Netflix möchte wie die großen Studios sein, Netflix möchte Franchises haben und wie bei den großen Studios gibt es Underperformer und Erfolge zu verzeichnen. „6 Underground“ oder „Spenser Confidential“ hatten im Actionbereich nicht den nötigen Zuspruch, der Old-School-Reißer „Tyler Rake: Extraction“ dagegen schon, weshalb mit „Tyler Rake: Extraction 2“ eine Fortsetzung an den Start ging.
Am Ende des Erstlings hatte Regiedebütant Sam Hargrave es noch bewusst offengelassen, ob Titelfigur Tyler Rake (Chris Hemsworth) die Schussverletzung und den Sturz von einer Brücke in Dhaka überlebt hat. Das Sequel zeigt nun die Rettung des Elitesöldners durch seine Teamkollegin Nik Khan (Golshifteh Farahani) und seinen anschließenden Aufenthalt in der Reha. Zu den seelischen Wunden des Kriegers, der seinen Sohn an eine Krankheit verlor, kommen nur auch noch körperliche Versehrungen, weshalb Nik und ihr Bruder Yaz (Adam Bessa) den angeschlagenen Kerl in einer abgelegenen Hütte in Österreich unterbringen – vielleicht ein Fingerzeig in Richtung Arnold Schwarzenegger und dessen ikonisches Actionerbe.
Die seelischen Verletzungen und familiäre Bündnisse sind es auch, die Rake nach neun Monaten wird auf eine Mission bringen, als ein geheimnisvoller Fremder (Idris Elba) vor seiner Tür steht und einen Auftrag hat: Rake soll Ketevan Radiani (Tinatin Dalakishvili), deren Sohn Sandro (Andro Japaridze) und Tochter Nina (Mariami & Marta Kovziashvili) aus einem georgischen Gefängnis befreien. Ketevan ist die Schwester von Tylers Ex-Frau Mia (Olga Kurylenko) und gezwungenermaßen dort, weil ihr Mann Davit (Tornike Bziava) sie bei sich haben will. Der leitet mit seinem Bruder Zurab (Tornike Gogrichiani) ein Verbrechersyndikat in Georgien, musste aber für lange Zeit in den Bau, nachdem er einen DEA-Agenten von einem Hausdach warf. Rake macht sich sofort ans sechswöchentliche Training, um vollständig wieder fit zu werden, was der Film stilgerecht in einer kleinen Montage zeigt.
Rake, sonst eher Befehlsempfänger, heuert Nik, Yaz und das gemeinsame Team an, um den Ausbruch durchzuführen. Damit weckt er natürlich den Unmut des Syndikats, das Zurabs Familie als ihr Eigentum betrachtet und die Flüchtigen keinesfalls gehen lassen will…
Regisseur Hargrave lässt es, erneut nach einem Drehbuch von Joe Russo, der mit seinem Bruder Anthony auch diesen Film wieder produzierte, zum zweiten Mal richtig krachen, variiert das Erfolgsrezept des Vorgängers und dreht in erster Linie an einzelnen Stellschrauben. So bekommt Tyler Rake ein wenig mehr Hintergrundgeschichte spendiert, wenn „Tyler Rake: Extraction 2“ die bereits im ersten Teil angerissenen seelischen Wunden weiter ausbuchstabiert und man mehr von seiner Familie zu sehen bekommt. War die Interaktion mit und die Rettung des jungen Entführungsopfers im Vorgänger für Rake ein Schritt zurück ins Leben, so will er hier durch die Rettung der eigenen Verwandten Vergebung suchen. Das macht aus dem einsilbigen Titelhelden noch keine vielschichtige Figur, humanisiert den Mietkiller allerdings, was von Vorteil ist, da das Sequel rund zwei Stunden auf der Uhr hat.
In Sachen Story ist „Tyler Rake: Extraction 2“ allerdings noch einfacher gestrickt als der Erstling. Gab es dort noch ein paar Verstrickungen durch die rivalisierenden Gangsterclans und den Plan des Auftraggebers Rake zu betuppen, so steht hier eine beinahe reine Hetzjagd der Schurken auf das Team an. Allenfalls Sandro sorgt noch für kleinere Komplikationen, da er zwischen Loyalität zu Mutter und zu Vater bzw. zu dessen Clan hin und her gerissen ist. Die Schurken sind ein Syndikat, das sich über ganz Georgien ausgebreitet hat, ranghohe Beamte in der Tasche hat und wohl irgendwas mit Drogen macht, wenn Davit für den Mord an einem DEA-Agenten einsitzt. Ein paar kurze Rückblenden zum Aufwachsen der kriminellen Brüder in Bürgerkriegszeiten geben ihnen etwas mehr Profil, aber in erster Linie handelt es sich bei den Bösewichten um Charakterfressen, die vor allem durch ihre Skrupellosigkeit, ihre Brutalität und ihr martialisches Auftreten Akzente setzen, weniger durch komplexe Motive oder feingliedrige Charakterzeichnung.
