In den end credits von "DogMan" wird [Achtung: Spoiler!] bei den Danksagungen unter anderem Matteo Garrone aufgeführt. Was wohl daran liegen dürfte, dass zwar etwa gleich ein knappes Dutzend von Filmen den Titel "Dogman" trägt, dass aber Garrones so betiteltes Kriminaldrama aus dem Jahr 2018 der jüngste dieser Titel ist, wenn man sich auf die international vermarkteten Langfilme konzentriert. Nun hätte man "DogMan" sicherlich auch anders nennen können – oder vielleicht eben auch nicht, denn "DogMan" ist vermutlich der Titel von denkbar höchster Signifikanz für diesen Film…
"DogMan" scheint als Titel erst einmal fest vom Drehbuch eingepreist worden zu sein, denn bei der Werdung der Hauptfigur zum titelgebenden DogMan wird ihrem Hundezwinger ein Banner mit der Aufschrift "IN THE NAME OF GOD" angehängt, von dem aus der Innenperspektive bloß die seitenverkehrten Buchstaben "DOG [] [E]MAN []" ins Auge springen.
Vor allem aber ist diese DogMan-Werdung der Hauptfigur eine Metamorphose, die das Gros aller Superhelden und -schurken durchläuft. Peter Parker wird von einer radioaktiv verstrahlten Spinne gebissen und verfügt im Anschluss über Superkräfte, die ihn fortan auch als Spiderman auftreten lassen; wobei ursprünglich nicht alle Fähigkeiten denen einer Spinne entsprechen, sondern von Parker über technische Gimmicks denen einer Spinne angepasst werden: Die Spinne ist also auch eine Art auserwähltes Totem. Selena Kyle stürzt in der Tim-Burton-Version in "Batman Returns" (1992) als Katzenhalterin in die Tiefe – aus einem Turm mit Comic-Katzenkopf-Logo an der Spitze, durch eine Markise mit selbigem Logo als Aufdruck –, wird von Straßenkatzen aufgeweckt und agiert fortan als kratzbürstige Catwoman. Und ein Bruce Wayne stellt sich in der Christopher-Nolan-Version in "Batman Begins" (2005) seinem Trauma, seiner Angst vor Fledermäusen, welcher er auch eine Mitschuld am Tod seiner Eltern gibt, und geht als Batman auf Verbrecherjagd. Zweierlei sei kurz festgehalten:
1.) Die neue Identität ist sowohl schicksalhaft als auch selbstgewählt: Sowohl die Entscheidung, die neuen Kräfte zu nutzen und sich zu kostümieren und zu maskieren, ist freiwillig als auch die Wahl des neuen Eigennamens, die ganz besonders bei Nolans Bruce Wayne, aber selbst auch noch beim ursprünglichen Peter Parker ein bemerkbares Maß an Reflektiertheit erkennen lässt.
2.) Die neue Identität kann zwar ein klarer Gegenentwurf zur bisherigen Identität sein – wie bei Spiderman, der erfolgreich und heldenhaft ist, wohingegen Peter Parker eher der sympathische Underdog ist –, sie kann aber auch in sich ambivalent ausfallen: wie bei Catwoman, die weder eindeutig Freundin, noch Feindin ist, oder bei Batman, der sich in neueren Adaptionen regelmäßig über alle Dinge stellt und sowohl pathologische als auch antidemokratische Züge aufweist (auch wenn weder Nolan, noch Reeves diesen Punkt wirklich konsequent verfolgt haben).
Bei "DogMan" hat man es im Grunde mit einer vergleichbaren origin story zu tun; weshalb – das sei vorweggenommen – der Film auch wohl kaum ein stand alone film bleiben wird, wenn die Einspielergebnisse stimmen sollten: er kommt im Grunde wie die Pilotfolge einer TV-Serie daher oder eben wie der erste Teil einer Filmreihe, dem der Aspekt der origin story die konsequente Dehnung des Spannungsbogens zunichte macht. (Indes ist "DogMan" allerdings so generisch und in vielfacher Hinsicht spannungsarm, dass es schon viel schlechten Geschmack und äußerst simple Bedürfnisse bräuchte, um wirklich eine Fortsetzung sehen zu wollen… in welcher Form auch immer.)
