Ist die Ellipse an sich schon künstlerisch wertvoll? IN STÜRMISCHEN ZEITEN erhebt die Ellipse zum obersten Erzählprinzip. Dutzende von Zeit- und Raumsprüngen sollen vom Zuschauer oder der Zuschauerin gewissermaßen assoziativ überbrückt und mit Inhalt gefüllt werden. Da die Regisseurin Sally Potter für ihr aufwändiges Machwerk auch die Drehbuchvorlage lieferte, weiß man eigentlich sehr genau, wo die Verantwortlichkeiten liegen, wenn der rote Faden mal wieder gerissen ist und die räumliche und zeitliche Orientierung im Film nur noch Fragezeichen aufwirft.
Die Geschichte beginnt in einem kleinen jiddischen Dorf in Ostpolen(?), wo das kleine Jegele mit seinem Vater ein spartanisches, aber fröhliches Familienleben erlebt. Doch schon bald verabschiedet sich der bärtige Herr, schnürt sein Bündel und zieht mit den anderen Arbeitsfähigen von dannen, ohne sich groß zu erklären. "In Amerika ist alles möglich!" heißt es kurz vorher in einer Szene am dörflichen Männerstammtisch. Das soll uns wohl erschüttern, ruft aber eigentlich nur Irritationen hervor. Verwirrt bleibt die Kleine mit ihrer Großmutter, der Dorfjugend und den älteren Einheimischen zurück und muss schon bald mitansehen, wie polnische oder frühsowjetische Truppen(?) einen Teil der Bevölkerung deportieren und das Dorf anzünden. Jegele kann mit anderen jungen Leuten auf einem Pferdewagen fliehen, doch schon bald macht in der kalten Steppe das Pferd schlapp und der Wagen kippt einfach um. Nun kommt einer dieser fabelhaften Erzählsprünge und zeigt einen überfüllten Flüchtlingshafen, wo die "Baltijskaja Swjesda" auf ihre Passagiere wartet. Zu schluchzender Musik geht das Jegele bei Eis und Schnee in einer anonymen Menschenmasse Richtung Schiff, um schon bald darauf an Bord verschüchtert in einem Etagenbett zu sitzen. Wie der ganze Film ist auch Jegeles Leben in diesem Moment total fremdbestimmt. Im nächsten Moment steht sie schon in Obhut einer Rotkreuzschwester in einem britischen Hafen und bekommt den Namen "Suzie" zugeteilt. Suzie wird von der Rotkreuzschwester mal eben bei einem kinderlosen Ehepaar abgeliefert, das von nun an die Pflegeelternrolle zu übernehmen hat. In der Schule tut sich Suzie schwer mit dem Englischen. Mit viel Geduld und autoritärer Strenge vermittelt ihr der Rektor die neue Leitkultur. Es kommt zu einigen Singszenen, von denen eine per Match Cut mal eben ca. 15 Jahre überspringt und Suzie/Jegele zum ersten Mal als junge Frau zeigt. Jetzt stellt sich dem aufmerksamen Betrachter unwillkürlich die Frage nach dem historischen Zeitpunkt der Handlung der ersten fünf Kapitel. Sally Potter lässt uns diesbezüglich vollkommen im Dunkeln tappen. Denn als Suzie schließlich per Zug in Paris angekommen ist, steht die Stadt kurz vor dem Einmarsch der Deutschen Wehrmacht.
IN STÜRMISCHEN ZEITEN begibt sich somit im Gewande des künstlerisch wertvollen Autorenfilms in die Niederungen der Kolportage; ein Film, der trotz guter Ausstattung im Zeitkolorit und sorgfältig komponierten Szenenbildern doch nur halb fertig wirkt. Oft hapert es an den berühmten Blickachsenanschlüssen. Diese Symptomatik setzt sich auch fort, wenn das Nachwuchstalent Suzie zwischen den Milieus der Pariser Revue und der Pariser Oper hin und her pendeln muss. Eine zerrissene Welt voller Intrigen, in der ihre kurze Affäre mit dem Operndarsteller Cesar, einem Roma, ziemlich konstruiert wirkt. Das eigentliche Erzählziel des Films ist Suzies/Jegeles Wiedersehen mit ihrem Vater. Bis dahin hat man das emotionale Interesse an der weiblichen Hauptfigur wegen der zahlreichen, schiefgelaufenen Manipulationen im filmischen Erzählkontext leider schon verloren.
Als Studienmaterial für Hochschüler und Autodidaktinnen allemal zu empfehlen!