Was auch in den Staaten des Warschauer Pakts zu Zeiten des Kalten Kriegs an Beiträgen zum phantastischen Film möglich war, beweist eindrucksvoll u.a. die jugoslawische Produktion „Der Rattengott“ von Krsto Papic aus dem Jahre 1976. Der zunächst einmal dem Horror-Genre zuzurechnende Spielfilm basiert auf der Kurzgeschichte „Der Rattenfänger“ des Russen Alexander Grin, die er 1924, also zwischen beiden Weltkriegen verfasste. Ohne sie gelesen zu haben, glaube ich zu wissen, dass sie kafkaesk bis surreal, dabei metapherreich ihren Erzähler vor dem Hintergrund des wirtschaftlichen Zusammenbruchs seiner Nation eine Schar humanoider Rattenwesen im Verborgenen beobachten lässt, die es, als sie ihn bemerkt, auf ihn abgesehen hat, was i.d.R. als Parabel auf den aufkeimenden Faschismus interpretiert wird. Im Zusammenhang mit Papics Film ist vor allem wichtig, dass dieser sich maximal bis zur Hälfte an Grin orientiert und im Anschluss die Geschichte eigenständig weiterspinnt:
Der erste Weltkrieg ist vorüber, europäische Staaten stecken in einer Wirtschaftskrise, das Geld ist entwertet. Von seinem künstlerischen Schaffen als Dichter kann Ivan Gajski (Ivica Vidovic, „Wenn die Glocken läuten“) nicht leben, so dass er gezwungen ist, selbst seine letzten Bücher zu verschachern. Dabei lernt er Sonja Boskovic (Mirjana Majurec, „Tale“) kennen, die Tochter Professor Boskovics (Fabijan Sovagovic, „Am Berg wächst eine grüne Fichte“). Als er sich auf einer Parkbank zur Ruhe betten will, erfährt er vom Nachtwächter, dass er in der verlassenen Zentralbank nächtigen könne. Dort wird er Zeuge einer geheimen Zusammenkunft, die sich um ein festliches, dekadentes Bankett versammelt hat. Er lauscht den Gesprächen und erfährt, dass man die Ermordung Professor Boskovics plane. Er wird entdeckt, kann aber entkommen und tritt eine Stelle als Professor Boskovics Assistent an. Dieser teilt sein Wissen mit ihm, das er aus dem jahrhundertealten Buch „Das Vermächtnis des Rattenkönigs“ bezog: Ratten würden sich in Menschen verwandeln, um sich die Welt untertan zu machen. Aus diesem Grunde arbeitet er an einem Mittel, um die Rattenmenschen zu enttarnen – doch just, als seine Experimente zum gewünschten Erfolg führen, wird er ermordet. Ivan sucht den Bürgermeister auf und berichtet ihm von all dem, da er glaubt, in ihm einen Vertrauten zu haben. So macht er sich auf, die Invasion der Rattenmenschen zu durchkreuzen…
Der unschwer zu erkennende Parallelen zum Paranoia-Science-Fiction-Kino à la „Die Dämonischen“ aufweisende Film funktioniert zunächst wie eine Allegorie auf politische Rattenfänger (ironischerweise als Ratten bzw. Rattenmenschen dargestellt) zu Krisenzeiten. Papic taucht die Szenerie in dunkle Bilder voller Tristesse und eine beklemmende, aussichtslose Atmosphäre, die die gesellschaftliche Stimmung der damaligen Zeit widerspiegelt. Das geschieht künstlerisch ambitioniert und wertvoll, jedoch auch schnell durchschau- und vorhersehbar. Ab dem Moment, in dem er sich gänzlich von der Literaturvorläge emanzipiert jedoch gewinnt „Der Rattengott“ zunehmend an Ambivalenz, ändert seinen Tonfall und lässt seine Charaktere in neuem „Licht“ erscheinen, indem er das Gut/Böse-Schema negiert. Ivan ist nun Feuer und Flamme für den Kampf gegen die Rattenmenschen, hinterfragt nicht mehr und geht erbarmungslos gegen sie vor. Er wird zum Ankläger, Richter und Vollstrecker in Personalunion und stützt sich dabei lediglich auf das von ihm Gesehene und die Aussagen des Professors auf Grundlage des alten Buchs.
Mich als Zuschauer hat diese Entwicklung zunächst irritiert und schließlich vor den Kopf gestoßen, denn in zunehmenden Maße wurden Parallelen zur Judenverfolgung im Dritten Reich erkennbar, dessen antisemitische Irrlehren ebenfalls auf jahrhundertealten Ressentiments beruhten. Papic begibt sich damit auf extrem unsicheres Terrain, scheint Täter zu Opfern oder umgekehrt zu machen und läuft Gefahr, als Befürworter von Toleranz gegenüber Faschisten (miss-)verstanden zu werden. Die eigentliche Intention dürfte jedoch dort zu finden sein, wo er sein Publikum plötzlich mit dessen eigener Radikalität, zu der er es mit verhältnismäßig einfachen Mitteln verleitet hat, konfrontiert, bis dieses Ivans Vorgehen und Methoden zumindest anzuzweifeln beginnt. Diese Zuschauermanipulation dürfte manchem indes sauer aufstoßen, dabei ist sie es gerade, derer sich der Zuschauer im Idealfall bewusst wird und damit angeregt wird, Parallelen zur Ursache der Verfolgung von Minderheiten und Sündenböcken zu ziehen – zu denen Papic sicherlich gerade nicht die Nazis zählte.
„Der Rattengott“ kommt mit seiner effektiven Maskenarbeit für die Ratten-Humanoiden im Gewand eines Fabel-haften Horrorfilms, hat auch viel von der Unbarmherzigkeit klassischer Märchen. Für einen nicht ungefähren Erotikanteil sorgt die Rolle Sonjas, die sich auf eine Liebschaft mit Ivan einlässt – oder ist auch sie längst gegen eine Rättin ausgetauscht worden? Je weniger auf die Psychologie der Rollen eingegangen wird, desto mehr wird man in die Auseinandersetzung mit seiner eigenen Psyche gezwungen. Dass Papics perfides Spiel mit seinem Publikum letztlich dann leider doch etwas unausgegoren statt formvollendet wirkt, liegt vor allem im überhasteten, unspektakulären Finale begründet, das den Film irgendwie unfertig wirken lässt. Auch bin ich mir nicht sicher, ob es nun die beste Idee war, anhand derselben zunächst durchaus unzweideutig negativ konnotierten Figuren zunächst Nazi- und schließlich Juden-Assoziationen zu wecken. Nichtsdestotrotz handelt es sich um eine hochinteressante, exotische und doppelbödige, mehrdeutige Filmerfahrung, die sein Publikum aber schnell auf dem falschen Fuß erwischen kann. Einer Bewertung per Zehnerskala enthalte ich mich diesmal.