Es fällt schwer ein paar Worte über einen Film zu verlieren, der so fragil und kristallin wirkt wie „Lost in Translation“, ohne Gefahr zu laufen, ihn damit zu zerstören.
Natürlich kann man eine Hymne anstimmen, denn eigentlich beschreibt der ganze Film nur einen Tropfen Zeit irgendwo auf der Welt, eine zufällige Begegnung, eine leichte Parallelität der Schicksale, ein Sich-Kreuzen der Bahnen, eine Momentaufnahme zweier Innenleben und damit zweier müder Seelen, die eine alt, die andere jung.
Wie leicht ist es gleichzeitig, ihn abzulehnen, wegen seiner offensichtlichen Handlungsarmut, seiner Belanglosigkeit, seiner Leere. Aber in anbetracht der überall grassierenden Zivilisationskrankheiten wie Streß, Hektik, Lärm, Unruhe bietet Sofia Coppolas Film gleichzeitig einen schier meditativ-ruhigen Punkt im Chaos an, an dem jeder für etwas mehr als anderthalb Stunden in sich gehen kann, um sich in stillem Verstehen, in Anteilnahme und gefühlvollem Verständnis zu üben.
„Lost in Translation“ ist ein Film für die Stadtmenschen, die Kenner des Urbanen. In die tiefste Hölle, die sich jene ausdenken können, werden hier zwei Menschen verschlagen: Tokio, Hauptstadt und Moloch, eine sich endlos ausdehnende Stadtwüste, ein modernes Babylon, in dem doch hauptsächlich nur eine Sprache gesprochen wird und die ist leider nicht die, die sowohl Bill Murray als auch Scarlett Johansson beherrschen. Beide stranden für eine begrenzte Zeit im Nichts und das Fehlen jeglicher Verbindung zu dem sie umgebenden Gewimmel führt sie zur Auseinandersetzung mit sich selbst.
Murrays Bob Harris ist ein Schauspieler, der in seiner Midlifecrisis feststeckt. Sie hat ihn latent seiner Frau entfremdet und er spürt, das er in der Maschine Hollywood zu oft ins Leere tritt, da sein Gefühl ihm sagt, daß er eigentlich jetzt auf einer Bühne stehen könnte. Seine Situation ist ambivalent, denn eigentlich liebt er seine Frau, doch die Kommunikation will nicht mehr recht klappen. Er liebt auch seine Kinder, doch die können seine Aufopferung als Werbeobjekt noch nicht wertschätzen und strafen seine häufige Abwesenheit.
Johanssons Charlotte dagegen schwimmt noch im breiten Fluß der Möglichkeiten und ist dabei doch schon in einer Sackgasse angekommen. Beruflich unentschieden, aber schon verheiratet mit einem Mann, der ihre Emotionalität und momentane Zerbrechlichkeit einfach nicht erfassen kann, sterben ihre ursprünglichen Gefühle für ihn langsam ab.
So wissen beide nicht, was sie als Nächstes machen können oder werden, nur daß sie im Niemandsland gestrandet sind. Kaum jemand in Tokyo ist in der Lage, sie zu verstehen und praktisch durch Zufall (ihre gemeinsame grüblerische Schlaflosigkeit) entdecken sie ihre Gemeinsamkeit.
Behutsam, fast schüchtern erfolgt die Annäherung zweier Figuren, ein schier fragiler Tanz, der alles sein will, nur keine Romanze. Dafür kann man den Szenen nicht dankbar genug sein, denn stets schreit es einem entgegen, daß es hier nicht um ein Happy End, um Trennung und Zueinanderfinden geht, sondern um das gegenseitige Stützen und das Entdecken eventueller Möglichkeiten durch die Existenz des anderen. Es wird Berührungen geben, aber keinen Sex. Es wird Küsse geben, aber es werden Abschiedsküsse sein.
Die Frage, wie weit das gehen wird, bestimmt den Spannungsrythmus von Coppolas Film.
