Review

Eine Handvoll Filme möchte Nicolas Cage noch bespielen; so lautete zuletzt einer seiner Aussagen, dann wäre sein Repertoire 'erschöpft'. bzw. hätte er alles erreicht in der Laufbahn, und wäre Dienst und Schuldigkeit getan. Die Äußerung kam nach Butcher's Crossing, sie kam ungefähr im Umfeld von Dream Scenario, auch zwischen diesen beiden lagen Produktionen, war der Mann nicht nur zuletzt sehr umtriebig und hat sich auch die späte erneute Anerkennung beim Publikum nach jahrelangen Abrackern in oft geschmähten DtV-Werken schließlich und endlich doch geloht. Wie nun genau der Abschied, der Retirement Plan des Darstellers aussieht, ist noch nicht ganz klar, Longlegs ist abgeschlossen und macht so langsam die Aufmerksamkeit beim Publikum, es kommt auch noch die Fortsetzung zu Lord of War, noch ist alles offen, es wird allerdings kein Western mehr kommen; Butcher's Crossing ist bereits die 'Antwort' bzw. zeitlich eigentlich die Vorwegnahme von The Old Way, dort die konventionelle, auch schneller in der breiten Masse veröffentlichte Variante, hier der Gegenspieler, die experimentelle Reaktion, die Festivalnummer, dort die Pflicht, hier die Kür. (Gedreht wurden beide Filme in Montana, ca. Oktober 2021, The Old Way knapp vorher, Butcher's Crossing hatte die Weltpremiere aber etwa vier Monate eher.) Der erbarmungslose Kampf eines Mannes mit und gegen sich selber, die Natur und ihre Gefahren, "You'll be rotten from the inside!", ein Herzensprojekt von Cage, der bspw. Jack London mit zu seinen favorisierten Autoren zählt:

1874. Pastorensohn Will Andrews [ Fred Hechinger ] hat sein Harvard-Studium abgebrochen und sich nach Butcher's Crossing, eine Grenzstadt in Kansas aufgemacht. Das Städtchen lebt hauptsächlich vom Büffelhauthandel, Andrews möchte eine Jagd begleiten und wendet sich an den Geschäftemacher J.D. McDonald [ Paul Raci ], der ihn an den Jäger Miller [ Nicolas Cage ] verweist. Gegen entsprechende Entlohnung und die Bezahlung der nötigen Ausgaben durch Andrews willigt Miller ein, zusammen mit seinem älteren Begleiter, dem Kutscher und Lagerkoch Charlie Hoge [ Xander Berkeley ], und dem auf festes Gehalt bestehenden 'Skinner' Fred Schneider [ Jeremy Bobb ]. Entgegen aller Zureden macht man sich auf die Expedition.

"The coach from Ellsworth to Butcher’s Crossing was a dougherty that had been converted to carry passengers and small freight. Four mules pulled the cart over the ridged, uneven road that descended slightly from the level prairie into Butcher’s Crossing; as the small wheels of the dougherty entered and left the ruts made by heavier wagons, the canvas-covered load lashed in the center of the cart shifted, the rolled-up canvas side curtains thumped against the hickory rods that supported the lath and canvas roof, and the single passenger at the rear of the wagon braced himself by wedging his body against the narrow sideboard; one hand was spread flat against the hard leather-covered bench and the other grasped one of the smooth hickory poles set in iron sockets attached to the sideboards. The driver, separated from his passenger by the freight that had been piled nearly as high as the roof, shouted above the snorting of the mules and the creaking of the wagon: ‘Butcher’s Crossing, just ahead.’"

Butcher's Crossing dabei als Romanverfilmung, als Bearbeitung vom Titelgleichen Werk, bereits 1960 von John (Edward) Williams veröffentlicht, damals ein finanzieller Misserfolg; die Resonanz kam spät und später, der Text ist auch erst seit mehreren Jahren in das Europäische und damit auch in das Deutsche übersetzt. So sehr unterscheiden sich die beiden Western von Cage im ersten Anblick, in den ersten Minuten nicht, dann umso mehr, die Veränderung ist unaufhaltsam und unaufhörlich, werden in der Eröffnung historische Bilder mit eingefügt, die eine andere Ebene schon andeuten, eine zwischen Fakt und Fiktion, zwischen Erdichtung und Realität. Die Geschichte ist bereits passiert, sie ist bereits beschrieben, in Briefen und Fotos festgehalten, es wird dem nachgegangen, man ist auf der Suche mehr nach der Vergangenheit als dem Weg der Gegenwart, aus der Vergangenheit wird eventuell die Zukunft für sich selber gefunden, die Antworten auf die eigenen Fragen, die Hilfestellung beim eigenen Erkunden, die Herausforderung auch von Ethik, Moral, Religion und Empathie, das Abwägen von Werten, aus Ausreizen von Wollen und Willen, wobei nur das eigene Überleben, die eigene Existenz dann zählt.

