Review

„Das Wunder von Okinawa“:
Wir präsentieren ihnen die erste Halbzeit eines hart umkämpften Spiels. Jede Menge Blutgrätschen sind garantiert.

Die „Viper Assasination Squad“, angeführt von Bill (David Carradine, in den 70ern Star in der TV-Serie „Kung Fu“), bestehend aus Elle Driver (die ehemalige Nixe Darryl Hannah), Budd (Michael Madsen) und zwei weiteren Amazonen (Vivica E. Fox und Lucy Liu) und unterstützt von den „Wilden 88“ und weiteren Spielern tritt an gegen: Die Braut (Uma Thurman) und ihre nicht sehr zahreichen Freunde.

Hier eine Zusammenfassung der Höhepunkte der ersten Hälfte:
Früh ging Bill mit seiner Mannschaft mit 9:0 in Führung, wobei er sich zuweilen recht unfairer Mittel bediente und alle Spieler aus der Mannschaft der „Braut“ unsanft aus dem Spiel warf. Nach einem Kopfstoß gegen die Braut musste das Spiel fast abgebrochen werden. Nach einer längeren Verletzungspause kehrte die Braut jedoch aufs Spielfeld zurück und gewann im Verlaufe des Spiels durch jede Menge Kampf ein spielerisches Übergewicht. Lucy Liu und Vivica E. Fox mussten mit irreparablen Verletzungen das Spielfeld verlassen und werden wohl nie wieder antreten. Auch die „Wilden 88“ werden in ihrer Originalbesetzung so wohl nie wieder zusammenspielen. Ja sogar ein Mitglied ihres eigenen Ärztestabes wurde im Übermut durch die Braut so sehr verletzt, dass er sich vielleicht gewünscht hätte, eine Berufsunfähigkeitsversicherung abgeschlossen zu haben. Trainer der „Braut“ Tarantino nach dem Spiel: „Die rollenden Köpfe sind rund und der Film dauert 105 Minuten!“.

Was Regisseur Tarantino mit seinem neuen Film „Kill Bill Vol. 1“ veranstaltet, ist tatsächlich so eine Art Spiel, ein Spiel mit den Elementen seiner filmischen Vorbilder, den Kung Fu- und den Schwertkampf-Filmen und den Italo-Western, denen er hier zum ersten und auch nicht zum letzten Mal seine Referenz erweist, denn: In february 2004 the bride will definitely kill Bill!

„Kill Bill Vol. 1“ ist gleichsam eine 105-minütige Zitatensammlung.

