Stolze neun Jahre dauerte es nach der Komödie „Die Schadenfreundinnen“, bis Regisseur Nick Cassavetes mit „God Is a Bullet“ seinen nächsten Film vorlegte, dazu noch mit dem gleichen männlichen Hauptdarsteller. In Genre, Ton und Anmutung könnten die beiden Filme allerdings nicht unterschiedlicher sein.
Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Boston Teran beginnt mit unschönen Bildern. Satanisten entführen ein Mädel, das auf seine Mutter wartet, Sektenaussteigerin Case Hardin (Maika Monroe) kotzt in eine Toilette, die Kultisten begehen eine Home Invasion. Dabei vergewaltigen und töten sie die Ex-Frau des Polizisten Bob Hightower (Nikolaj Coster-Waldau), richten deren neuen Ehemann rituell hin und entführen Bobs Tochter Gabi (Chloe Guy). Cassavetes setzt den Ton für die folgenden mehr als zwei Stunden von Anfang an, sowohl inhaltlich als auch inszenatorisch. Große Teile seines Films spielen bei Nacht, während die Tagesszenen ausgebleicht und trostlos wirken, als seien sie nur eine Weiterführung der Nacht und der Schwärze der meisten Seelen in diesem Film.
Bob will die Entführer seiner Tochter finden, doch seine Kollegen kommen bei den Ermittlungen kaum voran. Einen Hinweis könnte Aussteigerin Case liefern, die sich den eigentlichen den Fängen des Satanisten-Kults entzogen hat und gerade eine Reha im betreuten Wohnen macht. Sie wird durch einen Zeitungsartikel auf das Verbrechen aufmerksam und kann Bob einen Hinweis auf die Täter rund um Cyrus (Karl Glusman) geben. Es ist die erste Begegnung zwischen Bob, dem christlich-gläubigen Schreibtischhengst von der Polizei, und Case, der nihilistischen Ganzkörpertätowierten, die in ihrem jungen Leben zu viel gesehen und erlebt hat.
Als auch Case‘ Hinweise keine Durchbrüche erbringen, schlägt sie Bob einen Deal vor: Gemeinsam wollen sie sich undercover in die Kultistenszene begeben, um Gabi zu finden. Das Ganze wird jedoch eine Reise ins Herz der Finsternis…
Als Regisseur und Drehbuchautor scheint Cassavetes allerdings nicht so ganz zu wissen, wo besagte Reise denn hingehen soll, sodass sich „God Is a Bullet“ zwischen alle Stühle setzt. Für eine tiefergründige Abhandlung über Glauben, versehrte Seelen und menschliche Abgründe ist er viel zu oberflächlich, für einen knalligen Exploitation-Actionthriller viel zu lang und geschwätzig. Die 156 Minuten des Films wirken als habe Cassavetes nur so halb gewusst, welche Parts des Romans er nun behalten und welche er rauswerfen soll, ohne dabei eine klare Linie zu finden. Motivisch fühlt man sich zudem an Vorbilder erinnert, die Ähnliches besser gemacht haben. Den christlichen Spießer, der auf der Suche nach der Tochter immer tiefer in den Morast absteigen muss, gab es schon in Paul Schraders „Hardcore“, doch dessen Ironiebewusstsein geht „God Is a Bullet“ vollkommen ab. Dass der Held optisch wie seelisch immer mehr wie seine Gegner werden muss, wusste „Death Sentence“ pointierter erzählen. Tonal verwandt mit der Vorliebe für Überlänge, ultrabrutale Gewaltszenen und ausladende Dialoge ist auch das Schaffen von S. Craig Zahler, doch der kam stets besser auf den Punkt als Cassavetes hier.
So schafft „God Is a Bullet“ das Kunststück gleichzeitig zu lang zu sein und doch bei entscheidenden Punkten zu wenig zu erzählen. Das fängt schon bei den Schurken an, die wie eine Wiederauferstehung der Satanic Panic aus den 1980ern wirken. Da wird eine mächtige Subkultur angeteasert, die einerseits eigene Szenetreffpunkte hat, aber andrerseits für einen polizeilichen Zugriff zu flüchtig sein soll. Nach welchen Regeln der Kult funktioniert und was er vorhat, darüber schweigt der Film sich aus, während er seine Schurkentruppe inkonsistent zeichnet. Mal erscheinen Cyrus und seine Spießgesellen als Freigeister der ultrabösen Art, die mordend und schlachtend durch die Lande ziehen, dann wieder als organisierte Kriminelle, die Kinder prostituieren und wichtige Drogendeals durchführen. Warum es Streitigkeiten gibt und Tätöwierer Ferryman (Jamie Foxx) sich so halb von dem Kult losgesagt hat, wird nicht ausgeführt. Die kurzen Infos zu Cyrus‘ Vergangenheit geben immer noch seine Charakterisierung ab, während seine Handlanger sich eher durch markige Namen und markige Visagen auszeichnen. Dass Errol (Jonathan Tucker) anscheinend ein gelangweilter Reicher auf der Suche nach Nervenkitzel sein soll, wird grob angeteasert, warum Wood (Garrett Wareing) Crossdressing betreibt, wird noch nicht einmal angerissen. Man könnte fast meinen, dass „God Is a Bullet“ erzkonservative Urängste bebildern will, wäre da nicht die andere Seite des Films.
