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„Man soll keine Angst davor haben, in seine tiefsten Tiefen zu blicken – dorthin, wo nie im Leben der kleinste Funken Licht hinkommen wird.“

Der belgische Regisseur Harry Kümel („Malpertius“) drehte 1971 mit dem Vampirfilm „Blut an den Lippen“ ein in belgisch-französisch-deutscher Koproduktion entstandenes Erotikdrama, das sich lediglich dem Sujet eines Horrorfilms bedient.

Die Jungvermählten Stefan (John Karlen, „Die Zeit verrinnt, die Navy ruft“) und Valerie (Danielle Ouimet, „Wild auf junge Knospen“) sind auf dem Weg nach England, um Stefans Mutter die Nachricht von der Heirat persönlich zu überbringen. Bevor sie von Belgien aus mit der Fähre rübermachen können, sind sie jedoch gezwungen, einige Zeit in einem nahezu menschenleeren Hotel an der belgischen Küste zu verbringen. Dort treffen sie auf Gräfin Bathory (Delphine Seyrig, „Der Schakal“), eine Nachfahrin der berüchtigten „Blutgräfin“, die in den letzten 40 Jahren keinen Tag gealtert zu sein scheint...

Mit dem reißerischen Versprechen eines blutigen Vampirfilms wollte man anscheinend das Publikum ins Kino locken, kann dieses Versprechen aber nicht einlösen. „Blut an den Lippen“ präsentiert düster-stimmungsvolle Bilder en masse und von teils beeindruckender Tiefe, spielt mit der Symbolwirkung kräftiger Farben und rückt seine Darsteller in ein entsprechendes Licht. Sie wirken, als würden sie gefangen genommen von jenem Hotel, das Gräfin Bathory zu ihrer Spielwiese auserkoren hat. In Anlehnung an den Reichtum sexueller Metaphern der Vampirthematik steckt die Handlung voller morbider sexueller Obsessionen. Gräfin Bathory beschwört verborgene Phantasien und Gelüste des jungen Ehepaars herauf und macht sich diese zunutze. Ihre Begleiterin, die attraktive brünette Ilona (Andrea Rau, „Das Stundenhotel von St. Pauli“), wird ebenfalls zum Teil des Spiels zwischen Lesbensex, Lustgewinn durch Blut, Leid und Qual und gar angedeuteter Nekrophilie. Das eigenartige Ambiente des Hotels und das Gebaren der Gräfin wirken ebenso irreal wie ab einem gewissen Zeitpunkt der gesamte Film, der wie ein verbotener, sexuell aufgeladener Traum erscheint, aus dem man irgendwann schweißgebadet erwacht.

Leider gefährdet Kümel diese Wirkung seines Films, indem er stellenweise die Dialoge auf Softcore-Niveau abdriften lässt, was nicht so recht zur Erhabenheit Bathorys und künstlerischen Bilderflut passen will. Negativer jedoch wirkt der beinahe völlige Verzicht auf klassische Vampirelemente. „Blut an den Lippen“ ist enttäuschend unblutig ausgefallen und verleugnet über weite Strecken in seiner Ausführung den Horroranteil der Geschichte. Das Morbide spielt sich über weite Strecken vornehmlich in Dialogen ab, stattdessen überwiegt der Erotik-Anteil – jedoch nicht derartig offensiv-exploitativ, dass er das Fehlen klassischer Gruselelemente vergessen lassen würde. Damit ist Kümels Werk ein kurzweiliges, überdurchschnittliches, durchaus sinnliches Filmvergnügen, letztlich aber nicht konsequent genug in eine der beiden möglichen Richtungen. Artifiziell-künstlerisch und abseitig-erotisch, aber blutarm und zumindest meinen beispielsweise durch die „Hammer“-Karnstein-Trilogie hochgesteckten Erwartungen nicht ganz gerecht werdend.

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