„Mein Leben will ich von dir zurück!“
Die am Neujahrstag 2024 erstausgestrahlte „Tatort“-Episode „Was bleibt“ ist der bereits 19. Fall für BKA-Ermittler Thorsten Falke (Wotan Wilke Möhring) und der 13. – und leider letzte – für seine Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz). Regisseur Max Zähle („Schrotten!“) inszenierte seinen nach dem Münsteraner Beitrag „Limbus“ zweiten „Tatort“ im Herbst 2022 nach einem dramatischen Drehbuch Marija Ercegs.
Der Hamburger BKA-Ermittler Thorsten Falke wird ausgerechnet während der Feierlichkeiten anlässlich seines 25-jährigen Dienstjubiläums von einem ihm unbekannten jungen Mann (Malik Blumenthal, „König der Raben“) um ein Treffen gebeten, während dem er ihn mit einem angeblich vor 20 Jahren abgegebenen Versprechen konfrontiert, aber trotz aggressiven Auftretens vage und rätselhaft bleibt. Anschließen sucht er den Architekten Björn Timmig (Gerhard Garbers, „Adelheid und ihre Mörder“) auf und lässt sich Geld von ihm geben. Seine nächste Station: Björn Timmigs Sohn Oliver (Hanno Koffler, „Die Saat“), der als Schreiner auf dem Dorf arbeitet. Doch nur zwei Tage später wird der Leichnam des Manns aus der Bille gefischt: Er wurde erstochen. Eine Brandnarbe an seinem Körper erinnert Falke an einen rechtsterroristischen Brandanschlag auf ein Jugendzentrum vor 20 Jahren. Damals hatte er das Flüchtlingskind Denis Demirović aus den Flammen befreit und ihm versprochen, den Brandstifter dingfest zu machen – was ihm jedoch nie gelang… Seine Kollegin Julia Grosz überlegt derweil, ob sie das Angebot annehmen soll, zum BKA Wiesbaden zu wechseln, und ermittelt ebenso interessante wie rätselhafte Zusammenhänge: Björn Timmig und seine Ehefrau Katharina (Leslie Malton, „Possession“) leiten eine Flüchtlingshilfsorganisation, haben jedoch vor etlichen Jahren den Kontakt zu ihrem Sohn Oliver und dessen Ehefrau Jasmina (Janina Elkin, „Stubbe – Von Fall zu Fall“) abgebrochen…
Der mit Zeitraffer- und Blitzeffekten bildästhetisch aufgepeppte „Tatort“ beginnt mit einem SEK-Einsatz, der lediglich insofern von Belang ist, als der unbekannte Mann diesem am Rande beiwohnt und sich dem Zugriff der Truppe entziehen kann. Wesentlich gemütlicher geht’s derweil in der legendären Kiezkneipe „Zum Silbersack“ zu, wo eine Überraschungsfeier anlässlich Falkes Dienstjubiläum steigt und Grosz ziemlich versiert „Seven Nation Army“ und „Where Is My Mind“ mit einer kleinen Band für ihn singt. Doch ausgerechnet jetzt holt Falke die Vergangenheit ein – und egal, wo der unbekannte Typ auftaucht: niemand will ihn sehen. Auch, was man als Informationsvorsprung gegenüber Falke und Grosz erhält, ist sehr diffus und noch nicht richtig zuzuordnen. Plötzlich ist er tot und Falkes visualisierte Erinnerungsfetzen angesichts seiner Brandnarbe stellen einen Bezug zum lange zurückliegenden Brandanschlag her.
Grosz‘ Kontaktaufnahme zur Flüchtlingshilfsorganisation verdeutlicht deren Überlastung und Misstrauen gegenüber der Polizei, womit Ercegs Drehbuch auf für „Tatort“-Verhältnisse eher zurückhaltende Weise zwei polizeikritische Punkte untergebracht hat: unaufgeklärte rechtsextremistische Terrorakte und die Drangsalierung von Flüchtlingen, die man sich als Grund für das Misstrauen Katharina Timmigs denken kann. Dabei verfällt die Handlung keineswegs in naives Gutmenschentum, denn der mittlerweile nicht mehr unbekannte Tote war zwar Flüchtling, aber kein guter Mensch. Doch wenn man glaubt, dass nach spätestens einer Stunde die Lösung des Falls eigentlich klar auf der Hand liegt, setzt das Drehbuch noch einen drauf, stellt Identitäten infrage und offenbart schließlich eine Geschichte, bei der sich unglückliche Entwicklungen derart fügten, dass sie ein 20 Jahre lang stabil gebliebenes, abenteuerliches Konstrukt ermöglichten, von dem nahezu alle Beteiligten zu profitieren schienen.
Bis hierhin haben wir einen wirklich guten „Tatort“, der – wieder einmal – klasse aussieht, schauspielerisch stark und dramaturgisch sehr gelungen ist, indem er die richtige Balance zwischen Rätselhaftigkeit, Motivation zum Mitraten auf dem heimischen Sofa und kaum vorhersehbarer Auflösung bietet und zudem politisch und gesellschaftlich relevante Themen verarbeitet. Doch dann muss ja noch Julia Grosz verabschiedet werden, da Franziska Weisz leider beschlossen hat, der öffentlich-rechtlichen Krimireihe den Rücken zu kehren. Grosz gibt gegen Ende ein weiteres Konzert im Silbersack und wird schließlich Opfer eines bösen, tragischen Ausgangs, den es nun wirklich nicht gebraucht hätte und derart übertrieben und unnötig wirkt, dass er „Was bleibt“ abwertet.