Eine Reise wird angetreten, aus der geglaubten Not heraus, nicht aus den Nöten. Man möchte etwas erleben, man hat das Bedürfnis, mehr zu sehen, mehr zu erforschen, mehr zu leben, sich selber körperlich an die Grenze und damit auch psychisch über das bisher Bekannte (weit hinaus und an den Rand und darüber) zu bringen. "It's something that I need to do.", heißt es da, "I'll be back before Winter.", wird versprochen, wird geglaubt und wird gebrochen. Für den jungen Mann ist erstmal alles neu, so wird das auch aufgenommen, "That is impressive.", mit großen glänzenden Augen, mit einem neugierigen Lächeln, mit dem Drang des Sehens, dem Genießen der Eindrücke und Bilder; welche für den Zuschauer selber nur die Vorboten sind für etwas, was eher bedrohlich im Wirken ist, und zwingend noch kommt, was auch so kommentiert wird, "That ain't nothing." als dräuendes Omen, als Negieren der Faszination. Zwei Perspektiven werden geboten, "young and soft", "old and hard", ein Neuankömmling, und ein Führer, ein Schüler und ein Lehrmeister, einer, der endlich leben will, und einer, der vom Sterben lebt.

"‘Mr McDonald,’ Andrews said quietly, ‘I appreciate what you’re trying to do for me. But I want to try to explain something to you. I came out here—’ He paused and let his gaze go past McDonald, away from the town, beyond the ridge of earth that he imagined was the river bank, to the flat yellowish green land that faded into the horizon westward. He tried to shape in his mind what he had to say to McDonald. It was a feeling; it was an urge that he had to speak. But whatever he spoke he knew would be but another name for the wildness that he sought. It was a freedom and a goodness, a hope and a vigor that he perceived to underlie all the familiar things of his life, which were not free or good or hopeful or vigorous. What he sought was the source and preserver of his world, a world which seemed to turn ever in fear away from its source, rather than search it out, as the prairie grass around him sent down its fibered roots into the rich dark dampness, the Wildness, and thereby renewed itself, year after year."

Es ist schon Herbst bei der Ankunft in Kansas, das Laub liegt auf dem Boden, der Matsch der Feuchtigkeit macht die Straßen weich und schmutzig, es ist nicht mehr weit hin bis Winter. Gelblich bis bräunlich die Gegend, bei der Reise ist man schon dem Tod begegnet, im Ort selber werden die Überbleibsel von Kadavern präsentiert, die Knochen, die Eingeweide, alles was nicht verwertbar erscheint, nüchtern gruselige Anblicke, "the country of the devil." Worte sprechen das aus, was man denkt, zuweilen wird es bemalt und beschrieben, es werden Legenden gesponnen und Mythen nachgegangen, die Gefahr selber aber nicht übertrieben, es wird gewarnt, die Realität ist grob und wird gröber. Die Regie eröffnet im Kleinen, im Privaten, dann addiert sie, sie hält sich an den Darstellern fest, der beeindruckenden Weite des Landes, später der unberührt scheinenden, aber auch unwirtlichen Natur, vorher an einigen Details in den Bildern. Sie schafft beizeiten eine Identifikation für den Zuschauer, ein Greenhorn, mit dessen Sinnen man die Handlung betritt, dessen Angst für die eigene Courage, aber auch der Aufregung angesichts des gewünschten 'Abenteuers' man spürt; eine Tour (zu einem Massenfriedhof), die man organisiert, und für die man auch löhnt, erst das Tier, dann der Mensch, der vom Jäger zum Gejagten seiner selber wird, ein Psychodrama, ein rauer Historien-Western-Thriller, ein Frontier-Epos, mit leichtem Schlag zum metaphorischen bis transistiven bis psychedelischen Horrorfilm, darstellerisch von allen Beteiligten präzise gespielt.

Das erinnert unwillkürlich etwas an The Revenant - Der Rückkehrer (basierend auf dem 2002 erschienenen "Der Totgeglaubte - Eine wahre Geschichte"), hat aber seine eigene Quelle und seine eigene Kreation, eine Vorwegnahme; als das Buch erschienen ist, war der traditionelle Western noch gefragt, John Wayne natürlich, Alan Ladd, Glenn Ford, Audie Murphy, Randolph Scott; jeder von denen wäre theoretisch, nicht praktisch auch möglich für die Rolle des Miller, Wayne vielleicht später, am Ende der Karriere dafür bereit (siehe The Cowboys), die anderen ebenso bloß in abgeschwächter Version und nur unwesentlich eher. Erzählt wird aus der Sicht von Andrews, aus der Sicht des Zuschauers, das Publikum als Neuankömmling, Drehbuchautor und Regisseur Polsky, der mit Dokumentarfilmen begonnen hat, als der Tourguide; das zugrundeliegende Buch wird dabei ernst genommen und sich eng daran orientiert. Von Massachusetts kommt man, nach Colorado geht's, die Tage werden kürzer, die Montage schneller, die Bedrohung dichter, die Verluste größer. Der Durst kommt zuerst. Dann wird es schlimmer. Als Erzählung eine rasch albtraumhafte Form des Lebens und vielleicht Überlebens, am Rande des Wahnsinns, inmitten im Nichts. Die Idylle währt nur kurz, die ersten 5 Minuten vielleicht, "That ain't nothing." klingt im Nachhall, der Rest ist Kräfteraub und Schinderei und Qual, ist vor allem auch emotionale Grausamkeit, ein visueller Schlachthof auch, ein seelischer Werteverfall, ein Blutrausch. Dann Stille, ein langer Aufenthalt im Wartesaal der Hölle, ein Blick in die Abgründe, ein Blick in sich selbst, ein Blick auch in den Spiegel.

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