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  „High Noon - Genreklassiker und Anti-Western? "

Es gibt kaum einen Western, der so unterschiedliche Deutungs- und Interpretationsversuche erfahren hat wie Zwölf Uhr Mittags. Von nahezu allen politischen Richtungen vereinnahmt, wurde er je nach Standpunkt als Law-and-order-Fanal bejubelt oder verdammt, als militaristische Propaganda angeprangert, als treffende Studie des durch Paranoia geprägten Klimas der McCarthy-Umtriebe gefeiert oder als  - vornehmlich in Deutschland - wertvoller Beitrag zur staatsbürgerlichen Jugenderziehung verstanden. Die Kontroversen haben dem Erfolg des Films jedenfalls nicht geschadet. Er war nicht nur bei seiner Erstauswertung ein großer Publikumsmagnet, sondern erfreut sich bis heute enormer Beliebtheit und ist ohne Zweifel einer der bekanntesten Western der Filmgeschichte.

Auf den ersten Blick mag dies überraschen, scheint der Film doch äußerst simpel gestrickt zu sein. Der Plot ist von Schlichtheit und gängigen Genrebausteinen geprägt. Der kurz vor dem Ruhestand stehende Sheriff Will Kane (Gary Cooper) wird an seinem letzten Arbeitstag noch einmal mit seiner Vergangenheit konfrontiert. Der einst von ihm verhaftete Schwerverbrecher Frank Miller wurde überraschend begnadigt und sinnt auf Rache. Drei seiner früheren Kumpane erwarten ihn am Bahnhof. Dem Sheriff bleibt nur etwas über eine Stunde, um eine Bürgerwehr zusammen zu stellen und die Banditen zu stoppen.
Das ist zunächst einmal ganz klar klassischer Westernstoff. Ein unerschrockener Gesetzeshüter verteidigt seine Stadt gegen eine Bande gefährlicher Revolverhelden. Am Ende kann nur ein Pistolenduell die Ordnung wieder herstellen.

Bei näherer Betrachtung allerdings zeigen sich deutliche Risse in den vertrauten Mythen und Mustern: So ist der vermeintliche Held von Selbstzweifeln und Ängsten erfüllt. Seine erste Reaktion ist gar Flucht aus der Stadt. Seine Gemeinde erweist sich als feige, opportunistisch, egoistisch oder gleichgültig. Am Ende muss er den Gangstern ganz allein gegenübertreten, selbst von der frisch angetrauten Gattin (die junge Grace Kelly) und engen Freunden wir er schnöde im Stich gelassen. Die finale Auseinandersetzung schließlich übersteht er lediglich aufgrund des unerwarteten Auftauchens seiner Ehefrau, die ihm in buchstäblich letzter Minute doch noch zu Hilfe eilt. Der Film bietet keinerlei Reiterverfolgungsjagden oder Präriepanoramen und ist im Mitteteil extrem dialoglastig. Schüsse fallen lediglich in den letzten Minuten. Regielegende Howard Hawks missfielen die zahlreichen Brüche mit  genretypischen Elementen und Versatzstücken so sehr, dass er 1959 einen  bewussten Anti-High Noon drehte: Rio Bravo.

Eines hat Hawks zumindest sehr richtig erkannt: ein klassischer Western ist Zwölf Uhr Mittags absolut nicht. Regisseur Fred Zinnemann wollte kein weiteres Pistolen-Heldenepos schaffen. Im Zentrum steht nicht so sehr der (Anti-)Held, sondern eine durch Angst demoralisierte Stadt. Es geht um Gewissen, Zivilcourage und um das Verhalten von Menschen, die sich entscheiden müssen. Der Film ist weit mehr psychologisches Drama und Kammerspiel als actionlastige Pferdeoper. Die knisternde Spannung speist sich kaum aus den typischen Westernelementen, sondern vielmehr aus dem inneren Kampf Kanes sowie den Reaktionen der Stadtbewohner. Der eigentliche Showdown läuft dann auch verhältnismäßig zügig ab und zeigt Kane keinesfalls als heroischen Pistolero.

Unbestreitbarer Höhepunkt und Schlüsselszene des Films ist die „Kirchen-Szene".  Kane unterbricht den Gottesdienst und bittet die fast vollständig versammelte Stadtbevölkerung um Hilfe. Zunächst finden sich auch eine Reihe Freiwilliger. Dann ergreift der Bürgermeister - ein Freund des scheidenden Marshalls - das Wort. Die Sache erfordere eine demokratische Diskussion und Abstimmung. Der Antrag wird schließlich in fruchtlosem Hin und Her zerredet. In seinem Schlussplädoyer preist der Bürgermeister in blumigen Worten die enormen Verdienste Kanes für die Stadt, nur um dann dem völlig überraschten Freund die Flucht nahe zu legen. Hadleyville befinde sich im wirtschaftlichen Aufschwung. Unruhen könne man nicht brauchen, sonst würden keinerlei Fördergelder mehr fließen. Egoismus, Opportunismus und politisches Kalkül siegen über Integrität, Gewissen, Würde und Pflichtgefühl.
Diese Szene hat dem Film teilweise den Vorwurf der Demokratie-Kritik eingetragen. Was dabei missverstanden wurde ist, dass hier weniger demokratische Grundprinzipien wie freie Meinungsäußerung sowie gemeinschaftliche Mehrheitsfindung am Pranger stehen, sondern vielmehr das Aufeinanderprallen zweier nicht mehr vereinbarer Gesellschaftsmodelle und Wertesysteme thematisiert wird. Die Frontier-Mentalität hatte sich so gut wie überlebt, an ihre Stelle war eine Übergangsgesellschaft getreten, die nach völlig anderen Maßstäben und Prinzipien funktionierte. Kanes Motive und Werte scheinen veraltet. Man kann diese Entwicklung bedauern, aufzuhalten ist sie zumindest langfristig aber nicht mehr.

