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Ich hätte es ja eigentlich nach “Being John Malkovich” und “Adaption” besser wissen sollen, ja müssen, als diese Perle aus biochemisch erzeugten neuronalen Reizen eines verliebten Menschen so lange Zeit zu ignorieren. Charlie Kaufman ist nun endgültig mein Gott der verquasten Erzählung, ein Mann, dem es in Zukunft blind zu folgen gilt.
Die Werbestrategie um dieses Werk herum sei bitte möglichst schnell vergessen: Weg mit dem Bild von Jim Carrey und Kate Winslet, wie sie verliebt nebeneinander auf dem Eis liegen, weg mit dem Kopf Carreys in der unteren linken Ecke, der sich dieses Bild argwöhnisch anschaut, eben so, wie man Carrey kennt - als ob er bald wieder in seine Verrenkungen einsteigen wolle.
Weg mit dem Gequatsche von “unkonventioneller Liebesgeschichte” - was natürlich nicht ganz falsch ist, den Ton aber um Meilen verfehlt. Alles Käse, was auch für viele gedruckte Kritiken gilt. Warum will man uns mit unpassendem Marketing davon fernhalten, einen Film zu sehen, der die Liebe ihrer übernatürlichen Magie beraubt, sie einmal nicht mit der Romantik des Ewigen vermengt, sondern als schwächliches Hin und Her von elektronischen Reizen entpuppt? Zumindest in Ansätzen?

Weg damit, bitte. Könnte ich diese Erinnerungen ausgelöscht haben, Dr. Mierzwiack?

Viel Zeit vergeht, bevor die Opening Credits mit dem Filmtitel eingeläutet werden. Vorher wird noch eine eigene Liebesgeschichte erzählt mit einem Jim Carrey und einer Kate Winslet, die beide so natürlich agieren wie nie zuvor in ihrer Karriere - was gerade bei Carrey eine erschlagende Erkenntnis ist. Hier baut er sich ein Fundament für seine Ambitionen als ernsthafter Schauspieler.
Im Prolog wird ein eigener Plot verheizt, der einer romantischen Kitschkomödie über die komplette Laufzeit helfen würde. Der gar anspruchsvollen Liebesdramen mit Ambitionen, über den Tellerrand zu schauen, ein Fundament verliehe, einem Film wie “Lost in Translation”. Bevor der Film beginnt, wurde nicht nur die Geschichte des Zusammenfindens zweier Menschen erzählt, nein, diese beiden Menschen wurden mit einem Minimum an Aufwand maximal analysiert und zu Individuen erhoben, weit über den Klischees einer durchschnittlichen romantischen Komödie, auf einem Level mit “Lost in Translation”, dessen Thema in diesen ersten Minuten gar auf die Geschichte von Joel (Carrey) und Clementine (Winslet) adaptierbar ist. Alles noch in konventionellem, aber qualitativ hochwertigen Rahmen.

So, nun geht es los. Würden Sie mir bitte meine Erinnerungen auslöschen, Dr. Mierzwiack? Die Filmcredits beginnen.

Elijah Wood klopft ans Fenster meines Autos, als ich auf Kate warte. Keine Ahnung, was er mir sagen will... wieso fragt er mich, ob er mir helfen kann?
Bin ich schon in meinem Kopf? Ist das nun schon die Behandlung? Ich bat darum, die schmerzhaften Erinnerungen an meine Clementine löschen zu lassen, weil sie es vorher tat. Sie war nicht mehr glücklich mit mir, sagte mir Dr. Mierzwiack. Es ist so wie Romeo und Julia in vertauschten Rollen, eine Gleichsetzung der verblassenden Erinnerungen mit dem Tod, die Prozedur als ein Gleichnis des Selbstmordes. Und als wir beide in meinem Kopf merken, dass wir nicht sterben wollen, ist es eigentlich schon zu spät; Menschen und Häuser verschwinden mit einem *Plopp*, du wirst mir immer wieder entrissen, verlierst dich im Dunkeln, dein Gesicht ist nurmehr eine rosafarbene Hautmasse.

Wir werden auf eine verwirrende Reise ins Unterbewusstsein unser selbst geschickt, die Identifikation mit dem armen Teufel Joel erfolgt über eine ausgeklügelte Schnittmontage und absurden Szenenkompositionen, die der Verarbeitungsabfolge unseres Gedächtnisses nachempfunden ist. Pausen- und dramaturgiefrei zieht sich die hirnschädigende Behandlung in einem Affenzahn bis zum abrupten Ende, von uns erlebt aus einem egoperspektivischen Bewusstsein. Das Gehirn erhält seine Informationen über die Sinnesorgane, als da wären das Visuelle, das Akustische, das Kinästhetische / Haptische, das Olfaktorische, das Gustatorische und das Vestibuläre. Dr. Mierzwiack benötigt persönliche Gegenstände, alles, was irgendwie über diese Sinne mit der Person in Verbindung gebracht wird, die vergessen werden soll.

