„Seit wann sind Weiber nicht neugierig?“
„Die Klette“ ist ein Kriminalfilm nach Whodunit?-Prinzip des italienischen Regisseurs Romolo Guerrieri aus dem Jahre 1969, der sich stilistisch irgendwo zwischen Poliziesco, Film noir und Giallo bewegt. Ihm zugrunde liegt der (mir unbekannte) Roman „Macchie di belletto“ von Ludovico Dentice. Romolo Guerrieri ist der Onkel des etwas umtriebigeren italienischen Filmemachers Enzo G. Castellaris und trat zuvor als Regisseur von diversen Western sowie des Giallos „Der schöne Körper der Deborah“ in Erscheinung.
Stefano Belli (Franco Nero, „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“) ist mit seiner Tätigkeit als Kommissar der Fremdenpolizei nicht ganz ausgelastet, weshalb er privat weitere Aufträge entgegennimmt. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Er ist ein bestechliches Aas. Der vermögende Rechtsanwalt Fontana (Adolfo Celi, „Der Mafiaboss – Sie töten wie Schakale“) beauftragt Belli, möglichst schnell für die Abschiebung des britischen Fotomodells Sandy Bronson (Delia Boccardo, „Das wilde Auge‘“) zu sorgen, da diese sich zu seinem Leidwesen an seinen Sohn Mino (Maurizio Bonuglia, „Sklaven ihrer Triebe“) herangemacht und ihm kräftig den Kopf verdreht hätte. Außerdem soll Belli die Integrität des Musikproduzenten Romanis überprüfen, da Fontanes Frau Vera (Florinda Bolkan, „Spuren auf dem Mond“) vorhätte, mit diesem geschäftliche Beziehungen einzugehen. Doch zur Überraschung Bellis findet er Romanis tot in dessen Wohnung. Er ahnt, dass hinter der Sache viel mehr steckt, wittert noch mehr Geld und ermittelt auf eigene Faust – wodurch er in einen Strudel aus einer Vielzahl von Verdächtigungen und Motiven gerät, deren Spuren immer wieder zu Sandy und zu den Fontanas führen…
Die von Franco Nero souverän, aber unspektakulär gespielte Hauptrolle nimmt bereits vieles vorweg, was im darauffolgenden Jahrzehnt Usus in einem bestimmten Typus italienischer Polizieschi werden sollte: Die brutale, sich über sämtliche Vorschriften hinwegsetzende Selbstjustiz eines Maurizio Merli in seinen Rollen beispielsweise, die Misshandlung Verdächtiger, die Prügel, die Folter. Jedoch dient Kommissar Belli in „Die Klette“ nicht als Sympathieträger und Identifikationsfigur für den Zuschauer, im Prinzip ist der Film völlig frei von derartigen Charakteren. Noir ist „Die Klette“ nicht nur mit dem bestechlichen, egoistischen, prügelfreudigen und frauenfeindlichen Belli, sondern auch mit dem vermittelten Frauenbild. Sämtliche zum Tragen kommende Mädels sind auf ihre Weise Luder und Femme fatales, zwischen naiv und berechnend, zwischen drogensüchtig und moralisch verkommen. Die gewisse erotische Note, die manch zeigefreudigeres Exemplar dem Film beschert und die in der wohlhabenderen Gesellschaftsschicht und dem oberflächlichen Showgeschäft u.ä. angesiedelte Handlung wiederum versieht „Die Klette“ ebenso mit seinen gialloesken Elementen wie die elegante Ästhetik einer kunstvollen, teilweise verspielten Kameraarbeit mit speziellem Blick fürs Ambiente und für Gesichter sowie manch stilistisch auffälligem Swinging-Sixties-Interieur.
Übergeordnet ist indes eine Krimi-Handlung, die ganz nach dem Motto der zu Beginn erklungenen James-Brown-Textzeile „It’s a man’s world“ einen betont männlich-rauen Charakter entwickelt und etabliert und zu jazziger musikalischer Untermalung eine derart verworrene Geschichte voll falscher Fährten erzählt, dass sie trotz gemächlichem Tempo die volle Konzentration des Zuschauers verlangt. Doch selbst, wenn man diese aufzubringen vermag, dürfte es schwerfallen, bis zum Schluss mitzukommen und nicht irgendwann aufzugeben und schlicht die Bilder und Melancholie des Films zu genießen, die neben Bellis Gewalteruptionen beispielsweise durch ein halsbrecherisches Russisch Roulette auf vier Rädern als Action-Einsprengsel konterkariert werden. Für bemerkenswerte Details sorgt z. B. die Polizei um Kommissar Baldo (Renzo Palmer, „Racket“), die ganz selbstverständlich Zigarettenkippen auf den Krankenhausboden wirft und Kaffee bei den Schwestern bestellt. Allen männlichen Habitus indes ironisiert der Schluss auf geniale Weise, wenn erneut jene James-Brown-Zeile, diesmal bewusst wesentlich weniger zu den Bildern passend bzw. die darauffolgende Verszeile unterstreichend, erklingt. Das Ende überrascht trotz oder gerade wegen seiner Konsequenz.
„Die Klette“ ist ästhetisch wertvoll, gut besetzt und handwerklich versiert inszeniert worden, narrativ jedoch etwas langatmig ausgefallen und zu viele Haken schlagend. Dennoch zweifelsohne ein besonderes Erlebnis des italienischen Kinos für den Zeit und Zugang findenden Kenner und Genießer.
P.S.: Diese Kritik bezieht sich auf die deutsche Kinofassung, die ich im Rahmen der „Bizarre Cinema“-Reihe im Dezember 2013 in Hamburg sehen durfte. Die Heimkino-Veröffentlichungen scheinen in ihrem Ende abzuweichen.