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Charlotte begleitet ihren Mann, einen vielbeschäftigten Fotografen mit dem sie seit zwei Jahren fest liiert ist, nach Tokio. Generiert aus einem Gefühl der Einsamkeit und der lähmenden Ratlosigkeit, wohin ihr Lebensweg führen soll, schliddert Charlotte in eine Sinnkrise. Auf ihrer Suche nach etwas Höherem, das das Leben auszeichnen könnte, begegnet sie Bob Harris, einem alternden Schauspieler, der sich in Tokio wegen eines Werbeauftrags aufhält, den er sehr gering schätzt und nur wegen pekuniärer Interessen angenommen hat. Bob sieht seine berufliche Selbstverwirklichung eher auf der Bühne in der Interpretation seriöser Rollen.
Von ihrer physiognomischen Konstitution sehr unterschiedlich, teilen Scarlett und Bob, zwei Menschen, die vom Leben mehr erwarten, das selbe Schicksal. Und so entsteht aus anfänglicher plateaunischer Kumpelei eine tiefe Seelenverwandtschaft. Und so nimmt sich Bob eine Portion von Scarletts romantisch-idealistischer Verträumtheit und entdeckt damit wieder den Spaß am Leben und Scarlett macht sich eine Portion von Bobs ernüchterter Gelassenheit und seinem Zynismus zu Eigen und lernt über den Dingen zu stehen und nicht alles zu ernst zu nehmen.
Eine Entwicklung, die es legitim macht, auf den Film das geflügelte Wort "Der Mensch ist die Summe seiner Erfahrungen" anzuwenden. Der menschliche Charakter ist ergo nichts statisches, sondern kann sich, verursacht durch Begegnungen und Erlebnisse, in seiner Struktur verändern.

In LOST IN TRANSLATION geht es um die zufällige und schicksalhafte Begegnung mit einem Fremden, die sich ins Nichts verklären kann, aus der aber genauso gut, bei geringfügiger Abwandlung der Vorzeichen des Kennenlernens, mehr entstehen kann. Bob und Charlotte hätten sich wohl sehr viel unwahrscheinlicher in ihrer Heimat kennengelernt.
Der Film illustriert ferner den krassen Antagonismus, der sich aus der Anonymität und Einsamkeit des Individuums in der Metropole gegenüber der Vielzahl an Menschen in seiner Umgebung ergibt.

Der Trumpf des Werkes ist aber seine außerordentliche Fähigkeit auch große Gefühle und komplexe emotionale Zustände zu transportieren, wodurch ehrliche Empathie für die Protagonisten erzeugt wird. Erreicht wird dies durch die fast kammerspielartige, exklusive Fokussierung auf die Beziehung der zwei Hauptfiguren, die von Bill Murray und Scarlett Johansson glänzend verkörpert werden; so gibt es keine Szene, von der nicht Charlotte und/oder Bob tragender Bestandteil sind.

Aber wo Licht ist, ist auch Schatten: LOST IN TRANSLATION polarisiert, denn es verlangt vom Zuschauer trotz der Simplizität seiner Geschichte, vor allem wegen seiner ruhigen und fast schon langatmigen Umsetzung eine hohe Konzentration sowie einen Faible für zwischenmenschliche Konflikte. Anforderungen, die von aktuellen Produktionen an den Addressaten kaum gestellt werden. Auch verliert sich der Film bisweilen in ästhetischer Selbstdarstellung und unterbricht dabei den Erzählfluss.

Die Tochter des großen Francis Ford Coppola, Sofia, thematisiert mit LOST IN TRANSLATION existenzielle Fragen, den Wert von Freundschaft in einer individualisierten Gesellschaft und die Auswirkungen von Erfahrungen auf die Persönlichkeit des Menschen. Auch wenn dem Werk die üblichen Vorurteile gegenüber derartig reduzierten Filmen entgegenschlagen, kann sich LOST IN TRANSLATION behaupten, indem es die mitunter lähmende Melancholie durch amüsante Szenen aufbricht und so verhindert, dass der Zuschauer verloren (lost) geht.

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