Wenn es eines Beweises bedurft hätte, daß eben doch nicht jeder mal klein angefangen hat, dann ist „Blood Simple“ von den Coen-Brüdern das richtige Beispiel. Nun, das Budget ihres Erstlings ist mit gerade einer Million Dollar klein gewesen, das stimmt, aber was dessen Qualität angeht, haben wir es bereits mit einem ganz großen Brocken zu tun. „Blood Simple“ ist - zumindest im Director’s Cut - ein beeindruckend reifer Film, der sich mühelos mit ihren späteren Werken messen kann.
Worauf man als Fan der beiden noch verzichten muß, das sind die skurrilen Gestalten, die sonst jeden ihrer Filme mal in größerer, mal in kleinerer Anzahl bevölkern, sowie auf Dialoge der ulkigen Sorte, wie sie „The Big Lebowski“ so zahlreich liefert. Ansonsten sind mit pechschwarzem Humor, grotesken Gewaltausbrüchen und verrückten Einfällen alle Zutaten vorhanden, die man von einem Coen-Thriller erwarten kann. Davon sprudelt „Blood Simple“ geradezu über, fast macht es den Anschein, als wäre das Drehbuch zu dem erst Mitte der 90er entstandenen „Fargo“ direkt nach diesem Film fertiggestellt worden.
Für das Regiedebüt brauchte es praktisch nicht viel mehr als vier handelnde Figuren und einen nicht gerade neuen, dafür unter Krimifans aber umso beliebteren Plot, der schon zu Zeiten des Film noir in den 40er und 50er Jahren funktionierte und es bis ins 21. Jahrhundert hinein tut: attraktive Frau (Abby) betrügt Ehemann (Marty) mit Schönling (Ray) - gehörnter Ehemann kommt dahinter und heuert jemanden an, der die beiden Turteltauben umlegt. Viel simpler läßt sich die Ausgangslage nicht gestalten. Aber die Coens wären nicht die Coens, wenn sie sich mit diesem dürren Handlungsgerüst zufrieden geben würden. Natürlich verkompliziert sich die Angelegenheit in der Folge gehörig, indem der vom Ehemann Angeheuerte, ein übergewichtiger Privatdetektiv (jedoch gewitzter, als man vermuten möchte), eine kleine, aber feine Änderung des Plans vornimmt. Würde er den Plan, wie ursprünglich vereinbart, in die Tat umsetzen, wäre „Blood Simple“ nach einer halben Stunde beendet. So löst er jedoch eine nicht aufzuhaltende Lawine der eklatanten Mißverständnisse und haarsträubenden Zufälle aus, die alle Beteiligten mit sich reißt und noch gewaltiger wird, weil er selbst einen schwerwiegenden Fehler begeht, den er nicht mehr korrigieren kann.
Der eine glaubt, die andere hätte einen Mord begangen - dabei hat sie es gar nicht. Die eine glaubt, der andere würde durchdrehen - dabei tut er es gar nicht. Der eine glaubt, die anderen hätten etwas, was ihm gehört - dabei haben sie es gar nicht. Ein Irrglaube türmt sich auf den nächsten, keiner versteht den anderen richtig, jeder zieht grundsätzlich die falschen Schlüsse. Es ist geradezu tragisch mitanzusehen, wie vage sich Ray in seinen Gesprächen mit Abby ausdrückt, anstatt einmal Klartext zu reden, weil er stets davon ausgeht, daß sie weiß, wovon er spricht. Dem Zuschauer wird dabei höchste Aufmerksamkeit abverlangt, um der Handlung folgen zu können, denn jede Szene des Films, jedes in verräterischer Großaufnahme gezeigte Detail erweist sich als wichtig. „Fargo“ hat einen Drehbuch-Oscar abgestaubt, den hätte sich „Blood Simple“ ebenfalls redlich verdient.
