Review

Kopfkino in ultrarot

Oft genug kommen aus Kanada eher zweitrangige und austauschbare Genrebeiträge, die Glanzzeiten von Cronenberg und Co. sind längst vorbei. Gerade für Festivalvielgucker sind Beiträge aus Kanada leider zu oft eher Lückenfüllung. Aber es gibt Ausnahmen. „Red Rooms“ ist eine solche. Viel mehr als das. Ein richtig unangenehmer Qualitätsfilm. Ein ultrafieser Gerichtsthriller über unsere Faszination für Gewalt, Snuff und Serienmörder. Zwischen „Guinea Pig“ (als Kopfkinoversion), „The Neon Demon“, „Die 12 Geschworenen“, „8MM“ und „Tesis“. Über ein junges, hübsches Model und ihre riskante Nähe zu einem aufsehenerregenden Gerichtsverfahren eines des dreifachen, bestialischen Mordes angeklagten Mannes und der dunklen Seite des Internets, wo Videos seiner Taten an minderjährigen Mädchen die Runde machen…

Ein Meerschweinchen beisst zurück

„Red Rooms“ aka „Les Chambres Rouge“ ist Horrorfilm, Drama, ein Psychogramm und Thriller, (Meta-)Kommentar und Charakterstudie - und ein Film, wie ich ihn noch nie gesehen und vor allem gefühlt habe. Ein direkter Klassiker im Subsubgenre der „Snufffilmfilme“. Der beste Fincher, den Fincher nie gemacht hat. Eiskalt, hypnotisch, gefährlich (gut). Frische Gesichter, mutige Themen, ambivalente Deutungen möglich. Audiovisuell ein Gourmethappen. Dreht die Daumenzange erbarmungslos immer weiter. Schnürt auch den Atem etwas ab. Zwischen Abgründen im Web sowie der menschlichen Seele. Von unserem bizarren Interesse an Serienmördern, True Crime und allgemein unsere dunklen Seiten. Auch übersetzbar auf unsere seltsame Neugier auf „verbotene“ Filme wie „Guinea Pig“, „Men Behind The Sun“ oder „A Serbian Film“. Aber eigentlich noch viel tiefgründiger und böser. Nicht nur Fiktion. Von Macherinnen und Mitläuferinnen, von Wahrheit und Verdrängung, von Bösewichten und Heldinnen, von Bitcoins, Onlinepoker und der Sage Camelots. Ein weiter Kreis, eine enge Bindung. Sogwirkung ohne Ende. Ein Score zum Niederknien. Ein seelischer Slowburn. Eisige Farbgebung, abgebrühte Damen, verzweifelte Eltern. Ohne Frage auch als Ansage an Coronaleugner interpretierbar. „Red Rooms“ ist schockierend und interessant, fesselnd und abstoßend, intim und positiv irritierend. Ich weiß nicht ob das der erste Film ab 18 werden könnte, in dem man eigentlich nahe null explizite Gewalt sieht. Wenn man sich hierauf einlässt, dann kann man eigentlich nur zittern während des Abspanns. „Red Rooms“ hat mich wahrlich durchgeschüttelt und kann keinen einigermaßen emphatisch denkenden Menschen kalt lassen.  

Fazit: unfassbar stylisch, unfassbar hart in seiner Psychologie, seinem Kopfkino, unfassbar akut und diskussionswürdig. „Red Rooms“ ist gefährlich gut und einer der stilvollsten „Skandalfilme“ aller Zeiten. Eiskalter und rationaler hat sich wohl noch niemand mit dem Thema Snuff beschäftigt. 

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