HMS Surprise, 28 Kanonen, 197 MANN BESATZUNG,
NORDKÜSTE BRASILIENS, April 1805
"Das französische Kaperschiff ACHERON ist auf seinem Weg in den Pazifik abzufangen, bevor es den Krieg auf diese Gewässer ausdehnen kann. Es muss versenkt, gebrandschatzt oder als Prise aufgebracht werden."
Mit diesen einfachen Eckdaten beginnt der australische Regisseur Peter Weir den wohl bisher eindrucksvollsten und außergewöhnlichsten Kinofilm des Jahres 2003. Basierend auf einer Roman-Reihe (die „New York Times“ bezeichnet sie als die besten historischen Romane, die je geschrieben wurden) des Schriftstellers David Mamet O'Brian (die gleiche Zeitung bezeichnete ihn als einen der größten englischsprachigen Autoren der letzten 30 Jahre) erschuf Weir, zusammen mit John Collee, ein Drehbuch, dass weit mehr als oberflächliches Seefahrerabenteuer sein soll und Action, Anspruch, Dramatik sowie Authentizität, in Einklang bringt.
„Master and Commander“ ist kein gradliniges, effekthaschendes Unterhaltungskino wie „Pirates of the Carribean“ sondern schildert in beeindruckendem Realismus die Jagd auf einen überlegenen Gegner, ohne dabei das raue Leben an Bord, die Figuren und das Gräuel des Krieges aus den Augen zu verlieren.
Ohne sich um eine Einleitung der historischen Hintergründe zu kümmern, die man beim anvisierten Zielpublikum auch voraussetzen darf, beginnt die „Surprise“, umgeben von nichts als Wasser, zu erwachen. Der Wachposten glaubt im dicken Nebel schemenhaft ein Schiff ausgemacht zu haben. Trugbild? Halluzination? Vorsichtshalber wird der Mannschaft Gefechtsbereitschaft befohlen. Allein schon in diesen ersten Minuten wird dem Zuschauer das Gefühl vermittelt einen „anderen“, sich nicht um Genrekonventionen scherenden Film, zu begleiten. Auf Musik wird, wie fast immer im Verlauf des Werks, vollständig verzichtet. Stattdessen wird das um Ruhe bemühte, geschäftige Treiben an Bord beleuchtet, um schließlich bei Captain Jack Aubrey (Russell Crowe), genannt „Lucky Jack“ anzukommen, der hier allerdings nicht in heroisch stilisierten Kamerafahrten eingefangen, sondern als Teil des Ganzen gezeigt wird.
Plötzlich ist Ruhe auf dem Boot, die Offiziere stieren angestrengt durch ihre Fernrohre, können im dichten Nebel aber kein Schiff ausmachen, ein Fehlalarm, wie es scheint. Doch als die Besatzung schon durchatmend sich in ihre Kajüten zurückziehen will, wirft Aubrey, von seinem Instinkt getrieben, einen letzten Blick in die undurchdringliche Nebelsuppe, um so unwirklich es scheint, Mündungsfeuer zu sehen. Die Hölle bricht auf der „Surprise“ aus, der übermächtige Gegner „Acheron“ hat ihnen aufgelauert und zerfetzt das Boot. Es ist ein Inferno, Holz bärstet, Menschen schreien, unter Deck rutscht der Arzt bald im Blut aus, die Masten brechen und schließlich wird auch noch das Ruder beschädigt. Nur mit letzter Mühe kann sich die „Surprise“ in den rettenden Nebel schleppen und „Lucky Jack“ muss sich eingestehen zum ersten Mal verloren zu haben. Zwar gegen einen Gegner mit größerer Reichweite und schier undurchdringbaren Rumpf, jedoch trotzdem verloren.
