Review

Mit Fehl und Tadel

Der diesjährige deutsche Oscarbeitrag. Zwischen Nolan, ARD und Aronofsky, zwischen Staats- und Geniestreich, Heimatkino und Horror, Pädagogik und Alptraum… „Das Lehrerzimmer“ ist ein direkter deutscher Klassiker und erzählt erstaunlich vielschichtig von einer idealistischen, neuen Lehrerin an einer weiterführenden Schule in unserer Bundesrepublik, die zwischen Vorurteilen, Diebstählen und Misstrauen bestehen will und die irgendwie versucht diesen üblen Teufelskreis, der vor allem erschreckend auf die Kinder übertragen wird, zu durchbrechen…

Zwischen „Das Experiment“ und „Die 12 Geschworenen“

„Das Lehrerzimmer“ ist ein Film der subtilen Eskalation. Unnachahmlich, geradlinig, unangenehm. Ein Mikrokosmos, der definitiv für Größeres steht. Intensiv, tickend, brodelnd. Mit einzelnen wirklich fiesen Ausbrüchen aus der Norm, aus der Regel, aus den Sitten, aus der Beherrschtheit. Vielleicht hätte ich mir sogar noch etwas mehr Eskalationen und emotionale Explosionen gewünscht. Auch ein wenig mehr Klarheit, wohin „Das Lehrerzimmer“ denn will, was es sagen will, wo es steht. Aber im Endeffekt verweigert Cataks tolles Werk klare Exits und Lösungen - weil es zu manchen Konflikten und Fragen gar keine eindeutigen oder gar einfachen Antworten gibt. Über Lehrer, die keine Vorbilder sind. Über Menschen, die keinen Anstand kennen. Über Erwachsene, die keine Reife haben. Über Neid, Unsicherheit und Missgunst. Über lähmende Vergangenheit. Über eine Gesellschaft, die sich immer wieder selbst in die Scheisse reitet. Über eine ungesunde Grundaggressivität unserer Spezies. Über ein Deutschland, das sich ständig deutlich überschätzt. Über Wahrheiten, die kaum zugegeben werden. Über Unannenehmlichkeiten, die sich zu psychischen bis körperlichen Schmerzen entwickeln. Über Vorurteile und fehlgeleitete Vermutungen, über Institutionen in Zwickmühlen. Machtmissbrauch und Machtohnmacht. Eine Parabel der Ungerechtigkeiten, Eitelkeiten und Makel. Über Oscarnominierungen, die kaum eine Rolle zu spielen scheinen. Über Frechheiten und Freiheiten. Über Straftaten und Sportunterricht. Über den Unterschied zwischen Lernen und Lehren. Über die Masken, bei denen wir alle Angst haben, dass sie fallen. Über Geheimnisse, die uns mehr als nur peinlich sind. Über verpasste Chancen und krumme Figuren, über verwirrte Kinder und verwirrtere Erwachsene, über verlorene Unschuld und gefundene Wunden, Wahrheiten, Widersprüche. Es läuft einiges schief in unserer Gesellschaft - aber umso mehr richtig mit „Das Lehrerzimmer“. Das sehr offene Finale ist vielleicht wie gesagt nicht 100% befriedigend. Aber diese elektrisierend ad absurdum gedrehte Alltäglichkeit lässt „Das Lehrerzimmer“ noch lange nachhallen. 

Alles eine Frage der Perspektive

Fazit: einer der besten und vielschichtigsten, irgendwie auch verstörendsten deutschen Thriller aller Zeiten. Die Schule als Alptraum für alle, als Abbild von Grösserem, als Parallele von tiefwurzelnden Problemen unserer Gesellschaft… Pure Eskalation dann doch irgendwie. Aus einem Land auf der Kippe, an der Klippe. 

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