„JFK“ war 1991 einer der größten Erfolge von Oliver Stone gewesen und gleichzeitig ein Ausdruck seiner anhaltenden Obsession für die amerikanische Gesellschaft, amerikanische Politik und amerikanische Präsidenten. Dass nur vier Jahre später „Nixon“ erschien, ist da fast folgerichtig.
Und wenn es um Richard Nixon geht, dann ist dieser Name untrennbar mit Watergate verbunden; ein Skandal, den Stone auch direkt an den Anfang seines Films setzt. Man hat die Handlanger von Richard Nixon (Anthony Hopkins) beim Verlegen von Abhörgeräten im Watergate-Hotel erwischt und die Aufarbeitung setzt dem Präsidenten zu, der auch ohne Bespitzelung der Demokraten einen Erdrutschsieg geholt hätte. Einer der Gründe, warum sich Nixon wie besessen an die Macht klammert, was ihm seinen nicht unverdient negativen Ruf einbrachte.
Doch nach diesem Ausblick auf den verhängnisvollen Skandal, der Nixon sein Amt, seine Karriere und seinen Ruf kostete, erzählt Stone die Geschichte vom Aufstieg und Fall des Republikaners weitestgehend chronologisch, gelegentlich durchbrochen von Zeitsprüngen wie etwa den Rückblenden in seine Kindheit. Aufstrebender Republikaner, Vizepräsident, verlorener Präsidentenwahlkampf gegen John F. Kennedy, Comeback mit erfolgreichem Wahlkampf nach Kennedys Tod und schließlich der Fall nach Watergate. Eine ganze Menge Stoff, selbst für drei Stunden Film, weshalb Kenntnisse der politischen und gesellschaftlichen Zeitgeschichte der USA, vor allem in den 1960ern und 1970ern, von großer Hilfe beim Verständnis des Films sind.
Dementsprechend wird der Zuschauer auch mit einer Vielzahl von Figuren bombardiert, die teilweise nur eine oder wenige Szenen im Film sind, aber von einem namhaften Ensemble porträtiert werden: J.T. Walsh, Powers Boothe, Mary Steenburgen, Larry Hagman, Tony Goldwyn, Kevin Dunn und und und sind teilweise für Bit-Parts dabei. Doch im Zentrum steht Anthony Hopkins als facettenreiche Verkörperung Nixons, der sich die Manierismen und Eigenheiten des Präsidenten so gut abgeguckt und angewöhnt hat, dass man die mangelnde Ähnlichkeit der Gesichter der beiden bald vergisst. Zu den wichtigsten Darstellern an seiner Seite gehören Joan Allen als leidensfähige Ehefrau, Paul Sorvino als Henry Kissinger und James Woods als politischer Berater H.R. Haldeman.
Tatsächlich ist der jeder Beteiligten auf der Höhe seiner Kunst, doch vor allem ist es Oliver Stones überraschend nuanciertes Script, das einzunehmen weiß, denn es verabschiedet sich vom reinen Bad-Guy-Image Nixons, auf das Stone als überzeugter Hollywoodlinker einfach hätte eindreschen können. Doch Stone zeichnet den Präsidenten als unter Minderwertigkeitskomplexen leidenden Kerl, geprägt von einer streng religiösen Erziehung, dem Verlust zweier Brüder an Tuberkulose und einem Machtstreben, das die eigene Unsicherheit kompensieren soll. Einerseits lässt er sich von der Partei bitten Präsident im zweiten Anlauf zu werden, andrerseits hält er eisern an der Macht fest und glaubt Gerüchten, dass Kennedy ihm den Sieg beim ersten Mal gestohlen habe. Denn auch die hässlichen Seiten Nixons und seines Umfelds zeigt Stone ungeschminkt: Die zunehmende Paranoia des Präsidenten, die in der Tonbandaufzeichnung der Gespräche in seinem Büro ihrer deutlichste Ausformung findet, der Rassismus und Antisemitismus, der in Gesprächs- und Kabinettsräumen herrscht, das fehlende Unrechtsbewusstsein beim Watergateskandal. Und dann sind da wieder die Momente, in denen Nixon zumindest behauptet (und wahrscheinlich auch selbst glaubt) er tue alles nur um dem amerikanischen Volk zu dienen oder die surreal anmutende Szene, in der Nixon versucht mit protestierenden Studenten ins Gespräch zu kommen und in erster Linie an seiner eigenen Unbeliebtheit und der mangelnden Gesprächsbereitschaft der Gegenseite scheitert.
So endet „Nixon“ dann auch fast versöhnlich mit den Spekulationen welche positiven Folgen Nixons fortgeführte Präsidentschaft bei Nichtrücktritt gehabt hätte, gerade seine Friedensbemühungen in Sachen Vietnam, was für Stone ja auch so ein Leib-und-Magen-Thema ist. Doch so ganz Stone dann doch nicht aus seiner Haut, wenn er jene Verschwörungstheorie, die er in „JFK“ offen befeuerte, hier subtil aufgreift: Dass JFK von militärisch-industriellen Komplex ermordet wurde, genau wie Bobby Kennedy. So raunen Figuren wie FBI-Boss J. Edgar Hoover (Bob Hoskins) oder ein nur als „Jack Jones“ vorgestellter Wirtschaftsboss („Dallas“-Star Larry Hagman in einer in Dallas spielenden Szene) immer wieder davon, dass sich Nixon um solche Gegenspieler keine Sorgen machen brauchen würde, die würden bald weg vom Fenster sein. Nixon wird als potentieller Mitwisser, aber nichts als Mitschuldiger gezeichnet, der den Industriellen in einer markanten Szene die Stirn bietet, sich als nicht so einfach käuflich herausstellt.
So ergeben sich bei aller Gemeinsamkeit eben auch Unterschiede zwischen den Präsidentenfilmen „JFK“ und „Nixon“. „JFK“ war der weniger facettenreiche, von Stones Idealismus und Überhöhung Kennedys getragene Film, aber gleichzeitig auch der zugespitztere, spannendere und filmisch aufregender montierte Film – ein Verschwörungsthriller, der sich durch die Konzentration auf ein Ereignis, nämlich Kennedys Ermordung, einfach fokussiert geben konnte. „Nixon“ ist der ausuferndere, trotz gelegentlicher fiebrigen Qualitäten sprödere Film, der eine lange Zeitspanne und Unmengen von Figuren in erster Linie in einem Dialogdrama abdeckt, dabei aber eine differenziertere Herangehensweise wählt. So mag „JFK“ unterm Strich vielleicht der spannendere, vielleicht auch bessere der beiden Filme sein, doch beide befinden sich ungefähr auf Augenhöhe.
Denn „Nixon“ ist ein durch die Bank weg grandios gespieltes Portrait gleichzeitig eines Präsidenten wie auch der amerikanischen Gesellschaft jener Zeit, zerrissen zwischen progressiven Strömungen und einem aggressiven konservativen Gegenschub, der Nixon als Präsidenten erst möglich machte, der so schon zwangsläufig zwischen den Stühlen saß. Diesem Fakt trägt Stone ebenso Rechnung wie allen Qualitäten und Fehlern seiner Titelfigur, auch wenn es gelegentlich in Spekulationen ausartet – trotz seiner Dialoglastigkeit ein faszinierender, trotz drei Stunden Laufzeit überraschend kurzweiliger Film, bei aller Spröde.