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Kaltes Land. Und kein Tauwetter in Sicht. Fast zwei Jahrzehnte nach dem gleichnamigen Missbrauchsdrama mit Charlize Theron wehen immer noch frostige Böen durch die Regiearbeiten der neuseeländischen Filmemacherin Niki Caro, die für ihr eigenes Geschlecht unverändert feindliche Lebensumstände in einer von Männern dominierten Welt auszumachen scheint. Die Fronten haben sich seither sogar verhärtet: Missstände mit Worten aufzudecken reicht bei weitem nicht mehr. Es liegt nun an einer jeden Frau, den Worten Taten folgen zu lassen.

Der Action-Thriller „The Mother“, angeblich Auftakt einer geplanten Reihe von Kooperationen zwischen Jennifer Lopez’ Produktionsfirma Nuyorican Productions und Netflix, macht kein großes Geheimnis um seine Absicht, ebenjene Jennifer Lopez durch eine Überbetonung weiblicher und dabei insbesondere mütterlicher Stärken zu einer neuen Action-Heroine zu stilisieren. Als exzellent ausgebildete Profikillerin soll sie sich laut Drehbuch von den Schatten ihrer Vergangenheit lösen und gerät dabei in ein Dilemma, muss sie doch ihre militärischen Fähigkeiten dazu einsetzen, ihre Tochter vor zwei gefährlichen Waffenhändlern zu schützen, mit denen sie eine persönliche Vergangenheit verbindet. Kaltblütigkeit und mütterlicher Instinkt kollidieren in den verschneiten Wäldern Alaskas und setzen eine Kettenreaktion dramatischer Ereignisse in Gang…

So sehr sich Niki Caro auch bemüht, die Kälte unerbittlich durch den Bildschirm strahlen zu lassen, legt sie sich doch letztlich in gemachte und vorgewärmte Betten. Ist der feministische Actionfilm ohnehin bereits seit längerem auf dem Vormarsch, so ist auch gerade die unterkühlte Inszenierung eines seiner zentralen Markenzeichen. Eingangs erwähnte Charlize Theron prügelte sich zuletzt durch die Blaufilter zweier Graphic-Novel-Adaptionen („Atomic Blonde“, 2017, „The Old Guard“, 2020), während sich Noomi Rapace in „Black Crab“ (2022) durch ein postapokalyptisches Kriegsszenario kämpfen musste. Nicole Kidman ließ sich für „Destroyer“ (2018) bis zur Unkenntlichkeit entstellen, in „Lou“ (2022) wurde eine mürrische Einsiedlerin mit einer verzweifelten Mutter durch einen nassen Wald gejagt, um ein entführtes Kind zu befreien. Nicht zu vergessen Taylor Sheridans Wälder des amerikanischen Nordens, in denen vor nicht allzu langer Zeit Angelina Jolie einen 12-Jährigen gegen die Gefahren von Mensch und Natur zu verteidigen hatte („Those Who Wish Me Dead“, 2021).

Überhaupt liest sich auf dem Papier alles an „The Mother“ wie ein typischer Angelina-Jolie-Film, insbesondere, was die Figurenzeichnung der Protagonistin angeht. Jennifer Lopez gibt sich zwar spürbar Mühe, die Titelheldin so wortkarg, humorlos und undurchsichtig anzulegen wie es das Drehbuch vorgibt, aber wenn man die Augen zukneift, meint man, hinter dem Rehbraun das kalte Blau von Jolies Augen aufblitzen zu sehen. In ihrer natürlichen Ausstrahlung ist bereits verborgen, was sich Lopez für ihre Rolle unter hohem Aufwand erarbeiten muss, und letztlich ist es die Notwendigkeit dieses Kampfes, der verhindert, dass man ihr die Rolle vollumfänglich abnimmt; bei allem Respekt für ihre darstellerische Leistung. Dass sie in einer Szene auch noch ein Kompliment zu ihrem Äußeren parieren muss, macht es nicht besser. Tatsächlich macht Lopez mit ihren nun bereits 53 Jahren immer noch eine beeindruckende Figur, die sie locker 15 Jahre jünger erscheinen lässt; dass Regieführung oder gar Bemerkungen von Nebenfiguren jedoch permanent darauf hinweisen müssen, macht es für Lopez nicht einfacher und ihre Rolle nicht eben glaubwürdiger.

