The Fall Guy - Kopf und Kragen für die Liebe
„The Fall Guy“ ist der ultimative Liebesfilm. Zumindest in diesem Kinojahr wurde die frohe Botschaft inniger Liebe nirgends überzeugender verkündet. Keine Angst, liebe Actionfans, die Trailer haben euch dennoch nicht gecheatet. Auch wenn „The Fall Guy“ sicher in Teilen das mausetote Genre der RomCom wiederbelebt, so geht es hier voller Inbrunst um eine ganz andere Zuneigung, die Liebe zur Stuntarbeit.
Regisseur David Leitch hat selbst als Stuntman angefangen und dabei unter anderem für (Action-)Stars wie Brad Pitt und Jean Claude van Damme Kopf und Kragen riskiert. Von dieser Expertise profitierten auch seine Regiearbeiten (u.a. „John Wick“, „Atomic Blonde“, „Bullet Train“), die sich wohltuend von der VFX dominierten Action-Konkurrenz absetzten. Bei Leitch zählt noch immer der volle Körpereinsatz und zwangsläufig das damit verbundene Risiko. Mit „The Fall Guy“ hat er dieser Profession nun ein Denkmal gesetzt und selbiges als bonbonfarbenen Hochglanz-Blockbuster verpackt.
Ryan Gosling: Best known actor als „The unknown Stuntman“
Für solch eine sendungsbewusste Message braucht es natürlich auch den entsprechenden Botschafter. Jemand, der alle Altersgruppen anspricht, der sowohl komisch, tragisch sowie romantisch sein kann, dem man aber auch den unzimperlichen Draufgänger abnimmt. Komplexe Probleme haben oft ganz simple Lösungen, in diesem Fall heißt sie Ryan Gosling. Ob als Sinnsuchende Testosteron-Karikatur („Barbie“), als tanzender Romantiker („La La Land“), als schlagkräftiger Superagent („The Gray Man“) oder eben als einsamer Stuntman („Drive“), der Kanadier meistert spielerisch jedes Genre und jede Facette. Bei Leitch ist dann auch gleich ein breites Spektrum gefragt. Best known actor as „The unknown Stuntman“, ein unwiderstehliches „match“. Fehlt nur noch ein passender Story-Kitt.
Colt Seavers (Gosling) ist nichts weniger als einer der gefragtesten Stuntmen der Branche. Als Double von Superstar Tom Ryder (Aaron Taylor-Johnson) sieht er einer rosigen beruflichen Zukunft entgegen. Ein schwerer Sturz beim Dreh des neuesten Ryder-Blockbusters trifft den erfolgsverwöhnten Seavers völlig überraschend und wirft ihn komplett aus der Bahn. Fortan verdingt er sich mit dem Parken protziger Boliden irgendwelcher B-Promis und frönt ansonsten dem Blues aus Selbstmitleid und Selbstzweifeln. Da kommt der Anruf von Filmagentin Gail Meyer (Hannah Waddingham) eher ungelegen. Zunächst zeigt Colt auch wenig Begeisterung für die angebotene Rückkehr ins Blockbuster-Stuntgeschäft, aber als er hört, dass die Regisseurin Jody Moreno (Emily Blunt) ihn persönlich angefordert hat, ändert sich seine ablehnende Haltung schlagartig. Schließlich waren die beiden mal ein Liebespaar. Mit neuem Elan steigt er in den Flieger nach Australien, wo gleich mehrere böse Überraschungen auf ihn warten. Moreno zeigt sich wenig erfreut über das Auftauchen ihres Ex-Liebhabers, Hauptdarsteller Ryder ist spurlos verschwunden und er selbst soll aus dem Stand den gefährlichsten Stunt des Skripts absolvieren.
Trio phänomenal: Herziges Raubein, spröde Romantikerin und narzisstischer Hasenfuß
Ryan Gosling mimt diesen liebeskranken Adrenalin-Junkie als Raubein mit Herz und erinnert damit an Lee Majors Interpretation derselben Rolle in der gleichnamigen TV-Serie aus den frühen 80ern (hierzulande weit besser bekannt als „Ein Colt für alle Fälle“). Bei genauerem Hinsehen tuen sich dann aber doch recht deutliche Unterschiede auf. Jedenfalls kann man sich den kernigen Majors nur sehr schwer dabei vorstellen, wie er seinen Liebeskummer durch lautes Mitsingen von Taylor Swift Songs zu kurieren versucht. Überhaupt wirkt Gosling Seavers eher tollpatschig als tollkühn, sei es beim Versuch den verschwundenen Tom Ryder ausfindig zu machen, oder beim Bemühen die gekränkte Jody Moreno zurück zu erobern. Kurz: Wäre er nicht so umwerfend viril, hätte auch ein junger Hugh Grant ganz gut ins Bild gepasst.
Emily Blunts Moreno wiederum ist das perfekte Match für die 2024er Ausgabe des „Unknown Stuntman“. Nach außen die toughe Powerfrau, ist sie insgeheim mehr als empfänglich für Kitsch und Romantik. Da darf es auch schon mal eine Karaoke-Einlage zu Phill Collins Schmachtfetzen „Against all odds“ sein, oder eine als Drehbuchdiskussion getarnte Beziehungsanalyse vor versammelter Filmcrew. Vielleicht-Neu-Bond Aaron Taylor Johsnon schließlich komplettiert dieses „Trio phänomenal“. Zwar ist er in dieser Runde klar der Bad Guy, aber wenn er als durch und durch narzisstischer Filmstar im Bademantel Shakespeare-Verse aufsagt, bei jedem Anflug von Kritik zwischen Sinnkrise und Wutausbruch mäandert, oder sich bei jeder noch so kleinen Actionszene ängstlich nach seinem Stuntdouble umsieht, dann muss man auch ihn einfach lieben.
