Es ist Deutsch in Kaltland
Nein, Bübchen ist kein Vampir und diesen Film von Roland Klick in irgendeiner Art mit dem blutgierigen Geschöpf der Nacht in Verbindung zu bringen, oder die Ausrichtung des Filmes in irgendeiner Form ebensolche Tendenzen anzuhaften bzw. in als solchen in irgendeiner Form zu interpretieren, oder Parallelen aufzustellen, wäre sinnlos und verquer, denn Bübchen, das engelshafte Gesicht der Unschuld, der trostlose, der Depression verfallenen Gestalt des kleinen Motivationslosen möchte man eher nachsagen, dass es ein zu Unrecht in Vergessenheit geratener Soziopädagogikdrama ist, der seine Dinge indirekt und alles andere als bieder anfasst.
Während andere deutsche Dramen in ihrer kritischen Erschöpfung auf eine direkte Mahnung pochten und in ihrer zeitgenössischen Art mehr propagandistisch waren, vermag es Bübchen auf eine derart intelligente Art Dinge zu zeigen, die man aber zwischen den Zeilen erahnen muss. Auf fast schon emotionslos kalte Art und Weise schafft Klick ein Abbild einer vorörtlichen Kleinfamilienszenerie, in ihren Grundankern bodenständige und mit geringen Mitteln befestigte Persönlichkeiten, Proletarier, symphatische, simple Kleingeister, die sich in ihrem Dasein zwischen Trostlosigkeit, falschen Hoffnungen und Belanglosigikeiten quälen. Ein Tag ein, Tag aus und weiter Richtung Mohnotonie.
Der grösste Träger dieses Schauspiels, dessen Ziel und Richtung man sich noch nicht bewusst sein kann, sind sicher die Resignation des eignen Ichs dargebotenen Dialoge, dessen Ventil simpler Alltagsstruktur den eigentlichen Charakter des Filmes ausmacht. Es ist eine kalte Verzweiflung, die der Regisseur in trostloser, nahezu schon boshafter Mohnotonie, so als hätte er nichtmal eine eigene Motivation, in kühlen, substanzlosen und fast schon wirren Bildkomposition darlegt. Klicks Kamerarbeit ist simpel, nahezu typisch Deutsch, fast schon unproffesionell träge drauf los, aber so bezeichnend für den Film, dass es in seiner Starrheit fesselnd ist.
Klicks Protagonist, das Bübchen, ist ein ungewöhnliches Kind. Er lacht nicht, er ist mürrisch, er spielt nicht gerne. Er ist wortkarg, er fotografiert, er sammelt den Müll vergangener Generationen um sein Reich zu bauen. Er ist gezeichnet von dem alltäglichen Festfahrens seiner mündigen Eltern, die sich in ihrem bodenständigen, eingezwengten Leben zwischen Grubenarbeit und Haushaltstress ihre Freude im Alkohol suchen. Er ist nahezu allein gelassen.
Allein gelassen von seinen Eltern, mit seiner kleinen Schwester, die er alsbald mit einer Plastiktüte erstickt. Ein Moment, der damals von der Presse zerissen, hinterfragt und nicht gutgehiessen wurde. Ein nahezu emotionsloser Moment, ein Moment, in dem der Film vorgeht, als wäre dies eine Selbstverständlichkeit. Splatting Image erwähnt, dass dem Film erst nach langer Zeit die Ehre zuteil wurde, die er wirklich verdient. Roland Klick sagt in Interviews, dass damals nur einer sagte, dass ihm der Film gefällt. Spricht das für unser Land, da sie den Film möglicherweise nicht verstanden haben? Während viele deutsche zu sehr auf bedeutungsschwer, zu sauber auf Erklärung heraus konzipiert sind, vermischt Bübchen seine fast schon lebensverneinende Trostlosigkeit in genau einer solchen trostlosen, emotionslosen Ausrichtung.
Klick garnt um die Tötung der kleinen Schwester eine Kriminalstory, die ihresgleichen sucht. Nun, sie ist weder spannend, aber sie erzählt eine Geschichte über Menschen, wie aus dem Leben gerissen. Der Vater ein traurigdreinblickender Trinker, die Frau eine Hausfrau in Spe, das Mädchen von nebenan eine quirlige Teenagerin. In ihrem auf ihr eignes Wohl gepressten Dasein spannt sich um die ganzen Charaktäre ein Netz aus Lügen, in dem Verdächtige ausgemacht werden, Schuldige als Täter verspottet werden, und scheinbare Lieblinge die eigentlichen Täter sind. Der Ausgang des Ganzen nimmt sich Klick als genauso ernüchternde Situation vor, wie eigentlich das ganze Lebenskonstrukt im Film gezeigt wird. Ein Bild ohne Gewissen, eines Festfahrens in Gewohnheiten, auch wenn alles anders. Die kleine Tochter ist tot, doch der Alltag geht weiter. Sie sitzen am Mittagstisch, die Häupter sind gesenkt, die wahre Reinheit zählt weiterhin mehr als die reine Wahrheit.
"Nimmst du bitte die Serviette." CUT.
Fazit:
Bübchen ist alles andere als ein Vampirfilm, wie uns zum Beispiel der absolut unpassende Alternativtitel "Der kleine Vampir" weismachen will. Bübchen ist ein intelligent erzähltes und absolut kühles Drama über das Leben, ein Abbild deutscher Trostlosigkeit, dem Dasein der Hoffnungslosen, in ihrer Belanglosigkeit zu mündigen Zombies werdend, ohne Gewissen auf ihr eignes Wohl pochend. Bübchen wird wohl genauso wie damals die Gemüter spalten, denn er ist in seiner Indirektheit zu direkt, um ebensolche Deutsche aufzurütteln. Er liefert keine Erklärungen, keine psychischen Beweggründe, er erzählt einfach nur.
Wenn man so möchte ein Meisterwerk für Intellektuelle, Denker, Depressive, Optimisten und Querdenker.
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