antwort aus dem verschlagenen Zuhälter heraus.

Der Beamte selbst hat es aufgegeben, „kleine Fische“ zu jagen sondern bedient sich ihrer, um auf nicht ganz lauterem Weg an sein Ziel zu gelangen. Seine wachsende Aggressivität im Verlauf der erfolglosen Ermittlungen resultiert auch aus dem entfremdeten Verhältnis zu seiner Ehefrau (Eva Renzi, bekannt aus „Das Geheimnis der schwarzen Handschuhe“). Nebenfiguren wie Ganoven und eine abgehärmte und frustrierte Prostituierte, die der Polizei den entscheidenden Hinweis gibt, werden genauso von ihrer menschlichen Seite beleuchtet und mit persönlichen Werten versehen wie die Protagonisten. Großartig auch der Aufhänger der gesamten Handlung, ein Vater, der eine Erklärung für das Verschwinden seiner geistig behinderten Tochter sucht. In Rückblenden wird das Beisammensein von Vater und Tochter gezeigt, für das ihre Behinderung keine Hürde ist, im Gegensatz zu ihren Entführern die unmenschlich mit der zurückgebliebenen jungen Frau verfahren. Gerade die Figuren des Kommissars und der Dirne zeugen von dem Versuch, zumindest in Ansätzen über Polizeiarbeit und Prostitution zu reflektieren und die im Unterhaltungskino untergrabene Kehrseite der Medaille aufzuzeigen.

All das macht Tessaris Film(e) zu einem ungleich intensiveren Erlebnis als die übrige, meist stark exploitative Giallo-Ware. Dennoch wird der Fan von Letzterer auch auf seine Kosten kommen, denn trotz aller dramatischen Züge ist „La morte risale a ieri sera“ ein hoch spannender und verzwickter Thriller mit einem raffinierten Handlungsaufbau der ganz in der Tradition des Genres puzzleartig die Wahrheit Stück für Stück preisgibt und durch seine schlichten und realistischen Settings einen angenehm authentischen Touch aufweist. Und selbstredend ist die finale Auflösung wieder einmal eine veritable Überraschung, die, überdenkt man sie sich einmal sogar glaubwürdig erscheint und nicht- wie bei so vielen anderen Filmen dieser Sparte- aus der Luft gegriffen.

Optisch gleicht sich der Film seiner inhaltlichen Gesinnung an und bietet eine unaufgeregte und vor allem kaum artifizielle Kameraführung, die dennoch zielbewusst arbeitet und in einigen Szenen alleine durch die Komposition eine doppelte Wirkung erzeugt. Nur der Soundtrack überrascht stellenweise doch etwas, denn man bekommt in den ersten beiden Dritteln des Filmes feinste, fetzige Easy Listening-Musik von Gianni Ferrio geboten, die irgendwo zwischen Hübler / Schwab und Morricone anzusiedeln ist und dann plötzlich, als im letzten Drittel „die Sache ernst wird“ verstummt. Was den sensibel konstruierten Film betrifft, so ist die musikalische Untermalung gelegentlich etwas zu grob geraten doch für Liebhaber beschwingter Italo-Soundtracks wird hier eine echte Festplatte geboten.

Summa summarum hat Duccio Tessari auch mit „Das Grauen kam aus dem Nebel“ einen formidablen Giallo von ungewohnter Ernsthaftigkeit inszeniert, der durch eine packende (und auch vergleichsweise originelle) Handlung, wunderbare Akteure und die von selbigen verkörperten, glaubwürdigen und menschlichen Charaktere besticht. Italo-Freunde, ihr habt den DVD-Markt bereits abgegrast und sucht immer noch nach echten Entdeckungen? Schreibt euch die Filme von Duccio Tessari hinter die Ohren!

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