Schon bevor der Film richtig begonnen hat, fühlt man sich in einen billigen fernöstlichen Martial-Arts-Film versetzt. Die Einblendung der Produktionsfirma erfolgt auf einem billigen einfarbigen Hintergrund, untermalt mit einer typischen Musik. Kurze Zeit später, immer noch vor dem eigentlichen Film, wird ein Zitat eingeblendet: „Rache wird am besten kalt serviert.“ Der Clou daran ist die Erklärung der Herkunft des Zitates: Es handelt sich dabei um ein „altes klingonisches Sprichwort“. Wie alle Filmfans bemerkt haben werden, kommt das Sprichwort aus der fiktiven Star Trek-Welt. Das Sprichwort ist also eine erste Andeutung davon, dass es sich bei „Kill Bill Vol. 1“ nicht um ein reales, sondern um ein künstliches Produkt handelt, was dem Regisseur angesichts der im Film dominieren - den Gewalt zwar positiv anzurechnen ist, aber die explizite, verherrlichende Darstellung der Gewalt in diesem Umfang auch nicht nötig erscheinen lässt oder gar rechtfertigt.
Der Schwertkampf-Film wird durch reichlich vorhandene Schwertkämpfe zitiert. Der Kung Fu-Film ist in Form einiger Kampfeinlagen vertreten. Und aus dem Italowestern stammen die sich gegenüberstehenden, wortkargen Helden, die, wenn sie dann mal reden, auch nichts besonders sinnvolles sprechen, und die Großaufnahmen der Gesichter. Außerdem wird dann und wann auch schon mal ein sehr harter, hier sicher bewusst unsauberer Schnitt eingefügt, wie das in den Italo-Western üblich war.
Aber auch durch die genial zusammengestellte Musik erweist Tarantino den genannten Filmgenres seinen Respekt. Da tauchen Film-Themen von Ennio Morricone auf, die Titelmusik von Django und das Thema der Fernsehserie „The green hornets“ mit Bruce Lee sind zu hören, aber auch „Santa Esmeralda“, japanische „Dudelmusik“, Musik von Quincy Jones aus den Blaxplotation-Filmen der 70er Jahre und sogar James Last sind im Soundtrack vertreten, der teilweise sehr interessant zu den Filmszenen montiert wird, z. B. hört man die Westen-Musik zu den Schwertkämpfen mit den „Wilden 88“ und „Santa Esmeralda“ zum Schlussduell zwischen der Braut und Lucy Liu.
Weitere Zitate sind z. B. der Kampfanzug der Braut, den Bruce Lee in seinem letzten Film trug, und die Flugeinlagen der Schwertkämpfer aus „Tiger & Dragon“, doch während sie bei „Tiger & Dragon“ philosophisch-symbolischen Charakter hatten, sind die hier, wie wohl auch meist in den Vorbildern, lediglich Akrobatik.
Aber nicht nur Filme aus Tarantinos Lieblings-Genres kommen in „Kill Bill Vol. 1“ zu ihrem Recht eines Zitates, nein, auch andere Filme lassen sich wieder entdecken:
- der Kampf der Braut gegen die „Wilden 88“ erinnert an den Kampf von Neo gegen Agent Smith und seine Doppel-gänger in „Matrix Reloaded“
- die abgetrennte Schädeldecke gab’s kürzlich in „Hannibal“
- eine Lippe wurde grad neulich auch schon in „Roter Drache“ abgebissen
- die Figur des Sheriffs samt Sohn Nr. 1 ähnelt sehr der Figur des Sheriffs aus „Ein ausgekochtes Schlitzohr“
Tarantinos Selbstbewusstsein - Oder sollte man lieber Selbstverliebtheit sagen? - kommt nicht nur durch die Erläuterung zu „Kill Bill Vol. 1“ als „the 4th film of Quentin Tarantino“ zum Ausdruck, sondern auch durch jede Menge Zitate bei sich selbst, z. B. durch die:
- Wiederverwendung von Schauspielern (siehe Uma Thurman aus „Pulp Fiction“, Michael Madsen aus “Reservoir Dogs“)
- Verschachtelung der Handlung (siehe „Pulp Fiction“)
- Person im Kofferraum (siehe „Pulp Fiction“, „Jackie Brown“, „Reservoir Dogs“)
- Verwurstung eines irren Alltagsverbrechers, hier in Gestalt des Pflegers (siehe den Ladenbesitzer in „Pulp Fiction“)
- Recycling ehemaliger Stars, hier in Gestalt von John Carradine (siehe Pam Grier und Robert Forster in „Jackie Brown“, John Travolta in „Pulp Fiction“)

