„Wir haben es satt, getötet zu werden!“
Der italienische Regisseur Damiano Damiani hatte sich mit Filmen wie „Das Verfahren ist eingestellt: Vergessen Sie’s!“ oder „Der Clan, der seine Feinde lebendig einmauert“ einen Namen als gesellschafts-, polit- und systemkritischer Filmemacher gemacht, der sich in seinen Werken immer wieder mit der Mafia anlegte und ihre Verstrickungen mit hohem Politik- und Justizkreisen aufzeigte und anprangerte. Im Jahre 1977 folgte mit „Ich habe Angst“ ein Film, der in die gleiche Kerbe schlägt. Sie bedeutete Damianis zweite Zusammenarbeit mit dem italienischen Ausnahmeschauspieler Gian Maria Volonté nach dem Italo-Western „Töte Amigo“.
Der Terror hält das öffentliche Leben Italiens in Atem: Auf offener Straße findet wieder einmal eine Hinrichtung statt. Man ermordet einen unliebsamen Richter und den zu dessen Schutze abgestellten Polizisten gleich mit. Die Polizisten Ludovico Graziano (Gian Maria Volonté, „Ermittlungen gegen einen über jeden Verdacht erhabenen Bürger“) und sein Partner müssen tatenlos zusehen, wie die schwerbewaffneten Attentäter entkommen. Die einfachen Straßenpolizisten revoltieren gegen die zunehmende Lebensgefahr, die ihr Beruf mit sich bringt, und begehren auch gegen ihre Vorgesetzten auf. Auch Graziano ist das alles zu gefährlich geworden. Infolge dessen erhält er den Auftrag, einen einfachen Untersuchungsrichter als Leibwächter zu begleiten, der angeblich kein potentielles Anschlagsopfer darstellen soll. Dies ändert sich, als er zusammen mit Graziano einer Verschwörung auf die Schliche kommt.
„Ein Richter braucht nicht beschützt zu werden!“
„Ich habe Angst“ wird aus der Sicht eines einfachen Polizisten erzählt, der kein politisch denkender Mensch ist, sich nirgends einzumischen drängt und in erster Linie etwas Ruhe und Sicherheit anstrebt – jedoch lernen muss, dass dies in einem korrupten System nicht möglich ist, da es einen früher oder später zwangsinvolviert. Eine noch naivere Sichtweise wird jedoch Richter Cancedda (Erland Josephson, „Der gelbe Teppich“) zuteil, der sich zunächst mit allerlei markigen Sprüchen gegen die Beschützung durch Graziano wehrt und einen unheimlichen Idealismus erkennen lässt, der die Möglichkeit, dass man auf ihn schießen wollen könnte, kategorisch ausschließt. Nach einer harschen, blutigen Eröffnungssequenz, in denen sich die Toten mit Stimmen aus dem Off vorstellen („Ich bin…“), ist „Ich habe Angst“ lange Zeit sehr theoretisch und konzentriert sich viel auf die Dialoge zwischen Graziano und Cancedda, die sich langsam einander annähern. Mit seiner Erfahrung und seiner nichtrichterlichen Perspektive kann ihm Graziano wichtige Hinweise geben, denn auch, wenn er sich aus dem meisten herauszuhalten versucht, ist er weder dumm, noch weltfremd, interessanterweise sogar mit einer Revoluzzerin liiert. Plötzlich überaschlagen sich die Ereignisse, die den Zuschauer dadurch umso härter treffen. Es beginnt mit einem unfassbar kaltschnäuzigen Mord durch einen sprichwörtlichen Hinauswurf aus dem Fenster; kurz darauf spitzen sich die Ereignisse derart zu, dass Graziano einem anderen Richter, Richter Moser (Mario Adorf, „Milano Kaliber 9“), zugeteilt wird – welcher einen wesentlich offenherzigeren Eindruck macht. Doch je weiter Graziano einem Komplott auf die Spur kommt, desto mehr gerät er in Lebensgefahr, so intelligent und verschlagen er sich auch lange Zeit zu erwehren weiß.
Visionär wie eh und je greift Diamiani mittlerweile längst bestätigte Überlegungen hinsichtlich durch faschistische Gruppen begangener Terrorakte auf, die in Zeiten der „Roten Brigaden“ erfolgreich „den Linken“ untergeschoben werden sollten, um deren Reputation nachhaltig zu schaden. Dafür arbeiteten rechte politische und behördliche Kreise, Faschisten und mafiöse kriminelle Strukturen zeitweise Hand in Hand zusammen. Ohne sich zu weit aus dem Fenster zu lehnen, benennt Diamini zumindest diese Thesen und arbeitet mit Anspielungen auf tatsächliche Terrorakte in Italien, stellt zudem eine Verbindung zwischen Justiz und organisierter Drogenkriminalität her. Opfer derartiger Verflechtungen und Machenschaften ist einmal mehr „der kleine Mann“, in diesem Falle Graziano als unterer Beamter, der von Damiani wie ein Angehöriger der Arbeiterklasse skizziert und als Leidtragender dargestellt wird. Damit widerspricht Damiani in diesem Falle der Argumentation, dass Polizisten grundsätzlich staatstragende Elemente seien, die „oben“ begangenes Unrecht nach „unten“ durchzuknüppeln hätten und deshalb ebenso bekämpft werden müssten. Damianis bzw. Volontés hervorragend gespielter Graziano ist kein aggressiver Prügelbulle, sondern ein normaler Mann mit Ängsten wie ich und du. Riz Ortolani ist für die musikalische Untermalung des hochkarätig besetzten Films zuständig und tut das, was er mit am besten kann, indem er ihn mit einem beunruhigenden, subtilen, leicht dissonanten Soundtrack versieht, der Grazianos Gefühl der ständigen Bedrohung gekonnt vertont. Wie gewohnt ist Damianis Stil spannend und kämpferisch, letztlich jedoch pessimistisch und ernüchternd und damit nah an einer Realität und Aktualität, die auch in hiesigen Gefilden mit ganz ähnlichen Problemen zu kämpfen hat. Wem hat der R.A.F.-Terror am meisten genutzt? Wer verübte wirklich den Bombenanschlag auf Alfred Herrhausen? Wie viel Vertrauen kann man in deutsche Geheimdienste haben, die von alten Nazi-Schergen gegründet wurden? Wie konnte eine „NSU“ derart lange unerkannt und unbehelligt feige morden? „Ich habe Angst“ sensibilisiert für Themen wie diese, erteilt jeder Obrigkeitshörigkeit eine klare Absage und ist ein weiterer Stein im Mosaik, das Damianis Filme zum Besten zählen lässt, was das europäische Kino zu bieten hatte.
„Es gibt aber auch eine höhere Gerechtigkeit!“ – „Ja, am Arsch!“