„Euch würd’ ich jetzt das Tschüß anbieten.“
Schriftsteller, Musiker, Humorist und Schauspieler Heinz Strunk schrieb mit „Last Exit Schinkenstraße“ erstmals ein Seriendrehbuch. Dieses wurde im Jahre 2023 von Jonas Grosch („Legend Of Wacken“) für den Streaming-Dienst des finsteren Jeff, Amazon Prime, in sechs knapp halbstündigen Episoden verfilmt. Im Stil einer Buddy-/Verliererkomödie wird die Branche der Ballermann-Stimmungsmusiker persifliert.
„Wir müssen proforma vorspielen, aber das ist reine Formsache!“
Die Mittfünfziger Torben Bruhn (Marc Hosemann, „Die Discounter“) und Peter Voss (Heinz Strunk, „Fraktus“), die die Bläsersektion der Tanzband „Boarding Time“ bilden, werden vom Bandleader (Charly Hübner, „Für immer Sommer 90“) gefeuert und stehen vor dem Nichts. Da entwickeln sie den Plan, jeglichen musikalischen Anspruch über Bord zu werfen und sich als Ballermann-Hit-Komponisten zu verdingen. In Clubbetreiber Tarek (José Barros, „Babylon Berlin“) finden sie tatsächlich jemanden, der die Musik der beiden auf die Bühne bringt, der aber auch kräftig mitverdienen will. Das stellt die Freundschaft Peters, der fortan als Pierre Panade Songs wie „Breit in 100 Sekunden, „Du sollst nicht lecken, bevor es tropft“ oder „Fleisch ist mein Gemüse“ performt, und Torbens, der als dessen Manager fungiert, auf eine harte Probe...
Der Ballermann ist nicht totzukriegen und auch medial ein immer wieder aufgegriffenes Phänomen, ob im Spielfilm (der unterbewertete „Ballermann 6“), im Boulevard-TV und in Doku-Soaps oder in Serien wie „Der König von Palma“ oder nun eben „Last Exit Schinkenstraße“. Während „Ballermann 6“ stumpfsinnige Ballermann-Sauftouristen aufs Korn nahm, unternehmen die Serien Einblicke hinter die Kulissen. Die Protagonisten aus „Ballermann 6“ sind das Publikum von „Künstlern“ wie Pierre Panade und Mickie Krause, der sich hier selbst spielt.
Der Einstieg mit „Boarding Time“ ist eine Reminiszenz an Strunks „Fleisch ist mein Gemüse“, jenem (später auch verfilmten) Beststeller, aus dem hervorging, welch hartes Brot das Dasein als Tanzmucker ist: „Boarding Time“ sind eine aktualisierte Version Strunks ehemaliger Band „Tiffanys“ und der Duktus des Bandleaders ist jenem Gurkis entlehnt. Strunk spielt mit Frikadellenfrisur auch hier eine tragikomische Gestalt, der es aber unheimlich leichtfällt, Ballermann-kompatible Stimmungshits zu komponieren und zu texten. Diese ziehen sich durch die Serie und sind perfiderweise verdammte Ohrwürmer. Neben skurrilen Figuren wie u.a. Olli Schulz („Jürgen – Heute wird gelebt“) als Mitarbeiter Tareks, Situationskomik und Persiflagen speist sich der Humor viel aus Running Gags wie Torbens Sorge, Peter sei alkoholabhängig, weshalb er ihm bei jeder sich bietenden Gelegenheit Fragen aus einem arg durchschaubaren „Psychotest“ stellt („Würdest du auch Alkohol zu dir nehmen, wenn er in Pulver- oder Tablettenform erhältlich wäre?“), sowie Sprach- und Wortwitzen, für die Strunk in seinen Geschichten schon immer ein Faible bewies: Permanente Sprücheklopferei trifft auf absurde Entscheidungsfragen, und Torbens Ehefrau Ilona (Bettina Stucky, „Robert Zimmermann wundert sich über die Liebe“) neigt dazu, Redewendungen durcheinanderzubringen. Diese ist mit Torbens vermeintlich unter Muskelschwund leidendem und deshalb angeblich arbeitsunfähigem Sohn Casey (Björn Meyer, „Ach du Scheiße!“) sowie dessen Frau Cathleen (Julia Jendroßek, „Der vermessene Mensch“) und deren gemeinsamen Säugling zu Hause zurückgeblieben, ohne zu wissen, dass Torben und Peter gar nicht mehr bei „Boarding Time“ spielen. Torbens Familie dient als Verballhornung von Prekariatsklischees.
Tarek, ein bulliger Südländer, wirkt von vornherein wenig vertrauenserweckend. Seine Figur ist denn auch der Ausgangspunkt für eine mafiöse Handlung, die fiese Knebelverträge à la Abou Chaker auf die Ballermann-Hit-Branche überträgt. Dass Strunk kein ausgebildeter Schauspieler ist, merkt man ihm durchaus an. Er scheint sich dessen bewusst zu sein und erinnert immer wieder ein wenig an den großen Karl Dall, wenn er sein Schauspiel mit einer feinen Selbstironie versieht, als spiele er einen Schauspieler, der zu schauspielern versucht. Das macht ihn wenig angreifbar und versieht die Serie um eine weitere, subtilere Humorebene. Der mit einer herrlich nach Kneipe klingenden Stimme gesegnete Hosemann mimt Torben als knorrigen, bauerschlauen Typen mit einer Familie, die er am liebsten von hinten sieht, und der sich auf Freiersfüße begibt, während er zugleich seine Musikkarriere-Felle davonschwimmen sieht.
Scooter-Hampelmann Hans-Peter Baxxters Gastauftritt ist verzichtbar und ebenso wie Mickie Krauses Mitwirken ein Indiz dafür, dass Strunk mit dieser Serie niemandem wehtun möchte, schon gar nicht, wenn man so will, ehemaligen „Kollegen“ aus der Musikbranche – ganz gleich, was sie an Stuss fabrizieren. Damit wird das satirische Potenzial dieses Stoffs leider kaum ausgeschöpft. Völlig unpassend ist gar die eingewobene und ohne jede Komik von Bjarne Mädel („Der Tatortreiniger“) und Katharina Wackernagel („Stralsund“) gespielte Ehekrise eines Touristen-Ehepaars, auf das ich zugunsten weiterer Ballermann-Verballhornungen („Verballermannhornungen“?) gern verzichtet hätte.
„Last Exit Schinkenstraße“ ist nicht der ganz große Wurf, aber allemal unterhaltsam und sympathisch – wahrscheinlich gerade auch deshalb, weil die Serie ein Herz für ihre Figuren hat und sie eben nicht nur vorführen will.