In einer undefinierten Position irgendwo im infiniten Sternenfeld unseres Gedankenraums finden wir uns wieder, verunsichert und durch optische Tricks der Realität entzogen. Würde man diesem Erlebnis als Genre zusätzlich noch die Marke “Horror” anhaften, wäre das nicht verkehrt, denn das Irren durch die eigenen Hirnwindungen mit verzerrter Sensitivität ist hausgemachter Horror, frisch aus der Hirnrinde. Liebe, Glück und Horror verschmelzen zu einem grotesken Klumpen, als Joels Hirn gebraten wird. Joel folgt Clementine ins Badezimmer, wo sie aber gar nicht ist, als er dort eintrifft. Sie ist im Flur, geht aus der Haustür hinaus in einen schattenreichen Hausflur, der jener Architektur des Hauses in David Lynchs “Lost Highway” ähnelt, in dem Bill Pullman erste Ansätze seiner Metamorphose erlebt. Dann sind wir draußen, es ist dunkel, Joel folgt seiner im schnellen Schritttempo flüchtenden Freundin, als ein Auto vom Himmel fällt. Joel steigt in sein eigenes Auto ein, fährt Clementine hinterher, parkt es, steigt aus und geht nach links - wo er auf sein Auto trifft. Clementine ist inzwischen auch rechts, also geht er auch wieder nach rechts - wo er auf sein Auto trifft. Und Clementine ist plötzlich links.

Die Geschichte einer Erkenntnis sucht uns heim, der Erkenntnis, dass es falsch ist, seine Erinnerungen zu löschen. Es ist eben nicht nur “theoretisch” eine Schädigung des Hirns, die auch nicht schlimmer ist als ein Alkoholexzess... es ist ein irreparabler Schaden. Faktisch.

Hören Sie auf, Dr. Mierzwiack! Hören Sie mich? Ich will, dass Sie den Eingriff abbrechen.

Doch Charlie Kaufman hat offensichtlich sämtliche Dimensionen in seinem Drehbuch berücksichtigt, zeitliche Ebenen wie Abstraktionsebenen. Während Joels Verstand gegen den Eingriff zu rebellieren beginnt und sich in die Vergangenheit zurückzieht (wo es einen verfremdeten Rückbezug auf John Malkovichs groteske Reise durch seinen eigenen Verstand zu sehen gibt), wechseln wir zwischenzeitlich auch mal auf die reale Ebene, entsteigen Joels Hirn, um die Behandlung objektiv mitzuerleben. Hier gibt es echte Probleme, Dramen auf menschlicher Basis, die Auswirkungen dessen, was wir soeben live von den besten Plätzen aus (mitten in Joels Hirn mit seinen Augen als Sichtfenstern vor uns) miterleben durften. Das Wissen nun auch, dass die Realität hier zur Metaebene ausgerufen wird, in der auch nicht alles Friede, Freude, Eierkuchen ist.

Die wissenschaftliche Möglichkeit, sich bestimmte Erinnerungen entfernen zu lassen, für uns als Bewohner der Erde des Jahres 2004 eine fiktionale Angelegenheit, zeigt ihre hässliche Seite. Ein Eingriff wider der Natur. Doch steht die Wissenschaft hier nicht unter Anklage, vielmehr wird ein Szenario entwickelt, das dem unergründlichen Wesen der Liebe einen Grund geben soll. Die Liebe soll definiert werden mit dem erfrischend biologischen Ansatz, der am Ende nicht die Erleuchtung über uns bringt. Schließlich nennt sich Michel Gondrys Werk “Eternal Sunshine of the Spotless Mind”. Das Gehirn ist nun einmal als biologische Masse nicht der Ewigkeit verbunden, aber es ist eben ein alternativer Ansatz, der sich mit Erfolg vom Einheitsbrei thematisch ähnlich gelagerter Liebesfilme emanzipiert. Genau das hängt diesem Werk das “Meister” vornean. Das ist es, was einen Charlie Kaufman ausmacht. Wie es sich schon in “Adaption” andeutete, existieren der Mut und die Fähigkeit, sich eines Gegenstandes auf hermeneutische Weise zu nähern, auch wenn dies mit den Regeln eines Filmes kollabieren muss. Und Michael Gondry, nach “Human Nature” erneut mit Kaufman beruflich verbandelt, hat das Drehbuch offenbar genauso gut verinnerlicht wie Spike Jonze und wie das Hauptdarstellergespann Carrey und Winslet. Ein notwendigerweise etwas kalter, aber großartiger Film.

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