Wie eine Bogensehne überdehnt der Film immer mehr in punkto auf seine Protagonisten, ein spendierter Drink, eine angezündete Zigarette, ein gesungener Karaokesong, ein Kopf auf der Schulter, ein Tätscheln derselben, später dann nach einem schier endlosen Augenblick des Schweigens eine Hand, die kurz einen nackten Fuß berührt.
Beide fahren auf der Woge der Gemeinsamkeit mit dem anderen mit, bis sie erst zum Ende hin bemerken, wie sehr ihnen der jeweils andere nahe ist. Ihr (erster) Abschied im Fahrstuhl mit jeweils einem Wangenkuß pro Ausstiegsstockwerk ist so zärtlich-zurückhaltend, wie der finale Kuß mitten auf der Straße von Herzen kommen wird.
Murray war selten besser, wenn er sich und seinem Stil treu blieb, trocken und bissig-verzweifelt, während Johansson gerade noch den rechten Rest an teenagerhafter Lolitaaustrahlung besitzt, um eine Art elterliches Mitgefühl zu wecken.
Die scheinbare Gegensätzlichkeit bei gleichzeitiger Vertrautheit gebiert eine Reihe von Szenen, die so schlicht und wunderbar zugleich sind, daß sie noch lange zu jedermanns Lieblingsszenen gehören werden: Murray, der „More than this“ von Roxy Music croont, während Johansson das erste Mal aufgeht, wie nah ihr der Mann ist; das Gespräch liegend auf dem Bett, sie in Embryonalstellung er niedergestreckt wie von einer großen Flinte; die gemeinsame Ansicht, ausgerechnet von „Dolce Vita“ mit Anita Ekberg des Nachts; seine simple Erkenntnis in der vorletzten Nacht: „Ich will nicht gehen!“ und sein Blick aus unergründlich tieftraurigen Augen, wenn sich die Fahrstuhltüren vor ihr schließen.
Die Schlußszene jedoch wird all dies noch übertreffen, da sich in keiner Weise eindeutig ist, sondern ein Monument für ewige Diskussionen, was er ihr schließlich ins Ohr geflüstert haben mag, so daß für beide ein Lächeln bleibt. Ein Klassiker schon jetzt, hätte diese Szene nicht besser ausfallen können, denn jede offene denkbare Variante ist weniger schön als dieser rätselhafte Abschied.
Coppola hat einen ganz großen unter den kleinen Filmen gedreht, der intimer und herzergreifender ist als die üblichen bekannten Bilder von Liebesgeschichten. Was nicht hundertprozentig ins Bild passen will (zumindest nicht immer) sind einige abgenutzte Japan-Stereotypen, der Gegensatz von Ost und West, der stets nah der Grenze surft, die Japaner der Lächerlichkeit preisgeben zu wollen. Tokyo ist ein riesiges, buntes, ausgeflipptes Durcheinander und der Film wertet auch nicht, aber hin und wieder wirkt es wie das Mittel zum Zweck. Natürlich bietet das Skript so Murray Platz für seinen patentierten Humor, aber ihn gerade hier in alter Bestform zu erleben (beim Fotoshooting, beim Dreh, auf einer Laufmaschine, im Warteraum eines Krankenhauses) streut etwas Typisches, Bekanntes, fast Gewöhnliches in dieses wundersame Unternehmen.
Nicht jeder wird sich in dieser Verlorenheit wiederfinden können. Schwer vorzustellen, daß man Parallelitäten bei einer Figur entdeckt, die ihre Lebenskrise während eines Werbedrehs nimmt, der ihr 2 Millionen Dollar einbringt, während man selbst eventuell um seine Existenz kämpft. Aber rein reduziert auf den emotionalen Moment, das Einander-Berühren, gibt es wenig, was diesem zerbrechlichen Gebilde von Nähe und Wärme gleichkommen würde. (9,5/10)