Luc Besson, der als Regisseur und alleiniger Autor hinter dem Projekt steht, beginnt im Grunde mit dem Resultat. Die Polizei hält irgendwo in Jersey einen LKW-Fahrer an, der dutzendfach Hunde transportiert – und sich bei der Kontrolle als Mann in Frauenkleidern präsentiert; sichtlich gezeichnet von den Spuren einer körperlichen Auseinandersetzung sowie älteren Spuren einer Misshandlung. Eine Psychologin wird schnell hinzugerufen, die Licht in die Sache bringen und herausfinden soll, mit wem man es da genau zu tun hat. Besson pfeift dabei weitgehend auf Subtilität, mutet seinem Publikum einen gehbehinderten Drag-Star im Rollstuhl und eine farbige Frau als gute Minderheiten einer vielfach doch eher asozialen Gesellschaft zu, die sich in ihrem Leiden an dem Übel in der Gesellschaft gleichen (wobei immerhin erst einmal offen bleibt, wie gut beide Figuren sind). Der Verzicht auf Subtilität zeigt sich dann besonders deutlich beim Blick auf die Feindbilder, die sich hier durch christlichen Schmuck und patriotische US-Flaggen auszeichnen – und wie alle weiteren Vertreter des Bösen ganz eindimensional daherkommen.
Zunächst einmal bekommt man in einer der früheren (von vielen weiteren) Rückblenden zu Gesicht, wie DogMan aus dem Rollstuhl heraus seine Hundemeute nutzt, um einen Gangster und seine Gang in ihre Schranken zu weisen. Eine gute Tat im Gegenzug für eine andere gute Tat gewissermaßen. Dann widmen sich die Rückblenden wieder der Kindheit, um einigermaßen geradlinig seinen Werdegang bis zur Verhaftung abzubilden. Vom prügelnden Vater in den Hundezwinger gesteckt, weil er Hunde mehr liebe als seine Familie, ist Doug(las), wie DogMan einst hieß, nach der Flucht der Mutter ganz den Sadismen von Vater und größerem Bruder ausgeliefert, derweil er sich zunehmend mehr mit den Tieren anfreundet – und sich auch schützend vor sie stellt, als der Vater zur Flinte greift. Abdrücken wird der Vater dennoch; Doug ist seitdem auf einen Rollstuhl angewiesen. Durch das entstandene Loch im Zaun schickt der Verwundete jedoch einen der kleineren Hunde – nicht ohne ihm zuvor einen Polizeiwagen in einem Magazin vor Augen gehalten und ihm einen Beutel mit der blutverschmierten Patrone in das Maul gesteckt zu haben. Vater und Bruder werden verhaftet, Doug landet (als Außenseiter) in einer Unterkunft, wo ihm eine junge Betreuerin im Rahmen seiner Inklusion das Theater schmackhaft macht. Eine Liebesgeschichte wird sich über die Jahre allerdings zu seinem Leidwesen nicht entwickeln. Der Gehandicapte entwickelt sich weiter zum Außenseiter, dem einzig die Hunde Trost und Liebe spenden – und mit denen er sich mehr und mehr abgibt: auch bzw. vor allem dann, als er sich nicht mehr beruflich um sie kümmern kann und sie schließlich neben einer bizarren Karriere als Drag Queen beauftragt, reichen Mitbürger(inne)n ihren wertvollen Schmuck zu stehlen. Der Gehandicapte nutzt die Tiere, die er als einzig treue Freunde begreift – einem vorangestellten Motto entsprechend, das die Hunde als Begleiter der Leidgeprüften ausweist –, als Erweiterungen seines gehandicapten Körpers: ein wenig wie die gelähmte Hauptfigur in George A. Romeros "Monkey Shines" (1988) ihr Kapuzineräffchen, das dann aber seinen eigenen Kopf haben wird. Die unrealistische Form der Kommunikation, die bei den Tieren nicht bloß die Kenntnis eines enormen Wortschatzes voraussetzt, sondern auch allerlei Weitsicht und logisches Denken, machen die speziellen Fähigkeiten des DogMan aus, der darin dem Pinguin aus Burtons "Batman Returns" gleicht (oder auch den Einzelgängern in "Willard" (1971) & "Ben" (1972) oder der Außenseiterin in "Phenomena" (1987)); und der im Drag-Outfit und mit Rollstuhl und/oder Beinprothesen zudem einen ausreichend ungewöhnlichen, freakigen Anblick abgibt,[1] um als Superheld (oder -schurke) à la Professor Charles Francis Xavier bzw. Professor X von den X-Men (oder Elijah Price bzw. Mr. Glass aus M. Night Shyamalans "Unbreakable" (2000) und "Glass" (2019)) zu fungieren.
