Review

„Wir können niemandem in diesem Land trauen!“

Mit der Episode „Verborgen“ feierte Wotan Wilke Möhring in seiner Rolle als Hamburger BKA-Ermittler Thorsten Falke sein zehnjähriges „Tatort“-Jubiläum. Ich gratuliere! Damit kommt er auf bereits 18 Einsätze, für Falkes Kollegin Julia Grosz (Franziska Weisz) sind es derer zwölf. Ganz neu dabei ist hingegen Regisseurin Neelesha Barthel („Marry Me! Aber bitte auf Indisch“), die mit der Inszenierung des Drehbuchs Julia Draches und Sophia Ayissi Nsegues innerhalb der öffentlich-rechtlichen Krimireihe debütiert. Gedreht wurde der Film bereits im ausklingenden Jahr 2021, am 10. Juni 2022 wurde das Ergebnis auf dem Internationalen Filmfest Emden-Norderney erstmals der Öffentlichkeit präsentiert. Die TV-Erstausstrahlung musste bis zum 16. April 2023 warten.

„Du bist kein Deutscher!“

Die Eheleute Jon (Alois Moyo, „Tatort: Verbrannt“) Hope Makoni (Sheri Hagen, „Deutschlandspiel“) suchen verzweifelt nach ihrem 17-jährigen Sohn Noah, haben jedoch Skrupel, die Polizei einzuschalten, da sich die Schwarzafrikaner illegal in Deutschland aufhalten. Gegen den Widerstand seiner Frau sucht Jon schließlich dennoch die Polizei auf. Die aufgrund des Todes eines Flüchtlings im Palettenkasten eines Lkws in Hannover ermittelnden BKA-Leute Falke und Grosz nehmen sich Jons Ersuchen an und tauchen damit in ein ihnen bisher wenig bekanntes Milieu ein, in dem sich die Hoffnung auf ein besseres Leben und die Angst, von den Behörden entdeckt und drangsaliert zu werden, die Waage halten, Geschäftemacherinnen und Geschäftemacher vom illegalen Aufenthaltsstatus dieser Menschen profitieren – und die Polizei keinen allzu guten Leumund besitzt…

„Sie sind ‘n Bulle – das sieht man!“

Einmal mehr beweist der BKA-Hamburg-Zweig des „Tatort“ sein soziales Gewissen, indem er die Probleme marginalisierter Gruppen aufgreift und ihnen damit massenwirksam Gehör verschafft. Flüchtlinge fliehen aus besagtem Lkw, der Fahrer ist überrascht – und einer bleibt leblos daliegend zurück. Als Falke und Grosz hinzustoßen, ist der Fahrer verschwunden. Parallel wird der Handlungsstrang um die Makonis etabliert, die ihren Sohn suchen – womit die Frage aufgeworfen wird, ob es sich beim toten Jungen um eben jenen handelt. Dass Jon, bevor er zur Polizei ging, in einer Gastronomieküche nach seinem Sohn fragte, ist die erste von mehreren Stationen in diesem „Tatort“, in denen Arbeitgeber(innen) von der Schwarzarbeit der „Illegalen“ profitieren (was so deutlich indes nie ausgesprochen wird). Die Dialoge sind zum Teil untertitelt, was dem ohnehin in weiten Teilen realistisch anmutenden Fall weitere Authentizität verleiht.

„Wir sind unsichtbar!“

„Verborgen“ ist mehr ein Sozialdrama denn ein klassischer Krimi, das ein Gespür für die Sorgen, Probleme und Hoffnungen seiner Klientel erfolgreich entwickelt und vermittelt. Ein Teil dieser Sorgen mündet verständlicherweise in Misstrauen gegenüber staatlichen Institutionen, das auch Falke und Grosz entgegenschlägt und sich insbesondere im Verhalten Hope Makonis äußert, die die Zusammenarbeit ihres Mannes mit der Polizei überaus kritisch beäugt. Natürlich ist – so viel sei verraten – der Tote nicht der gesuchte Sohn, das wäre zu einfach gewesen. Jedoch ist im letzten Drittel ein weiteres Todesopfer zu beklagen. Regisseurin Barthel erzählt diesen Fall sensibel, was derart weit reicht, dass sie sich davor scheut, jemanden zu verurteilen – weder die Flüchtlinge noch Schleuser(innen) oder per se Schwarzarbeiter(innen) beschäftigende Unternehmer(innen). Offenbar möchte man mit „Verborgen“ nicht moralisieren, sondern sensibilisieren und Fragen aufwerfen.

Dieses hehre Unterfangen gelingt grundsätzlich, wenngleich der Krimianteil ein wenig seltsam in den Hintergrund gerückt wirkt und auf dramaturgischer Ebene einiges – zu viel – an Struktur und Tempo verlorengeht. Während einer Verfolgung („Verfolgungsjagd“ wäre übertrieben) klingt die eingesetzte Musik nach dem „Stranger Things“-Score, wobei es sich um ein eher unfreiwilliges Zitat handeln dürfte. Ansonsten hält man sich mit Reminiszenzen ans andere deutsche Migrantendramen zurück und emanzipiert sich ein gutes Stück weit von ihnen, indem diverse mittlerweile als Klischees geltende Topoi unbedient bleiben. Was jedoch bleibt, ist die Verbindung von Migration und gefährlicher Knochenarbeit, die innerhalb der Reihe schon früh aufgegriffen wurde.

Ein Film also über die mitunter tödlichen Herausforderungen, die mit der gezeigten Art illegalen Aufenthalts in Deutschland einhergehen. Doch auch, wenn ich so etwas in meinen TV-Krimi-Besprechungen nicht oft erwähne und natürlich medienkompetent genug bin, fiktionale bzw. fiktionalisierte Stoffe von der Realität zu unterscheiden: Vielleicht wäre es sinnvoller gewesen, diesen Themenkomplex außerhalb des „Tatort“-Sujets zu verarbeiten, denn anders als hier herbeifabuliert kann es mit Sicherheit keinem „Illegalen“ empfohlen werden, sich hilfesuchend an die Polizei zu wenden – so sehr Falke auch in Aussicht stellt, sich für Duldungen einzusetzen. Dass dessen jeweilige Gegenüber darauf pfeifen, ist zwar ein starkes Statement – angesichts der Realität wäre eine ausdrückliche Warnung vor der Polizei aber vermutlich angebrachter gewesen.

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