Die Handlung von „Kill Bill Vol. 1“ besteht eigentlich zu 90 % aus Kampf. Die Kampfszenen bieten choreografisch nichts, was es nicht so oder so ähnlich schon mal gegeben hätte.
Die Kämpfe werden unterbrochen von einigen mehr oder wenigen nötigen und einigen mehr oder weniger originellen Szenen.
Völlig unnötig ist z. B. die Sequenz mit dem Pfleger. Während der Ladenbesitzer in „Pulp Fiction“ Butch (Bruce Willis) die Möglichkeit gab, seine Schulden bei Marcellus Wallace zu begleichen, also insofern noch einen dramaturgischen Zweck erfüllte, hat der Pfleger in „Kill Bill Vol. 1“ nur die Funktion, pervers, sadistisch und böse zu sein, um dann von der Braut nicht minder sadistisch massakriert werden zu können.
Genau so unnötig ist auch die Freilegung des Gehirns von Lucy Liu. Der einzige Zweck dieser Aktion, war, neben der Zurschaustellung von extremer Gewalt, die Demonstration der Schärfe des Schwertes der Braut. Aber hier hätte es statt des Schädels von Lucy Liu sicher auch ein Gegen-stand getan.
Auch die aus „Pulp Fiction“ übernommene, zugegebenermaßen wieder sehr gute Verschachtelung der Handlung war nicht nötig. Der einzige Effekt, der dadurch erzielt werden konnte, ist, dass man am Anfang sieht, dass Lucy Liu auf der Todesliste der Braut schon gestrichen ist und deshalb auch klar ist, dass der Kampf am Ende des Films zeitlich vor dem Kampf mit Copperhead liegt. Die Verlegung des Kampfes an den Schluss kann nur den Grund gehabt haben, dass Tarantino das größte Gemetzel am Ende des Films haben wollte.
Die Schilderung der Lebensgeschichte von Lucy Liu in Form eines Mangas gehörte sicher zu den originelleren Ideen des Films, inklusive solcher kleinen Einblendungen wie „Whimper“, was soviel heißt wie „Seufz“, wenngleich das Manga natürlich wieder viel zu blutig geraten ist. Was sollte das?
Die schönsten Szenen in „Kill Bill Vol. 1“ sind bei all dem Blut und Sadismus deshalb dann auch die Szenen, in denen gerade nicht gekämpft wird, in denen Tarantino zu dem zurückkehrt, was er am besten kann: Coole und witzige Dialoge!
Wunderbar die Szenen mit Uma Thurman und Sonny Chiba - ein anderes Zitat in Menschengestalt, denn Chiba war Hauptdarsteller in ultrabrutalen Martial-Arts-Filmen aus Japan -, in denen Chiba Thurman ein wenig Unterricht in japanischer Sprache und Kultur gibt. Auch die „Wackel’ mit dem großen Zeh!“-Szene von Uma Thurman, in die das Manga sehr schön eingebunden ist, ist Tarantino at his best. Auch in der Szene, in der die Braut und Copperhead gerade mit Messern aufeinander losgehen wollen und dann plötzlich die Tochter von der Schule nach Hause kommt, zeigt sich die Klasse des alten Tarantino.
Auch kleinere Einfälle, die in den Film eingestreut sind, beweisen, dass Tarantino wenigstens noch etwas der Alte ist:
- die vier Sonnenbrillen auf der Frontablage des Wagens des Sheriffs
- die Veränderung der Helligkeit beim Abziehen der Sonnenbrille
- die schmatzende Mücke
- die Veränderung von Schwarz-Weiß zu Farbe durch das Blinzeln der Braut
- das rote Kreuz auf der Augenklappe von Darryl Hannah
- der plötzlich liegende Schnee beim Duell zwischen Liu und der Braut
- die verwendeten Namen (die „wilden 88“, Sophie Fatale, usw.)
- das plötzlich vorhandene blaue Licht beim Kampf der Braut gegen den Rest der „wilden 88“
- der Piepton über dem richtigen Namen der Braut
Weniger originell sind leider die Charaktere in „Kill Bill Vol. 1“ geraten. Neben dem Charakter der Braut bekommen nur der von Lucy Liu (in Form des Mangas) und der von Sonny Chiba etwas Raum. Einzige Ausnahme: Die liebevoll gestaltete Figur des Sheriffs, der leider (noch?) zu wenig Spielzeit bekommen hat. Alle anderen Figuren gucken entweder böse oder psychopatisch, was schauspielerisch nicht gerade besonders anspruchsvoll ist. Deshalb sollte man auch keine schauspielerischen Glanzleistungen wie in „Pulp Fiction“ erwarten. Charaktere und Drehbuch geben dafür zu wenig her. Uma Thurman zeigt souverän Todes-angst in der Eröffnungssequenz, vollkommen überzogene Trauer bei der Erkenntnis, dass sie ihr Kind verloren hat, dann plötzlich Jungmädchencharme bei Sonny Chiba und am Ende kann sie auch noch ziemlich böse gucken, als es gegen die „wilden 88“ geht. Ausgewogen oder glaubwürdig ist das alles jedoch nicht.

