Freie Entfaltung ist für junge Menschen innerhalb einer fundamentalistisch-religiösen Gemeinschaft eine arg begrenzte Angelegenheit und nicht selten zerbrechen sie an jenen auferlegten Dogmen. Autorin und Langfilmdebütantin Laurel Parmet begibt sich in eben jene Gefilde und beschreibt die Konflikte zwischen Glauben und Begehren.
Im ländlichen Kentucky lebt die 17jährige Jem (Eliza Scanlen) in der Gemeinde der Holy Grace Church. Als der Jugendpastor Owen (Lewis Pullman) von einer Mission aus Puerto Rico zurückkehrt, entwickelt Jem rasch Gefühle für den jungen Mann, obwohl dieser verheiratet ist und Jem eigentlich von dessen jüngeren Bruder umworben werden soll…
Es ist eine kleine, isoliert wirkende Welt, die Parmet präsentiert: Die weiblichen Personen tragen durchweg altmodisch anmutende Röcke, westliche Einflüsse finden sich fast gar nicht und wenn einmal ein Handy den Weg in diese Welt findet, ist es ein uraltes Klapphandy.
Gruppentanz, der in der Kirche immerhin erlaubt ist, darf nicht zu anzüglich sein und sollte die Oberweite einer jungen Heranwachsenden nicht angemessen bedeckt sein, wird jene sogleich gemaßregelt, auch innerhalb einer Gruppe.
Indes entdeckt Jem ihre Sexualität und findet Gefallen an Owen, einen zurückhaltenden Prediger, der heimlich raucht, aber ansonsten figurentechnisch unterentwickelt bleibt, was sich leider auf viele andere Nebenfiguren bezieht. So ist ein Unterpunkt die Vergangenheit von Jems Vater, der früher weltliche Musik machte und seit dem Tod eines Bandmitgliedes dem Alkohol verfällt. Auch diesbezüglich erfährt man nur Oberflächliches, obgleich sich einiges an Konfliktpotential angeboten hätte.
Stattdessen grast die Geschichte die drei üblichen Stufen einer verbotenen Liebe ab: Annäherung, Affäre, Konsequenzen. Nichts im Verlauf überrascht und erst nach einer Stunde gerät die Geschichte etwas spannender, als einigen Figuren die Fälle davonschwimmen, während der Druck durch die Gemeinde konkretere Formen annimmt, die einmal mehr auf Machtmissbrauch und Verbote hinauslaufen. Demgegenüber fügt sich das leicht offen anmutende Ende recht gut ins Gesamtbild, zumal es mit einer Art von Befreiung eher leise denn mit einem großen Knall abschließt.
Ein großes Lob gebührt in erster Linie der Hauptdarstellerin Scanlen, die mit viel Präsenz recht viele Nuancen einbringt und dabei angenehm zurückhaltend performt. Pullman, Sohn von Bill, hat indes weniger zu tun, doch auch er überzeugt wie die übrigen Mimen. Die Kamera arbeitet latent souverän und bleibt meist nah bei den Figuren, während der Score nur phasenweise einige Stimmungen verstärkt, dies jedoch auf adäquate Weise.
Natürlich hätte man insgesamt auf mehr Konfrontation setzen können, denn dazu lädt die Prämisse geradezu ein. Doch Parmet entscheidet sich für die ruhige, zumeist unaufgeregte Herangehensweise, was innerhalb der ersten Stunde für einige Längen sorgt. Die Darsteller und das solide Handwerk halten den Laden beisammen, während handlungstechnisch ein paar Überraschungen mehr drin gewesen wären, wodurch sich „The Starling Girl“ letztlich nicht allzu sehr von ähnlich gelagerten Stoffen unterscheidet.
6 von 10