Review

6 Jahre mussten wir auf Quentin Tarantinos nächsten Geniestreich warten. Die Erwartungen waren, angesichts seiner bisherigen Werke „Pulp Fiction“ und dem etwas zu dialoglastigen „Jackie Brown“, hoch, so dass er schon etwas ganz Besonderes präsentieren musste. Mit „Kill Bill“ verwirklichte er letzten Endes seine persönliche Hommage an das
Eastern-Kung-Fu-Kino der 60er und 70er Jahre, dem er schon in der ersten Szene mit dem Logo der Shaw Brothers, das wohl prägendste Studio dieser Ära, Tribut zollt.

So einfach wie der Titel ist auch der, in Eastern oft verwendete, Plot „Wunsch nach gnadenloser Rache“ um die Black Mamba (Uma Thurman, wegen ihrer Schwangerschaft verschob Tarantino den Dreh extra um Jahre, bis sie wieder in Form war), die während ihrer Hochzeit vom Deadly Viper Assassination Squads nebst Ehemann, Priester und Trauzeugen getötet wurde und aus dem Koma erwacht ist, um ihre ganz persönliche Shitlist, auf der an letzter Stelle der titelgebende Bill (David Carradine) stehen wird, abzuarbeiten. Von ihm bekommt man im ersten Teil freilich, abgesehen von seinen Händen noch nichts zu sehen, so dass allein schon aus diesem Grund die Spannung auf den zweiten Teil gewaltig ist.

Inszenatorisch entfernt sich Tarantino völlig vom Stil seiner früheren Werke, wenn man mal von der durch Einblendungen klar gemachten Kapitelunterteilung, das Wechseln zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Locationerklärungen, sowie der bekannten „Red Apple“ Werbung und dem Kofferraummotiv, absieht. Hier erweist er sich als Kenner jeglicher Kultfilme, denen er ausführlich seine Referenz erweist, um schon zu Beginn ein hohes Tempo vorzulegen. Jedes Kapitel besitzt seinen eigenen Stil, angefangen beim noch recht realitätsnahen, ersten Racheakt im Haus von Vernita Greens (Vivica A. Fox) bis zum abstrakten, bluttriefenden, aber schlichten Anime mit Italowesternmusikbegleitung zur Filmmitte hin, hat hier jeder Part seine eigene Stimmung und Atmosphäre, über der Tarantinos Einfallsreichtum kreist.

Bei all’ seinem Hang zur Hommage vergisst er aber nie seinen, eigenen, etwas makaberen Humor treu zu bleiben, welchen er aber nicht immer passend platziert. Ist die urplötzliche Unterbrechung für einen Kaffeeumtrunk in Greens Haus zu Beginn noch eine überraschende wie amüsante Idee, so erweist sich in einer späteren Episode, in der die Black Mamba aus dem Koma erwachend, einem nekrophilen Vergewaltiger die Unterlippe abbeißt als ein wenig befremdend und schrill, schon fast als ein Zugeständnis an den Mainstream, um ihn mit grotesken Einfällen zu unterhalten.

Keine Figur scheint hier zufällig oder überflüssig, sondern mit Bedacht gewählt, bekommen sie doch alle ihre eigene Geschichte, die den Film auf diese unglaubliche Länge wachsen lassen. Die interessantesten Charaktere Budd (Michael Madsen, mit dessen Charakter Tarantino genüsslich und bewusst spielt) und Elle Driver (Daryl Hannah) werden jedoch, trotz süchtig machender Kurzauftritte, erst im zweiten Teil in aller Ausführlichkeit behandelt. Neben diesen Exzentrikern erscheint die gleich zu Beginn abgefertigte Vernita Green schon fast wie eine Eintagsfliege ohne sonderliches Profil. Insbesondere, wenn im Finale die eindrucksvolle Go Go Yubari (Chiaki Kuriyama, variiert ihre Rolle in „Battle Royale“ kaum und erinnert thematisch an „Fudoh) gegen Black Mamba, die im Finale eine, an Bruce Lees Trainingsanzug in „Game of Death“ erinnernde Kluft trägt, antritt und ihr sogar Respekt zollt. Übrigens der wohl am besten choreographierte, nicht aber am besten gefilmte Kampf, den wohl Uma Thurman und Lucy Liu zu verbuchen haben. Ihre, leider viel zu kurze und unspektakuläre Konfrontation, verpackt Tarantino, schon fast einem Gemälde gleichend, in eine Winterlandschaft, von der das rote Blut sich wie ein klarer Kontrast abhebt, wobei aber nicht vergisst, diesmal richtig platziert, einen Funken Humor mitschwingen zu lassen.


Als große Schwäche erweisen sich, zumindest in der deutschen Synchronisation, die Dialoge, die bei weitem nicht die Klasse seiner früheren Werke erreichen, obwohl solch ein Mammutdialog über eigentlich triviale Dinge mehrmals deutlich auszumachen ist, dabei aber seine pointenreiche Klasse vermissen lässt. So ist der Auftritt Michael Parks, der hier seine Rolle aus „From Dusk Till Dawn“ wieder aufleben lässt, für Kenner ein nettes Wiedersehen, doch der darauf folgende Dialog mit Sohn Nr.1 am Tatort dröge und ohne Klasse, hinterlässt schon fast den Eindruck von Füllmaterial, um die Mammutlänge zu erreichen.