Seltsam mutet die Wahl von farbiger und schwarz-weißer Gewalt-Darstellung an. Unterschiede in der Drastik der Gewalt sollten damit sicher nicht zum Ausdruck gebracht werden, denn die sind nicht feststellbar.
Ebenso bleibt unklar, warum ganz am Ende des Films kurz Budd und die Braut, zusammen mit Bill, eingeschnitten wurden. Die Szenen wirkten irgendwie fehl am Platz.
Und so toll, wie überall zu lesen war, war der Cliffhanger am Ende des Films nun auch wieder nicht, obwohl der und auch die anderen offenen Fragen des Films schon etwas Neugierde auf „Kill Bill Vol. 2“ wecken, z. B.:
- Warum wollte Bill eigentlich die Braut umbringen lassen?
- Was ist mit Sophie Fatale geschehen?
- Welche Rechnung hat Sonny Chiba noch mit Bill offen?
Weniger neugierig macht die völlig unnötige und auch nicht durch die genannten Vorbilder zu rechtfertigende exzessive Darstellung von Gewalt!
Die teilweise überdrehte Darstellung, welche die Gewalt fast komisch erscheinen lässt, verharmlost die Gewalt nur, was die Sache noch schlimmer macht. Da nützen auch die zitathaft wild und hirnlos anrennenden Gegner nichts. Die Tatsache, dass z. B. bei Monty Pyton in „Die Ritter der Kokosnuss“ die Abtrennung von Gliedmaßen (ein weiteres Zitat!) eines Ritters komisch wirkte, kann hier nicht als Entschuldigung gelten, denn in dem genannten Film kam eine solche Szene nur ein einziges Mal vor und war deutlich als schwarzer Humor gekennzeichnet. In „Kill Bill Vol. 1“ wird die Gewalt leider viel zu selten ironisiert und als falsch entlarvt. Hier eifert „Kill Bill Vol. 1“ dann auch konsequent seinen Vorbildern, den Italo-Western und den Schwert-Kampf-Filmen, nach. Aber für einen guten Film reicht es eben nicht aus, schlechte Vorbilder gut zu zitieren, sie müssen auch aus kritischer Distanz bewertet oder weiterentwickelt werden. Als Beispiele seien hier die Filme „Chinatown“ und „Tanz der Vampire“ von Roman Polanski genannt, im Gegensatz zu Tarantino ein wahrer und kein eingebildeter Meisterregisseur. „Chinatown“ zitiert die Kriminalfilme der „Schwarzen Serie“ aus den 30er und 40er Jahren, entwickelt die typischen Charaktere weiter und liefert zudem noch eine komplexe Story. „Tanz der Vampire“ ironisiert die Vampirfilme und fügt den Klischees des Genres weitere Deutungen hinzu. Das alles findet in „Kill Bill Vol. 1“ nicht statt. Nun sind aber „Chinatown“ und „Tanz der Vampire“ auch Klassiker der Filmgeschichte. „Kill Bill Vol. 1“ wird diesen Status auch unter zusätzlicher Betrachtung von „Vol. 2“ niemals erreichen.
„Kill Bill Vol. 1“ ist letztlich „nur“ eine handwerklich und stilistisch perfekt arrangierte Zitatensammlung, in der die brillanten Dialoge aus „Pulp Fiction“ durch brutale Kampfszenen ersetzt wurden.
Vielleicht kehrt Tarantino aber in der zweiten Halbzeit wieder zu diesen peppigen Dialogen seiner früheren Filme und damit auch zu seiner alten Qualität zurück. In der gegnerischen Mannschaft stehen ja einige hoffnungsvolle Auswechslungen an: „Nach dem Film ist vor dem Film!“
Wegen der exzessiven Gewalt gibt es mit Tarantino-Bonus gerade noch 6/10 Punkte.

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