Hinzu gesellen sich dann die Tötungen: den Bruder ließ er nach der Haftentlassung von den Hunden reißen; später dann auch einen Schnüffler, der den entwendeten Schmuckstücken nachgeht und Kapital aus der Angelegenheit schlagen will. Beide Figuren werden ausreichend negativ und eindimensional gezeichnet, sodass man bei dieser Selbstjustiz gerne beide Augen zuzudrücken bereit ist. Erst recht gilt das für die Vielzahl der schwerkriminellen Opfer im Finale der Rückblenden, die nun eine der ersten Rückblenden wieder aufgreifen und zudem in die knappe Rahmenhandlung münden: Sie alle haben sich ihr Ende selbst zuzuschreiben und es scheint um keinen von ihnen schade zu sein.
Indes wirkt DogMan in manchen Momenten irritierend bedrohlich und schräg: Denn der Hundefreund, der sich mit dem selbstverliehenen neuen Namen DogMan den Hunden so sehr zuordnet wie den Menschen – freilich sein Schicksal im Hundezwinger und den eh an Dog gemahnenden Spitznamen Doug berücksichtigend –, blickt längst mit einer Verachtung auf den Menschen an sich: Dass Hunde den Menschen vertrauen, sei ihr einziger Makel, scherzt er einmal mit vollem Ernst. Diese Mensch-Hund-Beziehung dürfte eher bloß einem einfältigeren Teil der Hundeliebhaber(innen)fraktion gefallen: Das Zusammenspiel zwischen Tier und Mensch kommt unrealistisch harmonisch daher, die Kommunikation funktioniert reibungslos, die Liebe der Tiere zum Herrchen ist loyal und ungebrochen – wohingegen die begehrte Frau, die Doug einst das Theater nahegebracht hat, ihr ganzes Herz dann an einen ganz anderen Mann hängt. Die große Kränkung samt Dougs Rückzug infolge dieser Schlappe findet zwar keine explizite Zustimmung, aber der Film zeigt ein doch (bis ins Unrealistische) verklärtes Bild der Mensch-Tier-Beziehung, wobei die Tiere nirgends als Projektionsfläche eingebracht werden, sondern als loyale, treue Gefährten, bei denen man vor Enttäuschungen vollkommen sicher ist. Getreu dem Motto "Dass mir der Hund das Liebste sei, sagst du, oh Mensch, sei Sünde… Der Hund bleibt mir im Sturme treu, der Mensch nicht mal im Winde" wird das Mensch-Tier-Verhältnis extrem idealisiert, ohne die Defizite der Hauptfigur hinsichtlich eines
gesunden Umgangs mit Kränkungen und Enttäuschungen als Defizite ernst zu nehmen; vielmehr geht es darum, diese Defizite, diese trotzige Hinwendung zum Tier verständlich erscheinen zu lassen. Die Frage "Warum vertrauen Sie ihrem Hund mehr als ihrem Partner?", mit der 2008 (vergeblich) gegen die Schließung der klassischen Sozialpsychologie in Hannover protestiert wurde, wird in "DogMan", wenn man es positiver deuten will, gar nicht gestellt – oder, wenn man es negativer sehen will, mit einem naiven "Hunde sind meistens besser als Menschen" beantwortet. (Dabei läge ja die Frage auf der Hand, was Hunde als verlängerter Arm eines Menschen tun würden, wenn es die Hunde eines unmoralischen Menschen wären. Filme wie "White Dog" (1982) oder "Baxter" (1989) hatten solche Fragen einst aufgeworfen und hätten sich hier als dankbare Bezugspunkte angeboten – wenn denn Besson mehr als nur ein Spektakel im Sinn gehabt hätte.) Dass DogMan dann aber bei aller Überhöhung der Hunde und aller Verachtung des Menschen doch stets zwischen moralisch und unmoralisch agierenden Menschen zu unterscheiden scheint, sichert ihm auch weiterhin die Sympathie; selbst wenn in den besseren Momenten unklar bleibt, ob DogMan nun eher Superheld oder eher Superschurke – à la Diabolik oder Fantomas – ist.