Spielte der Erstling Bangladesch und setzte dabei vor allem auf gelb-bräunliche Farbfilter, wählt „Tyler Rake: Extraction 2“ Georgien und Österreich als Locations, sodass die Optik eher auf Blau- und Weißtöne setzt, die mehr zu den kälteren Schauplätzen in Europa passen. Die Teammitglieder, vor allem Nik, werden stärker in die Action mit hineinbezogen, wodurch auch der Spannungslevel zumindest in einer Hinsicht steigt. Denn das Zugpferd wird man angesichts der Franchise-Ambitionen sicher nicht killen, doch seine Teamkollegen und seine Verwandtschaft sind da weniger wichtig. Neben mehreren anonymen Teammitgliedern, die auf der Strecke bleiben, gibt es auch einen schwerwiegenderen Verlust zu verzeichnen, obwohl die Charaktere rund um Rake eher Archetypen als gut ausgearbeitete Figuren sind. Am Ende wird dann auch die Tür für weitere Aufträge des Elitesöldners wesentlich weiter aufgestoßen als beim Vorgänger.
Besagte Figur spielt Chris Hemsworth dann immer mehr als menschgewordene Naturgewalt, als Krieger auf der Suche nach Vergebung, der für die eigene Erlösung und die Sicherheit seiner Schützlinge über Leichen geht. Keine tiefgründige Rolle, aber Hemsworth verkörpert sie mit beeindruckender physischer Präsenz und viel Charisma. Golshifteh Farahani als seine freundschaftlich verbundene Kollegin bekommt sowohl in den Actionszenen als schauspielerisch mehr Raum und supportet ziemlich gut, während Idris Elba und Olga Kurylenko nur für kleine Gastrollen vorbeischauen. Tornike Gogrichiani ist ein eindimensionaler Schurke, spielt aber angemessen hassenswert und hat Präsenz. Auch der gern als Widersacher gebuchte B-Actionstar Daniel Bernhardt schaut als rechte Hand des Oberbösewichts vorbei, bekommt aber leider keine allzu lange Auseinandersetzung mit dem Helden spendiert.
Vor allem aber punktet „Tyler Rake: Extraction 2“ in der Kernkompetenz der Reihe: Action. Die fällt noch ausladender und spektakulärer aus, wobei vor allem eine 21-minütige One-Take-Sequenz (mit unsichtbaren Schnitten) heraussticht. Diese beginnt während des Gefängnisausbruchs, bei dem unter anderem ein Hof voller kämpfender Wachen und Sträfling überquert werden muss, geht in eine Autojagd über und endet auf einem Zug, an dessen Bord sich Rake und Co. gegen Kampfhubschrauber und sich von dort abseilende Angreifer verteidigen müssen. Konsequenter wurde dies wohl nur in „Hardcore Henry“ und „One Shot“ auf Spielfilmlänge durchdekliniert, dort allerdings mit weniger Production Values. Hinzu kommt ein weiteres langes Gefecht in und um einen Wiener Wolkenkratzer, bei dem die Polizei von den Schurken mit Raketenwerfern und MG-Feuer auf Distanz gehalten wird, was leichtes „Die Hard“-Feeling erzeugt. Drinnen räumen Tyler und Co. unter den Gegnern auf, wobei vor allem ein Kampf auf einem abschüssigen Glasdach, dessen einzelne Platten jederzeit zerstört werden können, mit Einfallsreichtum überzeugt. Etwas ab fällt der enttäuschend klein skalierte Showdown. Die Actionszenen, in denen Rake seine Gegner mit Schusswaffen, Messern oder blanken Fäusten über den Jordan schickt, zeichnen sich durch eine starke Choreographie und eine famose Kameraführung von Greg Baldi auf, der nur in ein, zwei Einzelmomenten die Übersicht verliert (z.B. beim Fight im Gefängniskeller). Der Härtegrad ist hoch, wenn Messer in Hälse gestochen werden, Leute blutig erschossen werden oder Tyler einen Gegner mit einer Hantel erschlägt. Meistens ist das handgemacht, etwa wenn der Held am Ende einen ganzen Fuhrpark via Granatwerfer wegsprengt, weshalb der gelegentliche CGI-Einsatz (etwa beim Zugcrash) durch eher mittleres Budgetlevel und nicht vollkommene Ausgereiftheit abfällt.
Etwas mehr Charakterzeichnung, etwas weniger Story, eine noch längere One-Take-Sequenz, dafür ein etwas antiklimaktischer Showdown und ein paar mittelschöne CGI-Einlagen: „Tyler Rake: Extraction 2“ unterscheidet sich in Akzenten vom Vorgänger und ist diesem nur leicht unterlegen. Wie schon der Vorgänger ist auch Sequel ein aufs Wesentliche fokussierter Actionfilm der alten Schule mit simplem Plot, aber fetten, weitestgehend handgemachten Actionszenen auf höchstem technischem Niveau und charismatischem Hauptdarsteller.