Dass ich das noch erleben darf! Ein Film "aus Hollywood", der sogar einen Oscar abgeräumt hat und wirklich gut ist, einen auch, ja, ich gebrauche diese ausgezuzelte Phrase, betroffen macht. Nein, "Monster" ist mitreißend geworden und die Tatsache, dass bei diesem Film auch Frauen das Heft in der Hand hatten, ist umso erfreulicher.
Charlize Therons Academy Award ist wahrlich verdient, ihr Spiel ist gut, nur habe ich bisweilen den Eindruck, dass es eher ihre physische Veränderung war, die die Juroren besonders beeindruckt hat. Dies ist insofern ärgerlich, als der Tenor in den Berichten immer die ach so "schöne" Charlize gegenüber der "hässlichen" Figur der Aileen hervorhebt, wobei es doch klar ist, dass das, was eine Celebrity "schön" macht keine Erbvorteile sind, sondern die harte Arbeit von KosmetikerInnen (und in Härtefällen auch plastischen Chirurgen). Marilyn Monroe auf dem Seziertisch nach dem Tablettentod ist Wuornos ähnlicher als ihrem eigenen berühmten Pin-up Foto auf rotem Samt, das tausende von Soldatenspinden (und nicht nur diese) zierte. Oder wie soll man sich Nicole Kidman vorstellen mit 40 Pfunden mehr am Körper, keiner regelmäßigen Zahnpflege und morgens um 4 aus dem Bett gepult? Eben!
Das schmälert aber keinesfalls Therons Leistung (auch wenn nach o. g. Auffassung ein Teil des Oscars an den mysteriösen Toni G., laut Abspann "special makup-assistant to Ms. Theron", und den japanischen Dental-Makeup-Spezialisten gehen sollte), denn besonders wichtig sind Haltung und Gebaren einer Frau auf der sozialen Abfahrtsbahn und das macht sie erschreckend gut. Der defensiv-aggressive Gang, das verächtliche Gesicht mit den heruntergezogenen Mundwinkeln....all das "in your face" Gehabe der Ausgestoßenen hat sie beunruhigend authentisch hingekriegt.
Offenbar konnte sich Theron auch aus eigener Erfahrung zumindest insoweit in die Rolle hineinversetzen als Männergewalt (und weibliches Zurückschlagen) bei ihr eine familiäre Erfahrung gewesen zu sein scheint. Vielleicht lag ihr diese Rolle auch deshalb so am Herzen, dass sie gleich die Funktion der Hauptproduzentin übernahm.
Christina Ricci ist ihr aber ebenbürtig in der Rolle als naive Geliebte, die letztendlich mit dem rauen Lebensstil und der immer deutlicher werdenden Höllenfahrt ihrer Liebsten nicht mehr umgehen kann, weil sie selbst dem Leben einigermaßen hilflos gegenüber steht, und zu guter letzt gegen sie aussagt bzw. ein Telefongespräch mit Wuornos in der U-Haft benutzt, diese in ein (vom FBI aufgezeichnetes) Geständnis am Telefon zu bugsieren.
Insbesondere an diesem letzten Teil wäre ein Hauch von Kritik anzubringen, denn da verlässt die Sache ein wenig den realistischen Ansatz und wird zum Kleenex-a-thon mit Seelenstrip, was insofern unglaubwürdig ist, als bei Menschen wie Wuornos die Gefühlswelt aus Selbstschutz so verschüttet ist, dass sie kaum in der Lage gewesen wäre, viele Dinge so auszudrücken, wie es im Film geschieht. Man darf ja auch nicht das Verhalten von Personen außerhalb und innerhalb des einzigartigen Milieus eines Gefängnisses verwechseln. Soll heißen, in der erzwungenen Einsamkeit einer Zelle, dem extrem reglementierten und daher regelmäßigen Leben in Haft und dem Kontakt mit Menschen, mit denen man vorher keinen Kontakt hatte (Wärtern, Rechtsanwälten, Ärzten), entwickelt man eine andere Sichtweise der eigenen Situation und auch eine andere Ausdrucksweise für dieselbe. Das tatsächliche Verhalten in ihrem abgefuckten (im schlimmsten Sinne des Wortes!) Leben zuvor ist ja hauptsächlich aus zweiter oder dritter Hand bekannt.
Aber gut, es soll auch kein Dokudrama sein und die Wirkung dieser "Dickensischen" Szenen schwärzester Sozialdystopie ist natürlich stark und läßt auch weniger feinfühligen Zuschauern die Möglichkeit, die Ausweglosigkeit der Situation Aileen Wuornos' unmittelbar zu verstehen.
Der Film endet mit einem weißen Gang, durch den die Mörderin geführt wird, wobei nicht klar wird, ob zu den Zellen oder zu "Old Sparky" (Death Row ist doch grün ausgemalt, oder?). Man kann "Monster" nicht unbedingt als Playdoyer gegen die letztendliche Bestrafung sehen, denn Patty Jenkins macht es sich nicht einfach: ein paar der Morde sind, wenn schon nicht sadistisch, so doch nicht mehr als Selbstverteidigung erweiterter Form zu rechtfertigen. Wobei aber schon klar wird, dass Wuornos nun nicht zur Lustkillerin mutiert ist, sondern einfach in einen fürchterlichen "Kreis des Blutes" geraten. Ihre Festnahme thematisiert die zukünftige Bestrafung (mit dem Tod) nicht (das wird erst im Abspann erwähnt), sondern es geht um den endgültigen, unwiederbringlichen Verlust aller Chancen auf ein "normales" Leben und darauf, geliebt zu werden. Damit ist Wuornos eigentlich schon tot und ob dann noch ihre "Leiche" am elektrischen Stuhl geröstet wird, ist so gleichgültig wie unmenschlich, denn über die Ungerechtfertigtheit und Barbarei der Todesstrafe braucht man als zivilisierter Mensch eh nicht mehr zu diskutieren.
Mit einem dermaßen düsteren und nachdenklich machenden Ende aus einem Film entlassen zu werden, das ist schon so ungewöhnlich geworden, dass allein dafür das höchste Lob gebührt. Wenn noch ein paar mehr solche Filme von den großen Studios der USA kommen, gewinne ich wieder mehr Vertrauen in das Filmbiz.
...und außerdem mag ich Filme, in die immer so unauffällig Frauenpärchen gehen ;-)
PS: Wuornos-Interessierten sei noch die sehr aufschlussreiche Doku "Aileen Wuornos: The Selling of a Serial Killer" von Nick Broomfield ans Herz gelegt (für eine Kritik reicht meine Erinnerung ehrlicherweise nicht mehr; der Beginn der 90er ist schon zu lange her). Gibt es als RC1 DVD.