FBI-Novizin Lee Harker gilt als „highly intuitive“. Will heißen, dass sie über ein starkes Bauchgefühl verfügt, auf das sie sich bei ihren Ermittlungen verlässt. Auf die Spur eines Serienkillers gesetzt, nimmt sie bald schon übernatürliche Schwingungen wahr – und der Täter die Ermittlerin.
LONGLEGS ist im Sommer 2024 der meist gehypte Horrorfilm des Jahres, wird als eine Art SILENCE OF THE LAMBS meets SINISTER positioniert. Das liegt unter anderem an seiner suggestiven Werbekampagne – der Trailer ist ein Kunstwerk in sich selbst, das kurze Momente des Films zu einer manipulativen Montage kombiniert. Interessanterweise wurde das Marketing aus der Not heraus geboren, dass Perkins den größten Star des Films aus den Vorankündigungen heraushalten wollte. Entsprechend hoch waren die Erwartungen an die Figur „Longlegs“, die Nicolas Cage verkörpert.
Osgood Perkins ist ein Stilist. Bereits in seinem Vorgängerfilm GRETEL & HANSEL stand Style über Substance. In LONGLEGS nähern sich beide zumindest an. Jedes Bild ist streng durchkomponiert, die Kamera ist selten in Bewegung, der Blick ist der eines unbeteilgten Beobachters. Man ahnt, dass Kubrick hier als Vorbild gedient haben könnte, THE SHINING ist eine Inspiration, die Perkins offen anführt.
Die Geschichte beginnt als spannendes „Procedural“, wobei man bei der Ermittlungsarbeit als mitdenkender Zuschauer in Sachen Logik schon mal beide Augen zudrücken und die fehlende Nachvollziehbarkeit einfach darauf schieben muss, dass Lee eben ihrer Intuition folgt – und nicht den Anforderungen stringenter Polizeiarbeit.
Was LONGLEGS anfangs tatsächlich gelingt, ist eine nahezu durchgehend beunruhigende Stimmung zu erzeugen. Doch diese bricht ironischerweise dann auf, wenn der bis dahin nur angedeutete und außerhalb des Bildrandes stattfindende Schrecken ein Gesicht bekommt – das von Nicolas Cage. Wobei es gar nicht Nicolas Cages Gesicht ist. Der Star ist hinter einer Maske aus Makeup verborgen, die gar nicht so schreckenerregend ist, dass sie die aufgebaute Erwartungshaltung verdient hätte. Sondern einfach nur…weird.
Cage macht seine Sache durchaus gut, spielt nicht seine übliche Klaviatur, auch wenn seine Performance natürlich auch hier wieder an der einen oder anderen Stelle durch die Decke geht. Er ist eben nur nicht angsteinflößend. Es ist Nicolas Cage! Einen unbekannteren, weniger „vorbelasteten“ Schauspieler zu besetzen oder Longlegs wirklich im Off zu lassen, hätte der Atmosphäre des Films womöglich gut getan.
Doch das ist nicht der einzige Grund, weshalb LONGLEGS zwar durchaus spannend und interessant, aber eben bei weitem nicht der „schreckenerregendste Film des Jahres“ ist: Die Auflösung der Geschichte ist schlichtweg zu logisch.
Während gute, wirklich furchteinflößende Horrorfilme immer einen guten Teil Unerklärliches im Kopf des Zuschauers zurücklassen (siehe beispielsweise THE SHINING, HEREDITARY und andere Referenzen des „elevated horrors“), scheint LONGLEGS am Ende auf alle Geschehnisse eine in seinem Sinne klare Erklärung parat zu haben. Auch wenn diese den Film – ähnlich wie das schon bei GET OUT der Fall war – auf das Niveau eines trashigen B-Movies herunterzieht (von wegen „elevated“). Das, was hier als eine Art übersinnliche Mechanik präsentiert wird, macht im Endeffekt sogar ein Sequel, ein Prequel oder ein Spin-Off denkbar. Kubrick würde sich im Grab rumdrehen.