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„Life in plastic - it’s fantastic“

Bis vor zwei Wochen waren alle schlauen Analysten und Box Office Experten davon ausgegangen, dass Superstar Tom Cruise seine 2022 so glorreich gestartete Mission zur Rettung der globalen Kinokultur zum krönenden Abschluss bringen würde. Mit seiner siebten unmöglichen Mission würde er das Unmögliche möglich machen, so die Theorie. Nun, es kam bekanntlich anders und dass das an der verflixten 7 lag, darf getrost bezweifelt werden. Ironischerweise wurde ihm von einer Altersgenossin (sie erblickte lediglich 3 Jahre früher das Licht der Glamour-Welt) der Rang abgelaufen, die ebenfalls durch absoluten Perfektionismus und ein strahlendes Peroxid-Lächeln zur Ikone aufgestiegen war. Die Rede ist natürlich von der Barbie-Puppe, die 2023 endlich ihren eigenen Kinofilm beschert bekam.

Aktuell zertrümmert der bonbonbunte Streifen jedenfalls sämtliche Rekorde mindestens seit Corona und es wird spannend sein zu beobachten, ob er auch die „Top Gun: Maverick“ Schallmauer des vergangenen Jahres durchbrechen kann. Bösartiger formuliert könnte man sagen, dass nach dem letztjährigen Siegeszug der Macho-Kultur nun die Feminismus-Keule zurück schlägt. Aber im Prinzip überwiegen die Gemeinsamkeiten, die ein erhellendes Bild des aktuellen Zeitgeist zeichnen. So gibt es offenkundig eine unstillbare Nostalgiesehnsucht, die - sofern sie an den richtigen Stellen geschickt modernisiert daher kommt - so etwas wie Halt und Geborgenheit in gefühlt immer unsichereren Zeiten gewährt.

Also präsentiert man eine der Macho-Ikonen der hedonistischen 80er als reflektierten und gereiften Hitzkopf, der Verantwortungs- und Mitgefühl zeigt, dessen ikonische Stärken aber im großen Finale nach wie vor dringend gebraucht werden. Eine solch sinnvolle und glaubwürdige Charakter(weiter)entwicklung ist bei einer Platsikpuppe natürlich nicht möglich. Aber genau wie Pete „Maverick“ Mitchell steht sie für etwas und genau wie beim berühmtesten Jetpilot der Filmgeschichte gilt es die zu hinterfragen.

Vor diesem Hintergrund war das Engagement der Indie-Regisseurin Greta Gerwig eine fast schon logische Wahl. Bekannt für ihre feministische Haltung schien sie wie geschaffen, den Nimbus einer Popikone zu dekonstruieren, die sich von Beginn an dem Vorwurf ausgesetzt sah, ein gefährlich idealisiertes und konservatives Frauenbild zu propagieren und so Generationen junger Mädchen negativ zu beeinflussen. Schon im Vorfeld war deshalb das Geschrei oder die Euphorie (je nach Standpunkt) groß, dass „Barbie“ ein bitterböser Abgesang auf tradierte Rollen- und Geschlechterklischees werden sowie aktuelle Themen wie Wokeness oder Metoo prominent verhandeln würde. 

Dass dieser Erwartungshaltungs-Battle nun eher als familienfreundlicher Schaukampf verläuft, kommt wenig überraschend, sofern man sich mit der Finanzierung des Films beschäftigt hat. Bei einem Budget von 150 Millionen Dollar riskiert man keine gnadenlose Sarkasmus-Breitseite, die wohlmöglich ein Gros des potentiellen Publikums verschreckt. Und schon gar nicht zieht man ein weltbekanntes Spielzeug in den Schmutz, wenn der Hauptfinanzier exakt die Firma ist, die dieses Spielzeug seit mehr als 6 Jahrzehnten produziert. Womit wir wieder bei dem bis ins kleinste Detail durchkalkulierten und vorprogrammierten Erfolg wären.