An sich wäre ich für dieses Drehbuch, in dem wirklich ein Rädchen ins andere greift, schon dankbar genug gewesen und hätte es den 1984 noch filmunerfahrenen Coens auch nicht übelgenommen, wenn die Inszenierung damit nicht ganz Schritt hätte halten können. Allerdings kann sogar diese in der oberen Liga mitspielen, so daß der Film von vorn bis hinten wie das Werk eines alten Hasen aussieht. Man merkt ganz einfach: Hier stehen Leute hinter der Kamera, die in ihrem Leben bereits genügend Filme und Bücher studiert und verinnerlicht haben, um genau zu wissen, wie das Genre funktioniert. Die sehr routinierte Kameraführung von Barry Sonnenfeld (später Regisseur u.a. von „Schnappt Shorty“) leistet treue Dienste und der Score kommt nur selten zum Einsatz, er ist auch nicht unbedingt notwendig, schließlich gibt es kaum Atmosphärischeres als den Schauplatz des Geschehens, ein texanisches Kaff, in dem die Sonne unerbittlich glüht, und wenn es gilt, eine Leiche in einer gottverlassenen Wüstenlandschaft nahe einem endlos erscheinenden Highway inmitten der Stille der Nacht zu verbuddeln - warum sollte man ausgerechnet da das schöne flirrende Szenario mit spannungsfördernder Musik zudröhnen?
Vor allem weil besagte Szene, die ohne ein gesprochenes Wort auskommt, das absolute Herzstück von „Blood Simple“ darstellt, eine Szene, so herrlich schwarzhumorig, die allein schon Grund genug ist, um auf der Stelle Fan der Coens zu werden. Schon Paul Newman hatte 1966 ja in „Der zerrissene Vorhang“ arge Mühe, Wolfgang Kieling von dieser in die nächste Welt zu befördern, aber das ist nichts im Vergleich zu dem, was einer der Protagonisten hier mit einem vermeintlich Toten mitmachen muß, der sich vehement weigert, aus dem Leben zu scheiden, obwohl er sich nur noch auf allen Vieren in Schneckengeschwindigkeit röchelnd fortbewegen kann, schätzungsweise zehn Liter Blut verloren hat und sogar in seinem geschaufelten Grab noch die Dreistigkeit besitzt, eine Pistole auf einen Menschen zu richten. Die Coens lassen sich ganz viel Zeit und blähen das irrwitzige Geschehen scheinbar unendlich auf mehrere Minuten auf. Es will und will nicht enden, und wenn dann nach verrichteter Arbeit erst die Karre des Grabschauflers nicht anspringen will (ein allzu gern verwendetes Klischee, besonders in Teenie-Slasher-Filmchen), um es schließlich nach mehreren Anläufen endlich doch zu tun, möchte man als Zuschauer am liebsten aufstehen und spontan Beifall klatschen.
Doch damit nicht genug der Absurdität, denn „Blood Simple“ kulminiert in einem abgefahrenen Schlußkampf zwischen den beiden verbliebenen Hauptfiguren, der seinesgleichen sucht. Den Zuschauer möchte ich erleben, der hinterher behauptet, er hätte so etwas in der oder auch nur ähnlicher Form schon einmal gesehen, ein solches Finale kann die Welt einfach noch nicht gesehen haben. Wenn es auch überraschend kurz ausfällt, bleibt es dabei doch erstaunlich realistisch (obwohl mir das wahrscheinlich keiner glauben würde, würde ich den Inhalt schildern) und verdient sich allein zwei Punkte durch pure Innovation, die auch an dieser Stelle so stark ist, daß man es so schnell bestimmt nicht mehr vergißt.
Eindeutig gehören tut der Film M. Emmet Walsh, der den Privatdetektiv Visser spielt. Dieser unangenehme Mensch, der wahrscheinlich sogar dazu bereit wäre, seine eigene Familie vollzählig auszulöschen, ohne hinterher auch nur eine Sekunde lang ein schlechtes Gewissen mit sich spazieren zu tragen, wenn man ihm für die Tat nur ein wenig Knete in die Hand drücken würde, ist wohl eines der niederträchtigsten Wesen, das man sich vorstellen kann. Walsh geht mit dementsprechend viel Engagement zur Sache und haut mal eben so viel Charisma aus der Hüfte, daß sich selbst seine großartigen Kollegen Frances McDormand (Abby) und Dan Hedaya (Marty) gefälligst hinten anzustellen haben.
Als Fazit bliebe festzuhalten: Ein geniales Coen-Frühwerk mit einem selten guten und besonders cleveren Skript, das unverkennbar aus ihrer Feder stammt. „The Big Lebowski“, „Barton Fink“ und „Fargo“ mögen allesamt höheren Kultstatus unter den Freunden des Brüderpaares genießen, mein erklärter Favorit der zwei indes ist dieser Thriller namens „Blood Simple“.
Gesamtwertung? Nichts einfacher als das: 9/10.