Dieser Beginn zeugt vom einzigartigen Talent Peter Weirs, sich auf jedem Terrain wohl zu fühlen und abseits gängiger Modeströme zu inszenieren, wie er es unter anderem schon in „Der Club der toten Dichter“ oder „Die Truman Show“ unter Beweis stellte. Ohne auf die beeindruckende Bildkomposition eines Ridley Scott zurückgreifen zu müssen, bringt er in diesem ersten Duell, und auch im folgenden, die Action mit dem Handeln der Besatzung in Einklang. Kein Kanoneneinschlag, der übertrieben spektakulär erscheint, keine Wunde aus der plakativ in Strömen das Blut fließt. Die Schlacht ist grausam, gnadenlos und wir sind mittendrin. Die Szenerie wirkt trotz aller Technik nahezu altbacken und gerade deswegen natürlich. Einen wichtigen Teil trägt die Soundkulisse dazu bei. Das Wummern der Kanonen geht, genau wie das Geschrei der Besatzung durch Mark und Bein und selbst in den vorhergegangenen ruhigen Moment, hört man ständig das Wasser an die Planken schlagen und Seile, angespannt unter ihrer Last, ächzen.
Als „Lucky Jack“ von seinem Zimmermann der Schadensbericht vorgelegt wird und dieser ihn klar zu machen versucht, dass sie es mit notdürftigen Reparaturen gerade so nach Hause schaffen würden, überrascht ihr Kapitän mit der Fortsetzung seiner Jagd. Hier wird nun, neben Aubrey, die andere Hauptperson vorgestellt: Der Arzt und Wissenschaftler, um Vernunft bemühte, Dr. Stephen Maturin (Paul Bettany), welcher nebenher auch mit dem Captain befreundet ist und mit der Versorgung der Verwundeten schwer beschäftigt ist. Insbesondere die Szene, in der dem jungen Blakeney (Max Pirkis), ein Arm abgenommen wird, geht dabei unter die Haut. Wird hier doch klar, dass der Krieg auch nicht vor den Jüngsten Halt macht, die von ihren reichen Eltern auf solche Kriegsschiffe geschickt werden, um später das Offizierspatent zu empfangen und umgehend, trotz ihrer Jugend, zu Männern zu reifen. Hier wird frei von Klischees kein schmutziger Schiffsjunge geopfert, sondern ein gebildetes, junges, mutiges Kerlchen mit Erwachsenen in seiner Pflichterfüllung gleichgestellt.
In Folge wird das Leben an Bord beschrieben, was einige, aufgrund der trägen Erzählweise als zu zäh empfinden könnten, man dem Film aber, in Hinblick auf die intensive und ausführliche Darstellung des Bordlebens zugestehen muss. Ob Koch, einfacher Matrose oder die Führung während des Abendessens unter sich; für jedes Besatzungsmitglied, und sei es noch so unscheinbar, wird Zeit geopfert, um es in seinen Gefühlen und seinen Taten zu beschreiben. Allerdings hält das Unheil Einzug. Nicht nur, dass an Bord schon bald eine Meuterei droht, auch der in der Kapitänskabine in Dialogen ausgetragene Konflikt zwischen Maturin und Aubrey erweist sich als sehr interessant und vor allem glaubwürdig. Während der Doktor, stets rational denkend schon bald die Umkehr einfordert, sieht sich, vor gesundem Patriotismus und Erfüllung seiner Pflicht strotzend, Aubrey seiner Mission verschrieben. Beide respektieren einander, verstehen ihre Motive, beharren jedoch auch auf ihren Standpunkten, was später zu einem kleinen Konflikt heranschwellen soll, als Aubrey seinem Schiffsarzt die versprochene Expedition auf den Galápagos-Inseln zunächst verweigert. Übrigens der erste Film, der in dem Naturschutzgebiet gedreht werden durfte.
Die Führungsqualitäten „Lucky Jacks“ werden allerdings schon bald auf eine harte Probe gestellt, als die an religiöse Motive glaubende Besatzung einen Fähnrich als Gotteslästerer und Sündenbock auszumachen glaubt und ihren Respekt verliert, was mit administrativer Bestrafung zu verhindern versucht wird. Captain Aubrey hat alle Mühe seine Besatzung unter Kontrolle zu halten, was die Mangel an gutem Essen und Windflauten nicht erleichtert. Härte und Führung brauchen seine Leute, ansonsten kippt die Ökonomie dieses kleinen Kosmos, wie Audrey in einem Dialog gegenüber seinem Freund lautstark und überzeugend erklärt, was dieser dann auch einsehen muss. In dieser Beziehung wird dem Abenteuer ein Anspruch verpasst, der in seiner Komplexität in diesem Genre bisher nicht vorzufinden war.