Die namenlose „Mutter“ bleibt als Figur dennoch reizvoll genug, dass man sich hoffnungsvoll an ihre Fersen heftet, wenngleich das Drehbuch sie leider am Ende über ausgetretene Pfade führt. Joseph Fiennes und Gael García Bernal werden zu den männlichen Bauernopfern des Films erklärt, indem man sie als hassenswerte Antagonisten in Tradition plakativer Revenge-Streifen einsetzt, wie zuvor bereits mit einigen Charakteren aus „Lou“ und „Those Who Wish Me Dead“ geschehen. Selbst Omari Hardwick, der einen der wenigen positiv konnotierten männlichen Charaktere spielt, muss sich bei der Rettung seiner Figur nicht ohne gewissen Unterton anhören, zumindest Männer wie er seien es noch wert, gerettet zu werden. Umgekehrt stapft die Tochter, gespielt von Lucy Paez, permanent in das Klischee der unvorsichtigen und ignoranten Weiblichkeit, die hier zwar teilweise durch das junge Alter der Figur erklärt werden kann, die nichtsdestotrotz immer wieder Löcher wie Zufälle in die Handlung reißt, die man lieber auf intelligente Weise gelöst gesehen hätte.

Seine Stärken hat „The Mother“ zweifellos in den ätherisch schönen Naturbildern. Zwar bekommt man nicht tatsächlich die Wälder Alaskas zu sehen, Kanada entpuppt sich aber als ähnlich schöne Kulisse. Insbesondere in den Szenen rund um einen (immer wiederkehrenden) Wolf und seine Jungen könnte man glatt die Zeit vergessen. Nicht umsonst kommt einem manches Mal der ebenfalls in Kanada gedrehte „The Revenant“ in den Sinn. In der Mitte erlaubt sich der Film einen radikalen Stimmungswechsel, als auf einmal für die Dauer eines längeren Exkurses die schwüle Atmosphäre einer kubanischen Kleinstadt übernimmt (hier gedoubelt von Gran Canaria) – und zwar so unmittelbar, dass von dem Farbfilterwechsel von Blau auf Gelb fast Phantombilder zurückbleiben. Derartige Globetrotter-Einlagen nach James-Bond-Art erwartet man bei einer ansonsten klar nach Schema F verlaufenden Story eher nicht. Es soll auch die einzige Überraschung bleiben, denn bald darauf geht es wieder zurück in die (Schnee-)Spur, wo sich der Handlungsfaden schließlich zu seinem wenig überraschenden Ende ausrollt.

Obwohl Niki Caro zumindest mit der „Mulan“-Realverfilmung ein paar Erfahrungen in Sachen Stunts und Kampfchoreografie sammeln konnte, ist erwartungsgemäß kein Action-Brett zu erwarten, allerdings muss ebenso wenig ein Drama-Langweiler befürchtet werden. Obgleich viel Zeit in die Interaktion zwischen Jennifer Lopez und Lucy Paez investiert wird, entwickeln sich zwischendrin immer wieder relativ spannende und durchaus abwechslungsreiche Action-Einlagen, begonnen mit der Stürmung eines Verhörs und dem anschließenden explosiven Ausklang des ersten Akts; später kommt unter anderem eine Geiselbefreiung in einer Villa nach „Splinter Cell“-Manier hinzu, Auto- und Motorrad-Verfolgungsjagden, 1:1-Combats, Explosionen und Scharfschützenduelle. All das auf einem durchaus soliden Mittelklasseniveau, was die Größenordnung der Stuntkoordination angeht, abgerundet durch die kompetente Inszenierung. Hier macht Caro dann auch Punkte gut gegenüber vielen der zitierten Referenzen, die oft ruhiger ausfallen.

Unter dem Strich bietet „The Mother“ aber nichts, was man in jüngerer Vergangenheit nicht schon wiederholt serviert bekommen hätte, und zwar oft auch in besserer Qualität. Jennifer Lopez kämpft sich mit grimmiger Miene durch einen Actionthriller der Kategorie „Female Fronted“, der eigentlich eher auf eine Angelina Jolie zugeschnitten scheint – und macht ihre Sache bei aller Anstrengung dennoch ordentlich. In das Skript hätte wesentlich mehr Arbeit einfließen müssen, um die Story nicht allzu schematisch ausfallen zu lassen und das ein oder andere Plothole im zweiten Abschnitt zu umschiffen. Sehenswert sind immerhin die überwiegend kanadischen Drehorte und einige packend konzipierte Spannungseinlagen. Das alleine wird aber vermutlich nicht reichen, um in ein, zwei Jahren mehr geworden zu sein als eine Katalogleiche in den ausrangierten Netflix-Kategorien.

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