„We don´t live here anymore“ gehört zu einer von mir sehr geschätzten Filmart: Eine kleine Produktion mit talentierten Darstellern, bei der die erzählte Geschichte fernab der Hollywood-typischen Klischees uneingeschränkt im Vordergrund steht. Ganz bewusst in der Realität verwurzelt, bieten solche Dramen dem Zuschauer unaufdringlich die Möglichkeit, eigene Gefühle oder Situationen wieder zu erkennen, was die emotionale Betroffenheit intensiviert sowie zu einer persönlichen Reflexion anregt. Kurzum – selbst wenn sie einem nicht direkt „ans Herz gehen“, bewegen derartige Filme den Betrachter und zwingen ihn unwillkürlich zum Nachdenken. Natürlich ist es aber auch so, dass viele Konsumenten genau das nicht wollen, weshalb die betreffenden Werke meist nur unter Kritikern oder cineastischen Feingeistern Beachtung finden, vielleicht sogar eine Auszeichnung erhalten, kommerziell jedoch kein großes Aufsehen hervorrufen – das gelingt eher den oberflächlicheren Vertretern des Genres, deren Ecken und Kanten man massentauglich abgerundet hat. In einem gewissen Maße könnte man „We don´t live here anymore“ daher (aufgrund seiner Inhalte sowie der Ausgangslage mit vier zentralen Charakteren) als gehaltvollere Variante von Mike Nichols „Closer“ betrachten…
Auf den ersten Blick erscheint alles geregelt, an seinem Platz sowie nahe der vertrauten Harmonie eines typischen Lebens, wie man es aus eigenen Erfahrungen kennt – sei es persönlich oder im Rahmen des direkten Umfelds: Jack Linden (Mark Ruffalo) und Hank Evans (Peter Krause) sind Freunde sowie Dozenten-Kollegen an der örtlichen Universität, die in ihrer Freizeit viel gemeinsam unternehmen, vor allem in Form von über die Jahre zu Routine gewordenen Abläufen, wie etwa Lauftraining, Drinks nach der Arbeit in einer Bar oder gemeinsame Cocktailabende mit den Ehefrauen Terry (Laura Dern) und Edith (Naomi Watts), welche sich ebenfalls blendend verstehen und genauso über jede Form der Abwechslung dankbar sind, wenn die Kinder erst einmal versorgt und zu Bett gebracht sind. Von außen erscheinen beide Familien nahezu perfekt, doch wie es nun mal so ist, leiden sie hinter der Fassade an Monotonie, Traurigkeit und Langweile, nachdem die große Verliebtheit mit den Jahren dem tristen Alltag gewichen ist, welcher hauptsächlich vom Aufziehen der Kinder und Arbeiten für den Lebensunterhalt geprägt ist.
Zwar liebt Hank seine Frau und Tochter über alles, doch letztendlich widmet er seiner Arbeit deutlich mehr Aufmerksamkeit. Sein aktuelles Buchprojekt, mit dem er einfach nicht vorankommt, interessiert ihn offenkundig mehr als die Stimmungslage innerhalb der Familie, welche er kaum noch wahrzunehmen scheint. Edith wirkt ebenfalls eher reserviert, denn ihr Haushalt ist nüchtern, sauber sowie fast ohne Wärme geführt und eingerichtet – ganz im Gegensatz zu Terry, die sich aufopfernd um ihre Familie kümmert und die damit verbundenen Begleiterscheinungen wie Chaos oder Stress tapfer in Kauf nimmt. Was letztere jedoch nicht weiß, ist dass Jack und Edith eine Affäre miteinander haben. Beide sind sich darüber bewusst, dass ihre Beziehung früher oder später auffliegen wird – doch als genau das schließlich geschieht, reagieren alle Beteiligten anders, als man es erwarten würde…
Der Film basiert auf den beiden Geschichten „Adultery“ und „We Don't Live Here Anymore“ von Andre Dubus, dem Autor des preisgekrönten Dramas „In the Bedroom“. Von der ersten Szene an, als man die Pärchen auf einer Party kennen lernt, hat man das Gefühl, dass hinter der Oberfläche etwas brodelt, was einem schon kurze Zeit später bestätigt wird. Es geht um Entwicklungen wie Routine oder Kommunikationsmüdigkeit, welche mit der Zeit (im Laufe etlicher Ehejahre) mehr und mehr zum Teil des Lebens und gegenseitigen Miteinanders geworden sind. Die Akteure sind keine experimentierfreudigen Teens mehr, sondern gestandene Persönlichkeiten, die sich selbst nichts vormachen (sie sind sich beispielsweise klar darüber, dass sie früher oder später erwischt werden) und ausschließlich ihre Umwelt belügen. Das Fremdgehen ist eine direkte Folge der geführten Beziehungen: Jack kann das Chaos bei sich daheim kaum noch ertragen, Edith und Hank haben sich schlichtweg auseinander gelebt. Ihre Affäre dient der Suche nach einem flüchtigen Glücksgefühl, nicht etwa nach Liebe oder purer Lust. Im Verlauf erkennt man jedoch, dass es sich auf eine gewisse Weise nur um ein weiteres Element der ohnehin kaum noch zu rettenden Ehen handelt. Die Frage ist, wie die Beteiligten am Ende aus der Situation hervorgehen…