Grandios inszeniert gerieten dazu die tragischen Momente, da sie so frei von Kitsch und Klischee in Szene gesetzt worden sind. Wenn von sich selbst nicht mehr überzeugte Besatzungsmitglieder den Freitod wählen und im Sturm ein über Bord geschleuderter Matrose, zum Wohle der gesamten Besatzung zurück gelassen wird, darf es jedem halbwegs emotionalen Zuschauer eiskalt den Rücken herunter laufen. Insbesondere die Naturgewalten um Kap Horn sind in ihren zügellosen Kräften eine unbeschreibliche Kinoerfahrung, da spätestens hier das 140 Millionen-Budget deutlich wird. Zum ersten Mal kann man von perfekten Computereffekten sprechen, die nicht mehr als solche auszumachen sind. Hinzu dürfen sich die liebevoll, bis ins kleinste Detail, designten Schiffe und Innenräume und die in Fachausdrücken schwellende Sprache gesellen, welche bis auf ein paar sprachliche Aussetzer (eventuell durch schlampige Übersetzung entstanden) wie „Hobby“ und Devise“ zur authentischen Atmosphäre beiträgt.
Bevor nach einer langen Reise, die nicht nur in polar temperierte Gegenden, sondern auch über einen Abstecher auf die Galapagos-Inseln führt, der „Surprise“, dank einer List ihres Captains der Sieg gelingt, werden noch viele, kleine Ereignisse stattfinden, die zusammengefügt, dem Film dennoch wie aus einem Guss erscheinen lassen. Den vielleicht für den Zuschauer intensivsten, mitfühlenden Moment hat „Master and Commander“ wohl zu bieten, als sich der Arzt schließlich selbst operieren muss und sogar der unerschütterliche Captain in Anbetracht seines verletzten Freundes unwohl wird. Dabei wird ein weiterer Beweis für Weirs Inszenierungsgeschick erbracht, wie er ohne explizite, spektakuläre oder plakative Details in den Zuschauer einzudringen vermag, um ihn mitten in die Personen oder das Geschehen zu versetzen.
Der beste Regisseur kann nicht ohne spielfreudige Schauspieler arbeiten, die sein Landsmann Russell Crowe, der die Rolle übrigens zunächst ablehnte, anführt. Bemerkenswert, dass hier niemand fehl besetzt, sondern jeder für seine Rolle geboren zu sein scheint. Crowe, dem hierfür wohl die nächste Oscar-Nominierung zustehen dürfte, strahlt alles aus, was ein Captain an Eigenschaften braucht: Härte, Disziplin, Charisma, aber in den richtigen Momenten auch Einfühlsamkeit und Mitgefühl. Ihm zur Seite, den Gegenpol bildend, Paul Bettany, als Schiffsarzt, der mit Russel Crowe schon in „A beautiful mind“ agierte. Beide zeigen als paar auch hier wieder eine beeindruckende Performance, die schlicht und einfach stimmig ist. Nicht vergessen darf man dabei nicht die Riege der jungen, überzeugenden Darsteller, unter denen Max Pirkis herausragt, auch wenn der den Verlust seines Armes etwas zu leicht wegsteckt.
Fazit:
„Master and Commander“ gleicht einem Geniestreich, dem der Titel „Beste Film des Jahres 2003“ höchstens noch „Die Rückkehr des Königs“ streitig machen kann. Peter Weir inszenierte, sich keiner Genrekonvention beugend, ein anspruchsvolles, zeitloses Abenteuerdrama, dass der Mainstream weitestgehend wohl leider nicht lieben wird, da das Erzähltempo zu Gunsten der authentischen Schilderung oft gebremst wird (Kreide ich Weir allerdings nicht an). Nicht nur die Schauspieler liefern eine grandiose Leistung ab, auch die Effekte sind in ihrer Qualität einzigartig. Die Schlachten sind grandios, bieten keine plakative Bilder, sondern überaus hektische, unübersichtliche und realistische Kämpfe. Ein Film der nie zu Ende gehen und wohl der heißeste Oscarkandidat sein dürfte. In Anbetracht der heutigen Blockbusterlandschaft ein geniales Stück. Mr. Weir, ich danke ihnen!