„Barbie“ ist ein quietschbunter Comedy-Trip, der mit famosen Schauwerten und Showeinlagen grandios unterhält, aber unter seiner glitzernden Glitteroberfläche recht wenig zu sagen hat, jedenfalls wenig Substantielles und noch weniger Kontroverses. Eine eindeutige Zielgruppe ist nicht auszumachen, was paradoxerweise ein Baustein des großen Erfolgs ist. Die reihenweise eingewobenen Botschaften über Feminismus, Patriarchat, irreale Schönheitsideale oder Individualität triggern das erwachsene Publikum, sind aber entweder so versteckt oder so oberflächlich, dass sie die lieben Kleinen nicht verstören. Ähnliches gilt für Sprengstoff-Themen wie Misogynie und Männlichkeitswahn, die nie in die Tiefe gehen und immer durch einen Witz oder eine ironische Einstellung karikiert werden und so niemanden aufregen. Auf dieselbe Weise wird der Spielzeugkonzern Mattel präsentiert, was einer der cleversten Schachzüge des Films ist, zumindest marketingtechnisch. So besteht die Führungsetage ausschließlich aus trotteligen, sexistischen Männern (angeführt von Brachial-Komiker Will Ferell), die lediglich von Profitgier getrieben sind. Das ist dann dermaßen offensiv selbstironisch, dass der Konzern ultimativ sympathisch erscheint. Zumindest oberflächlich. Denn das absolute Kalkül strömt hier aus allen rosaroten Poren. 

Apropos rosarot. Was Setdesign und Kostümabteilung hier aufbieten ist am wachsten Sinne eine Schau. Der Film hat nicht nur erzählerisch im ersten Drittel seine stärkste Phase, sondern vor allem auch optisch. In Anlehnung an verschiedenste Barbie-Figuren und deren Ausstattung (Autos, Häuser, Haushalts- und Schminkutensilien) wird hier eine knallige Parallelwelt namens „Barbieland“ erschaffen, die sämtliche Preise verdient, die es in den entsprechenden Kategorien zu vergeben gibt. Wir erleben diese Welt durch die Augen und den Alltag der „Stereotype-Barbie“, für dessen perfektes äußeres Erscheinungsbild Margot Robbie die ideale Besetzung ist. Zumal sie auch die Leere hinter der Beauty-Queen-Fassade sowie die künstliche Ausstrahlung der Puppe auf den Punkt bringt. Die anderen Barbie-Modelle spielen hier nur Nebenrollen, sind gewissermaßen Staffage, was dramaturgisch Sinn macht, aber der gesellschaftskritischen Kommentarfunktion nicht gerade dienlich ist. 

Staffage sind im Barbieland auch die Männer, namentlich die „Kens“, ebenfalls durch ein Musterexemplar vertreten, das im Fokus steht. Ryan Gosling spielt diesen bemitleidenswerten „Beach-Ken“, ein wasserstoffblonder und Waschbrettbauch-gestählter Posterboy, der sein Dasein dadurch definiert, das Barbie ihn wahrnimmt. Aus dieser interessanten Konstellation hätte man sehr viel machen können, aber das Skript von Greta Gerwig und ihrem Mann Noah Baumbach opfert diese Steilvorlage auf dem Altar der campigen Comedy. Das ist schade und auch ein wenig feige, aber im Sinne der duschkalkulierten und produktorientierten Ausrichtung des Films unbedingt konsequent.

Und so wird ein auf komische Verwicklungen zielender Konflikt konstruiert, der unser Barbie-Ken-Pärchen in die echte Welt schickt, in der sie einen drastischen Kulturschock erleiden. Denn dort regiert unangefochten das Patriarchat, was die verstörte Barbie desillusioniert und den verunsicherten Ken motiviert. Zu allem Überfluss wird sie auch noch vom Spielzeugkonzern Mattel gekidnappt, der durch die „Zeitreise“ ernsthafte Konsequenzen für das eigene Erfolgsmodell befürchtet. Der Film verliert ab diesen Zeitpunkt seinen erzählerischen Fluss und mäandert relativ ziellos zwischen (greller) Satire, (plakativen) Botschaften und (ausgetretenen) Spannungsklischees. Dass diese Ungereimtheiten ausgerechnet von einem Mann mit dem vollen Farbeimer übertüncht werden, ist aber die wahre Ironie in „Barbie“.

