Review

„Nett". Das wohl am häufigsten in ‚Vergiss mein nicht!‘ verwendete Adjektiv beschreibt auch recht treffend die meisten Romantik- und Liebesfilme an sich. Diese bestehen zumeist aus zitierten, kopierten, geklauten oder gar keinen Ideen und bieten süßen, leicht verdaulichen, auf den Massengeschmack zugeschnittenen Kitsch und Schmalz. Nur sehr selten springen dabei noch wirkliche Meisterwerke aus der Masse hervor, die meisten seit Jahren und Jahrzehnten etablierten Zutaten werden nur nach bekannten Formeln wieder aufbereitet, um die Helden über die vorhersehbaren Irr- und Umwege ihrem Happy End entgegen zu führen. Nett eben. Oder langweilig. Oder ärgerlich, nervig, öde. Umso erfreulicher, wenn man dann ein Werk von solcher Originalität, Inspiration und Individualität zu Gesicht bekommt, wie es Michel Gondrys ‚Vergiss mein nicht!‘ ist.
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Wo sich in der üblichen Massenware des Liebesfilms meistens nur über direkte Vergleiche zu- und untereinander die qualitative Umsetzung gleicher oder ähnlicher Merkmale feststellen und bewerten lassen, setzt Drehbuchgenie Charlie Kaufman auf etwas ganz anderes. Seine Geschichte ist einzigartig in jeder Hinsicht. In seinen Dialogen, seinem Aufbau und der durch die Hand des Franzosen Gondry gewonnen Bildsprache ist ‚Vergiss mein nicht!‘ ein einzigartiges Erlebnis. Autor Kaufmans Kunst besteht, wie auch bei seinen weiteren Drehbüchern (z.B. ‚Being John Malkovich‘, ‚Adaption‘), nicht etwa darin, die Anordnung der Grundzutaten schlicht zu verändern oder sie zu negieren. Auch reiht er nicht einfach nur möglichst skurille Ideen aneinander, schließlich garantieren abgefahrene Einfälle noch nichts Originelles und können arg schnell ins Bemühte abrutschen. Kaufman gelingt vielmehr tatsächlich etwas Neues. Und ihm gelingt es, aus vielen Absurditäten nicht bloß hohle Extravaganz zu züchten, sondern daraus etwas in sich schlüssig Originäres zu schaffen.  
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‚Vergiss mein nicht!‘ beginnt mit Joel Barish, gespielt von Jim Carrey, der einem plötzlichen, seinem Naturell widersprechenden Impuls nachgibt und statt zur Arbeit zu einem einsamen Strand fährt. Mit knappen Kommentaren aus dem Off stellt Joel sich quasi passiv vor. Dabei genügen seine wenigen Worte, die dezente musikalische Untermalung und zurückhaltende Kameraarbeit, um beinahe unmittelbar eine gewisse Bindung zu ihm und dem Film aufzubauen. Am Strand, im Cafe, auf dem Bahnsteig und später im Zug trifft der zurückhaltende Joel auf die flippige, offenherzige Clementine, die sich mit blauen Haaren, einem knallig orangenen Pulli, vor allem aber ihrer unkonventionellen Art wie ein Farbeimer über Joels graue Tristesse ergießt. Trotz der offensichtlichen Unterschiede fühlen sich beide zueinander hingezogen. In diesem viertelstündigen Prolog ist ‚Vergiss mein nicht!‘ am ehesten eine „typsiche" Liebeskomödie, reichert die Konstellation der zueinanderfindenden Gegensätze aber mit einer ehrlichen Wärme und durchscheinenden Poesie an. Joel und Clementine verbringen eine Nacht auf einem zugefrorenen See und mit den beiden auf dem Eis liegend liefert Gondry eines der vielen unvergesslichen Bilder und Momente des Films. Kurz danach macht die Handlung einen Sprung, man sieht einen verzweifelten, weinenden Joel, der wenig später erfährt, dass Clementine sich einem neuartigen Verfahren unterzogen hat, bei dem alle Erinnerungen an eine bestimmte Person, in diesem Fall an ihn, Joel, aus der Erinnerung gelöscht werden. Den Trennungsschmerz nicht ertragend beschließt auch er, sich dem Verfahren zu unterziehen. Doch ist er wirklich bereit, Clementine zu vergessen?
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Wie genau die Handlung, ihre Struktur samt Zeitsprüngen und Rückblenden ineinandergreift, das gleicht in Inszenierung und Umsetzung einem abstrakten, mehrdimensionalen Kreuzworträtsel, in dem sich die entscheidenen Begriffe, oder besser, das entscheidene Begreifen aus scheinbaren Irrelevanzen und sogar negativ Behaftetem zusammensetzt. Joel und Clementine finden nicht zueinander, weil der Film behauptet, sie seien füreinander bestimmt. Sie finden nicht zueinander, weil ihre Liebe grenzenlos ist. Sie finden zueinander und auseinander, weil Liebe mehr bedeutet, als zu lieben. Mehr, als das Vergessen ausmerzen kann. ‚Vergiss mein nicht!‘, oder ‚ Eternal Sunshine of the Spotless Mind‘ (ein Originaltitel, der Erwähnung verdient) setzt sich trotz seiner zunächst weit hergeholten Grundidee mit einer derartigen Wahrhaftigkeit, emotionalen Tiefe, Komplexität und gestalterischen Schöpfungskraft von jedwedem Genrekollegen so weit ab, dass es eigentlich einer Herabwürdigung gleichkommt, ihn überhaupt in deren Nähe einzuordnen. Die Nebenhandlung um die Mitarbeiter der Firma, die Joels Gedächtnislöschung vornehmen, füllt den Film mit weiteren Facetten, wodurch sich das Geschehen um ethische und moralische Fragen erweitert, aber auch zum Nachdenken darüber anregt, was Erinnerungen und die dazu in Verbindung gesetzten Gefühle aus einem machen. Und was davon bleibt, wenn sie nicht mehr da sind/wären.
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Jim Carrey und Kate Winslet sind als Joel und Clementine grandios. Carrey glänzt mit einer Nuanciertheit und Zurückgenommenheit, die bei seinen kamikazegrimmassierenden Auftritten in früheren Filmen undenkbar schienen, ihn hier aber nach ‚Die Truman Show‘ und ‚Der Mondmann‘ einmal mehr als wahre Größe im Charakterfach auszeichnen. Winslet wird, ihrer schauspielerischen Klasse entsprechend, weit über das schrille Äußere hinaus als Charakter ausdifferenziert und liefert eine nicht minder bravouröse Leistung. Mit Elijah Wood, Mark Ruffalo, Kirsten Dunst und vor allem Tom Wilkinson sind die weiteren Rollen nicht nur namhaft, sondern ebenso mit darstellerischer Güte besetzt.
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Auf seine Art ist ‚Vergiss mein nicht!‘ nicht weniger, als einer der besten, weil unvergleichbarsten Liebesfilme überhaupt. Nie kitschig, nie gewöhnlich. Und nie sein Zentrum aus den Augen verlierend, in dem sich eine der schönsten und ehrlichsten Geschichten abspielt, die man in einem Film entdecken kann.

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