"Schwules Kino" (wenn man diesen etwas schwammigen Begriff mal verwenden will) ist beinahe so alt wie das Kino selbst. Einer der ältesten Klassiker ist Richard Oswalds "Anders als die anderen" aus dem Jahre 1919, der sich als Lehrfilm verstand und von freudiger Aufnahme bishin zu unverholener Verachtung alle möglichen Reaktionen auslöste. Für Oswald, den Juden der frecherweise Partei für Schwule ergreift, war die löbliche Tat fatal, stachelte sie doch die antisemitische Hetze nach und nach zusätzlich an. In einem Antwortschreiben an Nazifilmer Veit Harlan, der Oswald 1957 kontaktierte, als er ebenfalls einen (eher unbefriedigenden) Film über Homosexualität ("Anders als du und ich") inszenierte, findet sich dazu ein hübscher Kommentar von Oswald: "Während der Film lief, stand mitten in der Vorstellung ein Herr auf und rief: ,Wenn man diese Schweinerei sieht ...'. Ich stoppte sofort die Vorführung, indem ich meine Hand erhob und schrie: ,Wenn einer diesen Film als Schweinerei bezeichnet, so ist er selbst ein Schwein, Herr Professor Brunner!' Brunner war bekanntlich ein Vorbote der Nazizeit."
In der Folge beschäftigten sich hin und wieder einige wenige Filme mit der Homosexualität (bei Männern wie bei Frauen), allesamt nahmen sie jedoch einen heterosexuellen Standpunkt ein, gaben sich als Lehrfilm oder schöpften dramaturgischen Gehalt aus der Andersartigkeit des Homosexuellen.
Die erste bedeutende Ausnahme stammt von Kenneth Anger, der mit knapp 20 Jahren in "Fireworks" (1947) erstmals einen homosexuellen Blickwinkel einnahm und in zwar symbolischen, aber dennoch überaus direkten Bildern eindeutig Erotik zelebrierte. (Diesen Film inszenierte er übrigens auf Europareise in Frankreich, wo drei Jahre später Jean Genet ebenfalls einen durch und durch homoerotischen Film folgen ließ, der sich aber zusätzlich auch mit Genets eigenen Gefängnisaufenthalten auseinandersetzte: "Un Chant d'amour" (1950).)
Das Selbstverständnis einer schwulen Szene nahm im Laufe der Zeit zu; einschneidend ist sicherlich der 28. Juni 1969, der Christopher Street Day bei dem sich die Schwulen in Greenwich Village, die größtenteils um den Tod ihrer Ikone Judy Garland trauerten, erstmals gegen die üblichen Razzien wehrten.
1969 ließ auch Paul Morrissey für die Andy Warhol Factory in "Flesh" Joe Dallessandro im Adamskostüm als Stricher tätig werden, im Jahr zuvor hatte er bereits zusammen mit Warhol selbst in "Lonesome Cowboys" schwule Cowboys auf das Publikum losgelassen. Und in Baltimore macht John Waters Divine zum Star (oder umgekehrt)... Gay war In und vor allem in der Warhol Factory war dies zu merken (man bedenke dass der Blowjob in "Blow Job" (1963) von Experimetalfilmer Willard Maas durchgeführt worden ist, was damals natürlich keiner wusste, schließlich inszenierte Warhol bloß einen reaction shot)...
Von daher wundert es auch nicht, dass Warhol ein Fan von homoerotischer Photographie war. Und neben Sex-Ikone Peter Berlin begeisterte ihn noch James Bidgood. Bidgood selbst drehte ab 1964 an seinem einzigen Film "Pink Narcissus" mit dem er an handlungslose Homoerotik wie in Angers und Genets Klassiker anknüpfte. Stilistisch greift er von beiden Regisseuren Elemente auf: an Genet erinnern seine zärtlichen, liebevollen Bilder, Anger huldigt er mit krasseren Anblicken und - natürlich - mit einem homosexuellen Biker der direkt aus Angers 1964 entstandenen "Scorpio Rising" zu stammen scheint, in dem Anger nicht bloß eine Homoerotik der Bikerkultur festhielt sondern zugleich einen mit Nazisymbolik verbundenen Fetisch in Szene setzte (und damit bereits einen der frühesten Sadiconazista-Beiträge und zugleich eines der ganz wenigen (das einzige?) Beispiele für eine ausschließlich homoerotische Ausprägung desselben inszenierte).