Der oft erwähnte, zitierte und berüchtigte Härtefaktor erweist sich enorm und gibt den befremdlich hohen Grad an Gewalt im asiatischen Kinos mitreißend wieder. Insbesondere das Finale hat es in sich. Blut spritzt wie aus Fontänen aus abgeschlagenen Gliedmaßen und Stümpfen und aufgeschlitzten Bäuchen. Augäpfel werden herausgerissen und Wasserbecken verwandeln sich in einen blutigen See, während der Boden sich langsam in einen roten Teppich der Gewalt verwandelt. Ohne Rücksicht auf Verluste hält Tarantino ins Geschehen, dem sich kein Zuschauer entziehen kann, sofern er den Kinosaal nicht verlässt und nutzt die vom chinesischen Regisseur Chang Cheh erfundene Technik, die Schauspieler mit Blut gefüllten Kondome auszustatten, eckstatisch. Zu Beginn noch in Farbe, später mit S/W-Filter, vermittelt besonders das Finale, in dem Black Mamba gegen die „Crazy 88 Fighter“ (imo waren es weniger) antritt ein kurioses Bild der plakativen, comichaften Gewaltdarstellung des ehrwürdigen Easternkinos, so dass insbesondere Genrefans hier der Speichel auf die Hose tropfen dürfte, auch wenn Tarantino sich bei der Choreographie oft etwas zu modernen Elementen wie hektischer Schnitttechnik und Close Ups bedient, die keinesfalls zur sonst recht altmodischen Inszenierung zählen.

Die Musik war schon immer ein, wenn nicht das, Markenzeichen seiner Filme, welche seinen Werken seinen letzten Feinschliff gab und so verwundert es auch kaum, dass er hier ebenfalls mit viel Fingerspitzengefühl die richtigen Töne findet und dem Film mit ihnen Tempo wie Rhythmus vorgibt. Allein schon bei Nancy Sinatras „Bang Bang“ zu Beginn und während einer Sequenz, in der Lucy Liu mit ihrer Gefolgschaft zur Musik Hoteis, bekannt aus dem Trailer, in Zeitlupe durch einen Gang laufen, stellen sich die Nackenhaare hoch. Genrekenner werden aber sicher noch viele weitere Musikstücke wieder erkennen, die mir, abgesehen von Daryl Hannahs Pfeifen des „Twisting Nerve“ Themes, obwohl oft schon mal gehört, weitestgehend verschlossen blieben, ihren Zauber trotzdem entfalten konnten.

Da „Kill Bill“ ein eindeutig von Frauen dominierter Film ist, sind deren schauspielerischen Leistungen besonders hervorzuheben. Uma Thurman (arbeitete mit Freund Tarantino die Idee aus) macht als gnadenloser Racheengel eine gute Figur wie schon lange nicht mehr und vermittelt eine spürbare Ballung von Hass, Wut und unbezähmbaren Kampfesmut. Einen fast schon ebenbürtigen Gegenpol bietet da Lucy Liu, ständig beherrscht, unterkühlt und überlegen, wenn es sein muss aber genauso zielstrebig, sticht sie, fast immer in weiss gekleidet, nicht nur optisch aus dem Film heraus. Dagegen wirken Vivica A. Fox und Julie Dreyfus schon fast wie eine nette Salatbeilage während eines Drei-Gänge-Menüs. Unvergesslich bleibt, selbst für mich als Easternallergiker, der Cameo der lebenden Legende Sonny Chibas als Schwertmeister, der mit seinem/seiner unglaublichen Charisma und Präsenz selbst mit Unkenntnis beschlagenen Zuschauern schnell klar macht, dass er jemand ganz besonderes ist, während er nebenher noch asiatische Tugenden vermittelt.

Bei all’ seiner, längst fälligen Ehrerbietung (ohne die Kreativität des asiatischen Kinos, wäre Hollywood nie zu dem geworden, was es jetzt ist) für das Easternkino bleibt „Kill Bill“ dennoch, wenn auch nur leicht, hinter Tarantinos anderen Meisterwerken zurück und kann so wohl nur von Genrefans als unumstößliches, perfektes Meisterwerk ohne Fehl und Tadel in den Himmel gelobt werden. Das relativ banale Drehbuch wird nur durch seine Verschachtelung interessant, ist ansonsten nur ein simpler Racheplot, bei dem jedes Opfer vorher seine Geschichte bekommt und wenig später gerichtet wird. Doch trotz dieser Geschichten will kein so rechtes Interesse für die Figuren aufkommen, die scheinbar in ihrem Zustand konserviert bleiben und keine Entwicklung vollziehen. So präsentiert Tarantino zwar ungemein viel Eyecandy, das den Zuschauer beim Kinobesuch hinwegfegen dürfte, aber näher betrachtet, auch aufgrund fehlender Dialogklasse wenig Substanz unter dieser hübschen Oberfläche besitzt, was einen, wenn auch entfernten Vergleich, mit der gängigen Mainstreammethode „Optik herrscht! Wer braucht schon Tiefe…“zulässt.


Fazit:
Dank Kameraikone Robert Richardson („Platoon“, „Casino“, „U-Turn“) gelang, dem berechnenden Quentin Tarantino ein visuelles Meisterwerk, das bei seinen eingefleischten Fans sicherlich für Verzückung sorgen dürfte und viele verschiedene Stile zu einem Gesamtwerk zusammenführt. „Kill Bill“ ist von Anfang bis Ende eine, mit authentischen Sets versehene, Hommage ans asiatische Kino, wobei ich das Flair von Italowestern, wie auchn den Zauber und die Einzigartigkeit der Vorbilder aber weitestgehend vermisst habe. Trotz seiner optischen Superlative wie den Schwertkämpfen ist dieses ambitionierteste Werk gleichzeitig sein schwächstes, dem ich eventuell Zugeständnisse bezüglich der Gewinnspanne erst nach Kenntnis des zweiten Teils unterstellen möchte, da einige Szenen ein wenig wie Füllstoff wirkten und längere Dialoge nicht die Ausgefeiltheit seiner früheren Werke besaßen.

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