Die Inszenierung von Regisseur John Curran („Praise“) ist präzise und konzentriert sich ohne ablenkendes Drumherum ausschließlich auf die Figuren, welche als ganz normale Menschen mit allen dazugehörigen Stärken, Schwächen, Geheimnisse, Bedürfnisse und Sehnsüchte präsentiert werden. Von der Besetzung her hat man jedenfalls alles richtig gemacht: Die vier Hauptdarsteller liefern durchweg hervorragende Leistungen ab – allen voran Laura Dern (“Wild at Heart“/“Jurassic Park“), die man in den letzten Jahren viel zu selten zu Gesicht bekommen hat. Sie verkörpert Terry voller Wärme und offenbart ihre Emotionen am deutlichsten. Ihre gemeinsamen Szenen mit Mark Ruffalo (“Collateral“/“In the Cut“) gehören zu den stärksten Momenten, etwa als sie ihn mit ihren Befürchtungen konfrontiert und er sie belügt sowie gar selbst für alles verantwortlich macht. Naomi Watts (“the Ring“/“21 Grams“) beweist erneut ihr Talent in einer dramatischen Rolle, der charismatische Peter Krause (TV´s „Six Feet under“) lässt viel von seiner Serienrolle mit einfließen, was in diesem Fall tatsächlich auch gut passt.
Die Figuren bilden den starken Kern, welchen die Schauspieler effektiv stützen. Die Interaktionen entscheiden über alles, Gefühle werden teilweise einfach ausgeblendet. Die Kinder bekommen das sehr schnell mit, lange vor den eigentlichen Partnern. Als Zuschauer kann man zu Hank und Edith wegen ihrer unehrlichen und zynischen Art weniger eine sympathisierende Beziehung aufbauen – dann schon eher zu Terry und Jack. Die Szene, als letzterer beim Joggen mit Hank durch ständig aufblitzende Erinnerungen ans Fremdgehen mit der Frau seines Freundes konfrontiert wird und sich daraufhin in einer Mischung aus Wut und Schuldgefühlen übergeben muss, bleibt im Gedächtnis hängen. Er ist zudem die einzige Figur, die der Film einen inneren Monolog zugesteht. Die authentischen Dialoge vervollständigen schließlich das dichte emotionale Gesamtbild.
Derartige Filme funktionieren am besten, wenn sie die Handlung neutral präsentieren und nicht über die Figuren richten, welche quasi als Opfer der Gesamtheit der Umstände aus dem Bauch heraus handeln, so wie eine Mehrheit es sicher ebenfalls tun würde. „House of Sand and Fog“ ist ein weiteres, wenn auch letztendlich gelungeneres Beispiel einer derartigen Herangehensweise. Am Ende wird man mit einem bestenfalls ernüchterten Eindruck zurückgelassen, denn wie im echten Leben können aus solch einer Situation keine wirklichen Gewinner hervorgehen. Die Handlung hat man bewusst einfach gehalten – sie ordnet sich ganz den Figuren und dem Kontext unter. In einer Szene wird angedeutet, Jack könnte eventuell die Kontrolle über sich verlieren und gar die Kinder dramatisch mit reinziehen, was ein eigenartiges Gefühl hinterlässt. Der Ausgang der Geschichte ist, wie in der Realität gängig, nicht vollkommen ausgearbeitet und abgeschlossen – es gibt keine finale Lösung für alle Konflikte, wodurch sich der Zuschauer selbst Gedanken dazu machen kann und muss…
Fazit:
„We don´t live here anymore“ ist eine realistische, ernsthafte und zutiefst ernüchternde Auseinandersetzung mit dem Thema Eheroutine (inklusive verschiedener Handlungsmöglichkeiten und Konsequenzen), die von den hervorragend ausgearbeiteten und portraitierten Charakteren getragen wird sowie von Regisseur John Curran mit der nötigen Ruhe und Neutralität umgesetzt wurde … 7 von 10