Todd Phillips' "Joker" (2019) und das noch ausstehende, aber schon abgedrehte Sequel "Joker: Folie à Deux" (2024) (bzw. der Comic-Mythos rund um Dr. Harleen Quinzel bzw. Harley Quinn, die Therapeutin und spätere Gehilfin des Jokers) erweisen sich hier als Inspirationsquelle. Nicht bloß deshalb, weil Caleb Landry Jones mit geschminktem Gesicht und Späßen, die mitunter nur er versteht, sowie als zurückschlagender, schwer gebeutelter Außenseiter mit Handicap an Arthur Fleck und seine Joker-Werdung erinnert, sondern auch weil das gegenseitige Verständnis von Psychologin und Insasse auf diesen modernen Comic-Mythos fußt. DogMan, der sich den ganzen Film über der Psychologin anvertraut und in dieser eine verwandte – da leidgeprüfte – Seele erkennt, der er nach seinem – mit hündischer Hilfe bewerkstelligten – Ausbruch seine Tiere schickt und selber (nicht zum ersten Mal) in der Pose des Gekreuzigten auftritt (und im Schatten eines Kirchturms kurz zu ganzer Größe aufläuft und seinen Triumph feiert, ehe er inmitten seiner Hunde zusammenbricht und auf ihre Hilfe angewiesen ist), ist der zurückschlagende Ausgegrenzte, dessen moralische Ambiguität Besson aber bloß andeutet und nicht (wie Phillips in seinem "Joker") zum ethischen Problem und Thema des Films ausbaut.
Insgesamt kann sich "DogMan", der keinesfalls als Superhelden- oder -schurken-Film vermarktet wurde, nicht so recht entscheiden, ob er dieses Genre (wie Nolan oder Phillips) zu erden versuchen oder in einer nur scheinbar bodenständigeren Variation einen märchenhaften Zauber entfalten möchte, der im Grunde den üblichen Besson-Kitsch der letzten 20, 25 Jahre zelebriert; ob er moralische Ambiguität in den Blick rücken oder bloß einen zutiefst die niedrigen Instinkte befriedigenden Rachethriller abliefern will. Unmittelbar nach Rachel Yoders Roman "Nightbitch" (2021), aber selbst (k)eine Dekade nach Dave Jacksons australischen – völlig unausgegorenen, aber eben nicht naiven – Horror-Satiren "Cat-Sick Blues" (2013) & (2015) ist dieser Superhelden-(/-schurken-)Zwitter zwischen Mensch und Hund wahrlich keine Offenbarung.
So bleiben interessante Ansätze in einem insgesamt eher generisch wirkenden Streifen stecken, der letztlich eher wenig originell mit Comic-Mythen hantiert und abgesehen von aufdringlichen Anbiederungen beim Zeitgeist nichts weiter im Sinn zu haben scheint als die weitgehend naive Oberflächenhandlung in all ihren Stationen und Eskapaden, hinter denen sich nichts verbirgt. Zwar kitschig umgesetzt, aber immerhin durchgängig mit handwerklicher Souveränität und vereinzeltem inszenatorischen Geschick: wie bei Caleb Landry Jones' erstem Drag-Auftritt, der Rekapitulation seiner frühen Theater-Erfahrungen, dem kraftvoll, spannend ausgeleuchteten Einstieg oder dem effektvollen Schluss.
Ordentliche 6/10.
1.) "Freakig" ist hier nicht als Abwertung zu verstehen; vielmehr vereinen die Behinderung einerseits und die Queerness andererseits die Selbstbezeichnungen der Freakshow-Attraktionen um 1900 einerseits und der rebellierenden Gegenkultur um 1968 andererseits.