Denn trotz Margot Robbies treffender Interpretation einer weltberühmten Spielzeugpuppe, trotz eines durchgängig hohen Tempos und eines fantastischen Setdesigns bleibt vor allem eines in Erinnerung, oder besser gesagt einer. Ryan Gosling hat in mehreren Interviews betont, dass er zwar das Skript grandios fand (natürlich), seine eigentlicher Entschluss aber erst fest stand, als er im eigenen Garten eine Ken-Puppe seiner Tochter mit dem Gesicht nach untern in einer Pfütze liegen sah. Fortan beschloss er, dass diese Geschichte erzählt werden musste. „Mission accomplished“, würde Kinokonkurrent Ethan Hunt sagen.

Gosling liefert eine dermaßen engagierte, selbstironische, tragische und lustige Vorstellung als bemitleidenswerter Toy-Boy Beach-Ken, dass er zum eigentlichen Hauptdarsteller des „Barbie“-Films avanciert, mindestens aber zum eigentlichen Herz. So schmeißt er sich mit Verve in neonbunte Fitnessklamotten oder eine Sylvester Stallone Gadächtnisgarderobe aus seligen Rocky II-Tagen. So stolpert er als leicht debile Testosteron-Karikatur durch die reale Welt, weil er meint, dort reiche es, einfach nur ein Mann zu sein. Und als er damit nicht durchkommt, kreiert er mit ansteckend kindlich-dümmlichen Eifer ein mit Western- und Machomotiven vollgestopftes „Kenland“, um im Matriarchat Barbieland zu putschen. Einsamer Höhepunkt und Quintessenz all dieser Momente ist eine als Dance-Battle inzidierte Musical-Einlage, bei der Gosling inbrünstig die entlarvenden Textzeilen schmettert, die in endgültig in die Herzen sämtlicher Kinozuschauer katapultieren: 

„Don´t seem to matter what I do, I’m always number two. (…) I’m just ken. Anywhere else I´d be a ten. Is it my destiny to live and die a life of blonde fragility? I’m just Ken, where I see love, she sees a friend. What will it take for her to see the man behind the tan and fight for me?"

In diesen zwei Minuten verschmilzt alles was den Film sehenswert und vor allem erlebenswert macht, zu einem plüschigen Feelgood-Peak mit Bohemian-Rhapsody Vibes: Camp, Tragik, Komik, Tempo und Tiefe.

Leider ist das nicht das eigentliche Finale und leider auch nicht die eigentliche Klammer. Die besteht - durchaus typisch für Herwig - in einer konfliktbeladenen Mutter-Tochter-Beziehung. Allerdings taugt diese nicht als emotionaler und narrativer Anker, dafür sind Ken Gosling und Barbie Robbie viel zu präsent und dominant, so dass die durch das menschliche Duo vermittelten und ausgesprochenen Botschaften nur Randaspekte bleiben und in Form einer Anklage seitens der Tochter gar aufgesetzt daher kommen. 

Vielleicht wollte Gerwig auch zu viel, oder hatte zu viele Interessen unter einen pinken Hut zu kriegen. So ist dann auch „Barbie“ viel mehr Ausdruck wie Sinnbild eines vorherrschenden Zeitgeistes, als kluger Kommentar zu oder Auseinandersetzung mit ihm. Der zum Massenphänomen und Musstee-Event mutierte Siegeszug bestätigt diese These und ist bei einer seit über 60 Jahren erfolgreich vermarkteten Spielzeugpuppe auch irgendwie wieder stimmig. Im Rahmen eines solchen Entertainment-Monsters auch noch gesellschaftskritische Glanzlichter zu setzen oder klar kluge Diskurse anzustoßen, war letztlich vielleicht doch eine unmögliche Mission. Bösere Zungen würden sagen "eine gar nicht gewollte Mission". Schöne neue Plastikwelt.


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