Auch die Struktur erinnert eher an Anger: Auch hier träumt der junge Protagonist sich seine homoerotische Traumwelt zusammen, in der er (der Titel lässt sowas schon erahnen) gleich selbst die Rolle des Lustobjekts einnimmt oder in die gestalt der Verführer schlüpft. Umrahmt wird der erotische Traum von einem Prolog und einem Epilog: präsentiert wird dort zu Beginn im künstlich-bläulichen Märchenwald eine Larve, am Ende eine Raupe. Hier liegt natürlich die Versuchung nahe das umfangreiche Mittelstück als sexuelles erwachen oder als Coming Out zu verstehen, da am Ende jedoch die Raupe und nicht der Schmetterling (der im Film übrigens farblich hervorgehoben selbst kurz durch das Bild flattert) wartet ist diese Lesart so einfach nicht... womöglich soll aber hier nur ein Abweichen von der Regel präsentiert werden, nachdem der Außenseiterstellung des Schwulen im gesamten Film über kein Platz eingeräumt worden ist (warum auch, es ist ja kein Lehrfilm sondern eine erotische Phantasie). Womöglich wird dort aber auch nur der Fehler vorweggenommen den Diane Keaton kurz darauf in Allens "Sleeper" macht...
Der Stil stößt mehrmals an die Grenze zum Kitsch, bläuliche und (oh Wunder) pinkfarbene Bilder durchziehen den gesamten Film, an dem ansonsten phantasievolles Dekor im Mike und George Kuchar Stil vermischt mit Angers "Rabbit's Moon" (1950) Look neben prallen Gliedern in hautengen Hosen (Peter Berlin lässt grüßen) hervorstechen. Inmitten dieser kitschig-romantischen, exotisch-künstlichen Welt machen sich aber auch mehrmals krassere Bilder auf, die den Film nochmal eine Ecke interessanter machen. So z. B. die Klospülung, das auf Spermafluten verweisende, provozierende Milchbad (das übrigens schon in Angers "Fireworks" vorkommt) vor allem aber die Eichel in Großaufnahme die das Ejakulat mitten auf den Betrachter bzw. die Kamerlinse spritzt. Da mag womöglich Hellmut Costard mit "Besonders wertvoll" hergehalten haben, den Bidgood gekannt haben dürfte, wenn er Jonas Mekas und Amos Vogel als Kritiker und Vorführer am Rande mitbekommen hat... Costard macht sich dort über das Prädikat besonders wertvoll lustig und lässt dieses von einer sprechenden (natürlich synchronisierten) Eichel kommentieren, die die gesamte Leinwand ausfüllt. Das Thema ist natürlich zum Kotzen und konsequent würgt schon bei Costard die Eichel ihren Rotz hervor der direkt auf die Linse zusteuert. Später wiederholt sich das bei John Waters am Ende von "A Dirty Shame" wenn Johnny Knoxville seinen Superorgasmus hat.
Durch diese Vermischung von radikalen Schocks und harmloser Poesie gewinnt der Film deutlich an Charme. Damit hat er auch das Werk von Pierre et Gilles beeinflusst, jenen schwulen Photographen, die mit ihrem "Le petit Jardinier" zumindest in Deutschland für Furore sorgten: Der in ein Blumenbeet pinkelnde junge Mann mit rotweißen Halstuch und Cowboyhut sollte ursprünglich als Werbematerial einer Kunstausstellung dienen... Die Karten mussten damals jedoch eingestampft werden, da sie scheinbar gegen das sittliche Empfinden von Empfängern verstoßen konnten. (Heute bekommt man das Motiv problemlos auf Postkarten an jeder Ecke).
Bleibt noch zu sagen, dass Bidgood sich in den Credits hinter einem "Anonymous" versteckte und erst vor einigen Jahren öffentlich seine Regiearbeit gestanden hat.
8/10