Denn Cassavetes will auch irgendetwas über Glauben, Gewalt und Vorurteile sagen, weshalb Case und Bob während ihrer Odyssee durch den Unterbauch Amerikas ausführlich über diese Dinge salbadern, ohne dabei jemals etwas auszusagen. Höchstens Bobs Erkenntnis, dass er anscheinend Vorurteile hat, ist ebenso prägnant wie banal. Dies gehört zu den zahllosen Szenen, die „God Is a Bullet“ zwar über Gebühr verlängern, ähnlich wie zahlreiche Subplots, die zwar aufgemacht werden, aber nirgendwo hinlaufen. Bestes Beispiel ist jener Handlungsstrang um Bobs Chef John Lee (Paul Johansson) und dessen Ehefrau Maureen Bacon (January Jones), die sich nur noch hassen, aber aus nicht geklärten Gründen zusammenbleiben. Dramaturgisch ebenso unbeholfen ist „God Is a Bullet“ dann im Schlussakt, wenn er nach dem eigentlichen Showdown noch fast eine halbe Stunde weitergeht und drei bis vier Enden zu viel an die eigentliche Handlung dranpappt.
Unter den wenigen Actionszenen ist besagtes Finale dann die ausladendste. Meist wird es nur kurze Konfrontationen, in denen ein Messer oder eine Schrotflinte schnell die Fronten klärt. Und selbst im Finale geben viele Beteiligte relativ schnell den Löffel ab, was Cassavetes dann auch eher bodenständig und rau als spektakulär und aufwändig choreographiert darbietet. Dafür teilweise mit B-Action(un)logik, etwa wenn mehrere Teufelsanbeter mit Maschinenpistolen auf den am Boden liegenden Bob schießen, ihm nur einzelne Schusswunden beibringen, während er mit seiner einfachen Pistole diese alle abräumt. Alleinstellungsmerkmal ist der Gewaltgrad, bei dem man teilweise nicht mehr gesunder, sondern fast schon von ungesunder Härte sprechen kann. So mitleids- und humorlos wurden selten Menschen in der Filmgeschichte in Fetzen geschossen oder sonstwie dahingemetzelt, ohne den Funsplatter-Aspekt eines „Sisu“, die Comichaftigkeit eines „The Punisher: War Zone“ oder die Martial-Arts-Extravaganz eines „The Night Comes For Us“. Bei einer Hinrichtung wird ein ganzes Magazin in einen Schädel entleert, einem Gegner werden erst der Unterkiefer und danach weiter Körperteile weggeschossen. Bei alledem will Cassavetes wohl ein kritisches Statement über Gewalt gegen Frauen, Kinder und Wehrlose machen, hält aber mit so viel Exploitationfreude direkt drauf, dass er dies direkt unterläuft.
Der Rachefeldzug ist ansonsten nicht gerade komplex, der Plan manchmal ausgeklügelt (Case‘ simulierte Drogensucht), manchmal reichlich unverständlich. Insofern funktioniert „God Is a Bullet“ am ehesten als Stimmungsfilm, denn bei all seinen Inkonsistenzen und Fehlentscheidungen kann man ihm immerhin seine Atmosphäre nicht absprechen. Dass er genretechnisch bisweilen als Horrorfilm geführt wird, dürfte genau daran liegen, denn inhaltlich ist er trotz des Satanismus-Themas ein grimmiger (Action-)Thriller bar jeder Phantastik. Doch wenn verlassene Highways und menschliche Abgründe gezeigt werden, wenn Case sich wider besseres Wissen auf diesen Rachefeldzug einlässt, wenn der anfangs so porentief reine Bob immer dreckiger und heruntergekommener daherkommt, dann hat das ein düsteres, nihilistisches Flair. Auch die Schurken mögen mangelhaft charakterisiert und geschrieben sein, machen aber immerhin durch ihr Handeln und Auftreten als Ausgeburten der Hölle Eindruck. Hinzu kommt ein stark ausgewählter Soundtrack, auf dem unter anderem Jane’s Addiction, David Bowie und Bob Dylan vertreten sind.
Ein weiterer Pluspunkt des Ganzen ist die Besetzung. Nikolaj Coster-Waldau und Maika Monroe ergänzen sich als konträre Partner wider Willen. Er als vermeintlich gefestigter Typ, der schnell erkennen muss, dass sein Blick auf die Welt ein limitierter und behüteter ist. Sie als schwer traumatisiertes Entführungsopfer, das seine Verletzungen unter einer Fassade aus Tattoos, rüden Sprüchen und ablehnender Haltung verdeckt. Markig, aber nur für wenige Szenen dabei ist Jamie Foxx. Als schmieriges Fieslingspack treten unter anderem Karl Glusman, Ethan Suplee, Jonathan Tucker und Garrett Wareing mit Overacting-Freude auf die Exploitation-Tube. Weniger glücklich sind einige Nebenrollen besetzt, darunter Paul Johansson und January Jones, deren Szenen einer Ehe eher Prollo-Trash-Qualitäten haben.
Mit seiner Atmosphäre und seinem größtenteils starken Cast hat „God Is a Bullet“ zwar einige Qualitäten, aber unterm Strich ist es kein guter Film. 30 bis 60 Minuten zu lang, drei bis vier Enden zu viel, ohne Drive, in einigen Punkten viel zu geschwätzig, in anderen Punkten dagegen viel zu hektisch und oberflächlich. Die wenigen Action ist nicht mehr als solide Handwerkerarbeit, deren einziges Alleinstellungsmerkmal ihre Ultrabrutalität ist. Trotz einiger Qualitäten und starker Momente: Das war nix.