Wesentlich plausibler als die vermeintlich antidemokratische Botschaft ist der kritische Kommentar zum gesellschaftspolitischen Klima der USA in den 1950er Jahren. Die Paranoia der vom republikanischen Senator Joseph McCarthy lostgetretenen Kommunistenhatz machte auch vor Hollywood nicht halt. Zahlreiche Filmschaffende landeten vor dem „Ausschuss für die Untersuchung unamerikanischer Umtriebe". Kommunistische Agenten hätten Hollywood ideologisch unterwandert, so McCarthy. Auch Carl Foreman - High Noon- Drehbuchautor - landete auf der Anklagebank und wurde mit einem Berufsverbot belegt. In der Traumfabrik gab es ebenfalls eine Reihe prominenter High Noon-Gegner, die angeführt von John Wayne (in seiner Funktion als Präsident der rechtskonservativen „Alliance for the Preservation of American Ideals") zum Boykott des Films aufrief. Vor diesem Hintergrund kann Zwölf Uhr Mittags durchaus auch als Studie über die kollektive Angst einer Gesellschaft gesehen werden.
Sinnbildlich hiefür ist die Flucht des Friedensrichters  Mettrick (Otto Kruger) aus Hadleyville. Vor dem konsternierten Kane - mit dem er einst Frank Miller auf die Anklagebank brachte - packt er seine Gesetzbücher und die US-Flagge ein. Die Symbolik ist unmissverständlich: die Ideale Amerikas sind außer Kraft, man befindet sich in einem rechtlosen Zustand.

Abgesehen von allen gesellschaftspolitischen Interpretationsmöglichkeiten funktioniert High Noon vor allem als überaus spannendes Psychodrama. Neben dem Drehbuch ist dies hauptsächlich der ausgeklügelten Inszenierung zu verdanken. Visueller Stil und Montage tragen maßgeblich zu der dichten Atmosphäre und dem perfekten Spannungsbogen des Films bei. Es gibt eine Vielzahl formaler, akustischer und optischer Tricks. Zinnemann und Kameramann Floyd Crosby orientierten sich am Wochenschau-Look der 1880er Jahre. Die Schwarz-Weiß-Bilder sind relativ grobkörnig und durch ein flaches Licht bestimmt. Man verwendete praktisch keine Scheinwerfer und Filter. Alles sollte möglichst realistisch und karg wirken. Man kann fast von einem dokumentarischen Stil sprechen.
Ein wesentliches Kriterium ist die Kontinuität von Raum und Zeit. Die Handlung spielt fast ausschließlich in der Stadt Hadleyville. Alles scheint parallel und gleichzeitig abzulaufen. (Dieses enorm spannungsfördernde Echtzeitkonzept verhalf beispielswiese auch der TV-Serie 24 zu ihrem Kultstatus). Aus spannungsdramatischen Gründen wurde die eigentliche Handlungszeit von 105 Minuten auf 85 Minuten (Filmdauer) verkürzt. Ständig sind irgendwelche Uhren zu sehen, die die aktuelle Zeit angeben und gleichzeitig die Handlung strukturieren. Die Szene kurz vor Zwölf Uhr Mittags ist ein Meisterstück der Montagetechnik. Die zum Zerreißen gespannte Atmosphäre kurz vor der Ankunft Frank Millers wird durch ständiges Schneiden zwischen diversen Uhren, Großaufnahmen der Gesichter sämtlicher Protagonisten und den wartenden Banditen am Bahnhof auf die Spitze getrieben. In dieser Sequenz schlagen die Uhren beinahe doppelt so schnell, die Gesichter zeigen den Ausdruck äußerster Anspannung. Dazu arbeitet Filmkomponist Dimitri Tiomkin mit einem treibenden, marschähnlichen Rhythmus. Mit dem Pfeifen des ankommendes Zuges löst sich die Spannung. Auch Kane wirkt nun etwas ruhiger und entschlossener in Erwartung des unausweichlichen Showdowns.

Der alternde Gary Cooper spielt den einsamen Sheriff als lakonischen, teilweise gebrochenen Charakter. Seines gefährlichen Amtes müde, hat er sich für ein ruhiges Landleben mit seiner frisch angetrauten Ehefrau entschieden. Ehre, Pflichtbewusstsein und sein ureigener Moralkodex lassen ihn nochmals zur Waffe greifen, um seine Gemeinde zu beschützen. Wäre sein Nachfolger bereits angekommen, hätte er diese Aufgabe nicht übernommen. Anfangs überzeugt von der Hilfe einer Bürgerwehr, wird er mit zunehmender Dauer immer verzweifelter. Er gesteht (sich) durchaus seine Angst und verfasst auch sein Testament.  Am Ende wirft er den herbeiströmenden Bürgern angewidert und wortlos seinen Sheriffstern vor die Füße. Don Siegel übernahm diese Szene - gegen den Widerstand Clint Eastwoods - für das Ende von Dirty Harry . Das hat High Noon nachträglich den unberechtigten Vorwurf der Propagierung von Selbstjustiz und straffer Law-and-order-Mentalität eingebracht.
Sheriff Will Kane hat wesentlich mehr vom klassischen Noir-Antihelden als vom typischen Western Heroen. Cooper erhielt für sein eindringliches Spiel völlig zu Recht seinen zweiten Oscar. Weitere Trophäen gingen an Schnitt, Filmmusik und Titelsong. Lediglich beim Besten Film verlor er gegen Cecil B. DeMilles The Greatest Show on earth. Im Unterschied zu High Noon ist dieser Film heute allerdings weitestgehend vergessen.

(10/10 Punkten)                                             

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