kurz angerissen*
Ein Wachtraum im menschenleeren Hotel und mittendrin eine Abhandlung über das komplexe Wechselspiel von Macht und Gehorsam. Harry Kümel inszeniert unwirklich und vage genug, dass die Vampirthematik – abgesehen von einer plakativen Gegenlicht-Szene am Strand mit verräterischem Umhang – kaum greifbar ist. Die gerne in Totalen eingefangenen, manchmal perspektivisch versetzten Räume der Residenz, insbesondere ihrer Lobby, erscheinen angesichts der Abstinenz von Menschen zweckentfremdet, beinahe wie leere Mägen. Die graue Küste Ostendes mit ihren peitschenden, schäumenden Wellen und die belgische Architektur in der Stadtmitte sorgen für zusätzlichen Surrealismus.
Ja, „Les Lèvres Rouges“ ist geprägt von seiner betörenden Optik, hat aber in der von Irrationalitäten gezeichneten Vierecksbeziehung zwischen einem frisch verheirateten Paar, einer Gräfin und ihrer Untergebenen sein Herzstück. Delphine Seyrig legt die Bathory auf eine stille Weise anziehend an, sich für ihr forsches Vorgehen entschuldigend, doch im gleichen Moment absolute Selbstverständlichkeit ausstrahlend. Inmitten provinzieller Abgeschiedenheit, umgeben von dysfunktionaler Feudalität, lässt Kümel sie Beziehungsstrukturen auf links kehren. Ihr Blick auf das speisende Paar bei Ankunft ähnelt dem einer Löwin auf grasende Hufbeiner, ihr anschließendes Vorgehen eher dem einer Spinne. Der Thrill liegt nicht darin zu erraten, ob die Frischvermählten auseinanderbrechen, sondern wann; zu fragil werden Valerie und Stefan gezeichnet und durch Nebenschauplätze wie den hinausgezögerten Anruf bei „Mutter“ noch zusätzlich verunsichert.
Auf einer gewissen Ebene hat man es hier mit Exploitation zu tun; nicht wegen gelegentlicher Nacktheit oder vereinzelter Bluttaten, vielmehr wegen der Andeutug von Genreklischees, ihrer Verneinung und anschließender Erfüllung. Ein perfides Spiel, das Kümel mit seinen Figuren und mit seinem Publikum treibt.
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