DEFA-Komödien hatten fast alle eins gemeinsam, sie waren eng mit den Lebensverhältnissen in der DDR verflochten und dementsprechend mussten mal mehr oder weniger auch die gesellschaftlichen Aspekte eine Rolle spielen. Das kann dann natürlich dazu führen, dass etliche Filme heute betrachtet neben einem amüsanten Rückblick auch unangenehme Erinnerungen hervorrufen, und nicht nur der Ostler wird sich in manchen Fällen fragen, wie dick sich die Staubschicht auf die eine oder andere Klamotte gelegt hat.
Wer hätte allerdings gedacht, dass eine Filmfigur aus einer DEFA-Komödie der 70er auch heute noch präsent ist, so geschehen beim Projekt „AGnES". Hier handelt es sich um das Wiederaufleben eines Modells, welches zu DDR-Zeiten üblich war, nämlich die Versorgung von medizinisch unterversorgten zumeist ländlich geprägten Gebieten mit Hilfe von Arzthelfern. Oder mit anderen Worten: Die Gemeindeschwester Agnes ist in unser Leben zurückgekehrt. Auch wenn die Quellen über die Herkunft der Bezeichnung nicht ganz eindeutig sind, ich würde mich arg wundern, wenn hier das Alter Ego der Schauspielerin Agnes Kraus nicht Pate stand.
Schwester Agnes steht stellvertretend für den von Agnes Kraus oft verkörperten Rollentypus. Immer mit einer Berliner Schnauze gerade heraus mit einer Mischung aus Bauernschläue und Schlagfertigkeit, dazu ein nicht zu unterdrückender mütterlicher Drang, anderen Leuten in misslichen Lebenslagen zu helfen. Dabei stößt sie allerdings regelmäßig bei weiteren Mitmenschen auf Unverständnis, da es bei ihr mit ihrer Sturheit geradezu mit dem Kopf durch die Wand geht. Ihr Job als Gemeindeschwester ist gerade zu wie geschaffen, alltäglich sich die Nöte und Probleme der Kranken anzuhören. Dass sie in ihrer Hilfe öfter mal ihre Kompetenzen überschreitet, sorgt für den entsprechenden Zündstoff von ganz allein.
Denn der Krummbacher Bürgermeister Patschek lässt sich nicht in die sozialistische Suppe spucken. Und da Patschek von der Sturheit her so ziemlich das männliche Gegenstück verkörpert, geht es bald hoch her in der Gemeinderatsversammlung. Und was auf den ersten Blick nur nach einem ganz normalen verbalen Schlagabtausch aussieht, gerät in Wirklichkeit auch zu einem aufrührerischen Akt gegenüber einem linientreuen Funktionär. Es waren eben manchmal die kleinen Nadelstiche, die in solchen Komödien angesetzt wurden, um durch die Blume das zu schildern, was man sonst nicht zu sagen wagte: Das kritiklos hinzunehmende Diktat von oben und die unerwünschte Eigeninitiative des Einzelnen, wobei der Bürgermeister hier keinesfalls eine unsympathische Figur abgibt, da er selbst nur den ihm auferlegten Vorschriften folgt.
Dabei ist es immer wieder erstaunlich, was man in einer als leichte Unterhaltungskost konzipierten Komödie alles so unterbringen kann. Das Problem des Wohnraummangels in der damaligen Zeit - das bekannte Wohnungsbauprogramm der DDR wurde gerade aufgelegt - ist hier ein zentrales Thema und die Vergabebedingungen nach Dringlichkeit schlug zumeist auch skurrile Blüten. So haben viele geheiratet, um in der Zuteilungsliste einen Sprung nach oben zu machen. Das kommt hier für die junge Katja nicht in Frage und so scheint das Problem momentan nicht lösbar.
Auch die Alkoholprobleme ihres Lebensgefährten Frank werden hier nicht unter den Tisch gekehrt, ganz im Gegensatz zu der sonst gängigen Praxis, in der damaligen Öffentlichkeit dieses ernste Problem totzuschweigen. Neben den vergnüglich wirkenden Bildern des Dorffestes, wo gemäß den damaligen Sitten eine Menge harter Sachen auf dem Tisch stehen, gibt es dann auch Szenen, in denen Schwester Agnes am Arbeitsplatz von Frank eine Schnapsflasche findet und vor seinen Augen auskippt. Und auch die Belastungen an Agnes Arbeitsplatz werden nicht geschönt dargestellt. Als ein Junge beim Spielen im Wald tödlich verunglückt, hat nicht nur Agnes Probleme, mit dieser Situation umzugehen, auch für den Zuschauer kommt dieser melancholische Umschwung völlig überraschend.
Natürlich ist „Schwester Agnes" trotz der zeitgenössischen Schilderung der damaligen Verhältnisse noch immer ein Unterhaltungsfilm geblieben, da er mit einer gehörigen Portion Witz und humorvoll bebilderten Alltagsmomenten eine luftig-lockere Atmosphäre verströmt. Schauspielerisch ragt zwar leider nur Agnes Kraus heraus, da die restliche Darstellerriege eher reißbrettartig in ihre Rollen gepresst zu sein scheinen, doch es gibt wahrlich schlimmeres, als neben Agnes Kraus zu verblassen. Insgesamt sehr ostalgisch und dennoch sehenswert.