Review
von Leimbacher-Mario
In Westberlin nichts Neues
„Sonne & Beton“ basiert auf Felix Lobrechts Buchbestseller (den es mittlerweile auch als wunderschöne Graphic Novelle gibt!) und ist jetzt schon nicht weniger als einer der besten deutschen Milieu-, Ghetto- und Jugendfilme - aller Zeiten. Eine Geschichte, gnadenlos authentisch, vielschichtig und mitreißend für die Leinwand umgesetzt, irgendwo zwischen „Juice“, Zeitgemälde, Gesellschaftsgulli, Nostalgieschlag in die Fresse und Aggro Berlin-Musikvideo, für die sich Superlative lohnen. Das sollte der deutsche Kinohit des Jahres werden, keine Frage. In einer fairen Welt zumindest. Die erfrischend echte Betondschungelcollage ist teils Märchen teils Hoodgedichte, teils Berlinballade teils Schmelztiegelsonate. Erzählt wird von vier Berliner Jungs, die zwischen Drogen, Schulschwänzen und Gewalt (durch andere Jugendliche sowie in der Familie) durcheinander dennoch irgendwie Wärme, Hoffnung und Liebe erfahren…
Da ich mich weder für deutsche Comedy noch für Bücher allzu sehr interessiere, war mir Felix Lobrecht und sein „Sonne & Beton“-Phänomen nur peripher ein Begriff. Am ehesten noch durch das erwähnte Comic. Jetzt bin ich froh, dass „seine Geschichte“ auch im Kino große Wellen schlägt. Umso mehr in den Genuss dieser Story kommen desto besser. „Sonne & Beton“ verteilt Schellen und Hugs gleichermaßen, eine brutale sowie herzliche Bestandsaufnahme, die kein Blatt vor den Mund nimmt. Jeder der Anfang der 00er noch unter 18 war wird hier voll auf seine Kosten kommen und etliches wiedererkennen aus dieser schwer greifbaren Epoche. Dazu muss man gar nicht im größten Brennpunkt Deutschlands aufgewachsen sein. Teile davon betrafen alle und jeden in der gesamten Republik. Vom deutschen Rap über familiäre Vernachlässigung bis zu schulischem Chaos und fehlgeschlagener Immigration/Integration, von rassistischen Lehrern über Abstürze beim Vorglühen bis zu Alphajacken. „Sonne & Beton“ definiert „hart aber herzlich“ neu, drückt in Wunden und wirkt dennoch enorm hoffnungsvoll, vergebend, authentisch. Berlin ist dreckig, einzigartig und ein brandheißes Pflaster. Die jungen, komplett unbekannten Darsteller spielen ihre Sache sensationell. Allesamt. S-E-N-S-A-T-I-O-N-E-L-L. Der pumpende Soundtrack ist eine Vinyl wert, in den besten Momenten kommen insgesamt Gedanken an Highlights des deutschen Films aus den letzten Jahren, wie „Tschick“ oder „Victoria“. Alles wirkt impulsiv und nachdenklich zugleich. Eine Art längst überfälliger Anti-„Fack Ju Goethe“. Kritik, Liebesbrief und Mittelfinger. All In One. Ein großartiges Gesamtpaket. Darf man nicht verpassen. Am besten mit den alten Freunden im Kino. Es lohnt sich ungemein und danach gibt’s viel zu quatschen über Details, damals und Deutschland.
Fazit: für Leute, die in dieser Zeit aufgewachsen sind, ein kleines, echtes Wunder. The Real Deal. Aber auch für alle anderen einer der authentischsten und besten deutschen (Coming-of-Age-)Filme seit Ewigkeiten. Ketten raus, Kragen hoch, Herz auf!