David Leitch: Stunt-Agenda im Fokus
Bei allem Augenzwinkern, bei aller Selbstironie, bei allem Flachs kann man Leitch aber keineswegs vorwerfen, dass er seinen Job, sein Agenda Setting nicht ernst nehmen würde. Ein neuer Weltrekord an Cannon Rolls - also den Überschlägen eines Fahrzeugs am Stück - ist dabei sicher das spektakulärste Ausrufezeichen. Stuntman Logan Holladay überschlägt sich achteinhalb Mal und verweist damit den 18 Jahre alten Rekord des Bondfilms „Casino Royale“ auf die Plätze. Aber das ist nur das Aushängeschild, das Werbebanner. Leitch ist wild entschlossen die komplette Palette der Stuntarbeit vorzuführen. So ist der ganze Film gespickt mit halsbrecherischen Stunts durch Fensterscheiben, aus großen Höhen und auf rasenden Fahrzeugen, sei es zu Wasser, auf Land oder in der Luft. Dazu kommen Kämpfe aller Art, mal mit Schuss-, mal mit Stichwaffen und gerne auch mit vollem Handkanten- oder Kickbox-Einsatz. Den Beweis dass hier echte Menschen echte Höchstleistungen vollbringen und echte Risiken eingehen , liefert Leitch quasi frei Haus gleich hinterher, wenn er im Abspann eine Art Making Of sämtlicher zuvor gesehener Stunts präsentiert.
Meta-Storm: Ein Gag für alle Fälle
Dieser Meta-Ansatz setzt sich auch auf inhaltlicher Ebene fort. Am deutlichsten wird das beim Film im Film. Der neue Tom Ryder Blockbuster für den Colt Seavers angeheuert wird, ist eine völlig überdrehte Science Fiction-Sause, die neben dem Abfeiern seines Hauptdarstellers nur einen Zweck verfolgt: es an allen Ecken und Enden möglichst laut und spektakulär krachen zu lassen. Der Gaga-Titel „Metalstorm“ passt wie die Faust aufs Auge. Noch mehr Spaß machen allerdings die vielen kleinen Insidergags und Anspielungen. Da gibt es ein Filmzitate-Ratespiel zwischen Seavers und Stuntkumpel Dan (Winston Duke), bei dem natürlich Rocky und Rambo zu Wort kommen. Der von Leitch schon öfters geforderte Stunt-Oscar wird ganz beiläufig im Dialog eingestreut. Das Set von „Metalstorm“ sieht aus als hätte man „Dune“ und „Mad Max“ in den Mixer geworfen, Hans Zimmers Score inklusive. Und Kampfhund Jean-Claude (van Damme) hört nur auf französische Kommandos, bevor er seine Gegner da packt, wo sie am verwundbarsten sind. Höhepunkt dieser ganzen Meta-Hommage-Orgie ist eine Schnellboot-Jagd, bei der Seavers in seiner heiß geliebten Miami Vice-Stunteam-Jacke zu Jan Hammers ikonischem Titeltrack durch das Hafenbecken von Sydney rast.
DNA entschlüsselt: Der Stuntman als Showman
Es ist schon vergnüglich mit anzusehen, wie Leitch Genres wie Adventure, Crime, Action oder Love unter dem Dach der Comedy fusioniert, nur um der Stuntarbeit zu huldigen. Natürlich kann man den Krimiplot um den verschwundenen Filmstar als Alibi-Handlung abtun, die Liebesgeschichte zwischen Stuntman und Regie-Novizin in seichten Gewässern verorten und den vergleichsweise blutarmen Einsatz von Waffen, Fäusten und Boliden als familiengerechte Harmlosigkeit belächeln.
Aber letztlich ist es genau diese Schaubuden-Attitüde mit der „The Fall Guy“ seine reiche Ernte einfährt. Stuntman sind im Prinzip nichts anderes als Akrobaten, Artisten und Athleten. Diese Fertigkeiten stellen sie im Film zur Schau, sind damit gleichzeitig auch Showmen. Die allermeisten würden mit Sicherheit auch im Zirkus oder der Sportarena eine vortreffliche Figur abgeben. Leitch hat diesen Kern, diese DNA des Stuntberufs nicht nur sehr genau erkannt, sondern geradezu verinnerlicht. Mit „The Fall Guy“ krempelt er gewissermaßen sein Innerstes nach außen und lässt das Publikum daran teilhaben. Das Kino als Erlebnisort, da war doch mal was. Leitch hat auch diese Lektion ganz genau verstanden. Und so schließt sich der Kreis, man könnte auch lapidar sagen: eine runde Sache.
Gut zwei Stunden dauert die Achterbahnfahrt der Emotionen und Explosionen. Wer danach noch nicht verliebt ist, dem ist nicht mehr zu helfen. Sei es in Gosling, Blunt, oder auch nur in all die vielen Metagags und Filmzitate, die alle fünf Minuten aufpoppen. Vor allem aber sollte man eine tiefe Zuneigung für die Arbeit, das Herzblut und den Wagemut derjenigen empfinden, die das Spektakel erst spektakulär machen. Noch stemmen sie sich mit Verve gegen ihre virtuellen Epigonen, die auf so kalte Akronyme wie CGI oder VFX hören. David Leitchs Liebeserklärung hat bei aller ihrem überbordendem Spaß damit auch etwas wehmütiges, aber bei echten Gefühlen gehört auch das mit dazu.