Review

Schweigen ist Silber, In-Rente-Gehen ist Gold

Auf dem Papier schürt „Silent Night“ viel. Die „Stummfilmprämisse“ passt zu aktuellen Entwicklungen im Actiongenre. Kaum einer scheint dafür besser geeignet als John Woo. Kinnaman kann Prototyp-Actionheld. Es sind viele bekannte Stuntleute aus der Branche an Bord. Der Kern der Geschichte (Sohn wird von Gangstern erschossen, Vater verliert Stimme, Vater trainiert, Vater nimmt Rache) ist simpel, emotional und könnte effektiv sein. Woo kann ja auch Kitsch. Alle Grossen aus den letzten Jahren, von Hollywood bis Hong Kong, haben seine Meilensteine verinnerlicht und modernisiert. Alles ist in der Theorie angerichtet für einen Genrehit der härteren Gangart und „die Rückkehr des Königs“. Und doch ist „Silent Night“ für mich eine ziemliche Gurke. Langweilig und lahm. In einigen Phasen sogar peinlich. Und das trifft einen als Woo-Fan dann doch besonders ins Mark. Da kann die rosarotes Fanbrille meiner Meinung gar nicht dick genug sein…

Wie gesagt: von „Taken“ bis „The Raid“, von „John Wick“ bis „Dredd“, von „Bullet Train“ bis „Extraction“, von Scott Adkins bis Tony Jaa, von der Traumfabrik über Netflix zurück nach Asien. Woos Heroic Bloodshed-Eckpfeiler haben auch in den letzten Jahren noch ihre Wellen geschlagen und Einfluss ausgeübt. Sie gehören einfach zur Grundausbildung. Und ein Actioner ohne Dialoge klingt verlockend bis logisch. Gerade von ihm. Es gibt ja sogar glaube ich mittlerweile von „Mission: Impossible 2“ eine wortlose, kurze und ziemlich coole Fan-Version. Das liest sich alles erstmal wie eine natürliche Evolution. Meine Hoffnung war gar eventuell ein letztes Hurrah oder Magnum Opus. Aber dem ist nicht so. Ganz und gar nicht. Weiter davon könnte man kaum sein. Das tat weh und hat extrem an meinen Nerven gezehrt. „Silent Night“ ist ein Derivat. Und ein Derivat eines (einstigen) Meisters ist noch giftiger als Derivate eh immer sind. Es gibt viele CGI-Einschusslöcher und wenig Seele. Es gibt viel Exposition und wenig Sinn. Es gibt viel Wiederholung und wenig Tempo. Es gibt viel Langsamkeit und wenig Zeitlupe. Vielleicht waren die Erwartungen unfair hoch, vielleicht ist man durch die o.g. Hits schon zu verwöhnt, vielleicht war das Budget einfach zu niedrig. Oder vielleicht hat’s Woo auch einfach schon lange nicht mehr drauf. Aber „Silent Night“ ist selbst unter Videothekenstandards ein ziemlicher Schnarcher und unterdurchschnittlich in jeglichen Belangen.

Fazit: für mich noch nichtmal ein solider B-Movie. Nicht würdig für einen Woo. Nicht würdig seines netten Gimmicks. Und nur die Kopie der Kopien seines einstigen Selbst. Plus Kinnaman ist blass bis kaum zu gebrauchen. Für mich eine der größeren Enttäuschungen im Actiongenre seit langem. 

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