Schon jetzt eines der überseheneren Vexierspiele der letzten Kinojahre
Eine attraktive Hollywoodschauspielerin besucht das Anwesen bzw. die seltsame Familie einer älteren Frau und Person des öffentlichen Lebens für ein Interview für die Rolle sie zu spielen bzw. eher ein paar Tage des Kennenlernen zusammen - wobei deren sketchy Vergangenheit zwischen Skandalen, Klatschpresse, Knast (!) und Pedophilie (!!) Thema ist und Realität, Mythos, Vorurteile, Schauspielvorbereitung immer weiter verschwimmen…
Hitchcock trifft Almodovar trifft Telenovela
Von dem unüberhörbar genialen Pianoscore oder der visuellen, altmodischen Brillanz über die zwei unfassbar talentierten Damen Moore/Portman um die sich alles dreht bis zum unwohlen Gefühl, dass hier doch irgendetwas hinter der Schönheit gammelt und nicht stimmen kann - „May December“ ist die Art von verdecktem und theoretisch-taktvollem Thriller, den man müde um 23 Uhr beginnt und dann um 1 Uhr nachts hellwach, durchgerüttelt und gewowt ausmacht. Haynes spielt ein perfide-gutes Spiel - mit allen Beteiligten. Uns Zuschauern eingeschlossen. Und ich liebe es! Wie gesagt, die Hülle ist hier wie eine prachtvolle Blume. Doch der Inhalt ist giftig wie eine Kobra. Beide Grand Damen spielen groß auf. Ein Duell auf Augenhöhe. Oder doch nicht? Man hinterfragt alles. Man ist sich nie sicher. Einer der intelligentesten „Metafilme“ aller Zeiten. Der Score ist aggressiv-brillant. Alles ist lecker und abstoßend zugleich. Über Skandale, Klatschpresse und Blickwinkel. Über Moral, Sitten und Anstand. „May December“ hat Style und etwas zu sagen. Durch das Rückgrat direkt ins Auge. Oder andersrum. Höchst akut und aktuell. Haynes sirk'sche Bewunderung mal wieder spürbar, sichtbar, hörbar. Schwarzer Humor galore. Komplex. Kritisch. Auch gegen Stars, Hollywood, das System, Eitelkeit, Konventionen. Nicht angenehm. Hinterhältig. Gegen den Strich gebürstet. Sexy und mutig. Geschlechtsspezifisch. Camp, Cheese, totale Berechnung. Von Jägern und Gejagten. Von Füchsen und Fickenden. Von vertanen Leben und geklauter Unschuld. Method Acting gone wrong. Unartig und gewagt. 90s und doch voll 2024. Verführerisch. Einer der besten Netflix-Filme überhaupt - der in Deutschland (bisher) null mit Netflix zu tun hatte. Ich kann kaum fassen, dass nun am Jahresende nicht mehr diesen krankhaft guten Genremix hochleben lassen. Er hätte sich längst herumsprechen müssen. Aber wahrscheinlich spielt ihm selbst dieses Underdogdasein und „Kleinhalten“ noch in seine unfassbar spät auf den Tisch gelegten Karten… mit denen er auf Dauer nur gewinnen kann. „May December“ wird NICHT im Strom der Zeit und der Masse der Produktionen verloren gehen. Dafür ist er viel zu rasiermesserscharf und durchdringend!
Ohja, it could be a Masterpiece!
Fazit: clever, vielbodig, unterschätzt, hübsch, elegant, böse, clever, verspielt… zu „May December“ gehen einem schnell die lobenden Adjektive aus. Haynes „Divenduell“ und manipulatives Machtspiel muss man sehen, um es zu glauben… Verdammt ausgefuchst!