Großaufnahmen, Massenszenen, Politik und Popkultur, Gewalt und Unterhaltung, Action und Bombast; eine wilde, sich oft gegenseitig überbietende Mischung aus vielerlei Zutaten, gewohnt für die Einheimischen, gewöhnungsbedürftig für den Rest. Zwei Blockbuster des Jahres 2023 und zwei Hoffnungsschimmer für das zuletzt auch seine Misserfolge und die Anzeichen einer Übersättigung zeigende Kinogeschäft sind ausgerechnet mit dem gleichen Schauspieler und einem sonst gänzlich anderen Drehteam ausgestattet, vielleicht ist doch der Faktor Mensch auch in Indien die eigentliche Zugkraft. Pathaan kam zuerst, und Pathaan hat auch seine Vorgeschichte, es ist der vierte Bestandteil eines vergrößerten 'Universums', einer Spionagewelt, die zuletzt mit War (2019) seinen positiven Anreger und Aufreger hatte und nun vor Tiger 3 (2023) die nächste Dominanz:
Pathaan [ Shah Rukh Khan ], ein 'Research and Analysis Wing' Agent, gründet mit seiner Vorgesetzten Senior Officer Major Nandini Grewal [ Dimple Kapadia ] die noch speziellere Organisation der 'Joint Operations and Covert Research', die ehemaligen bzw. traumatisierten oder auch unschuldig entlassenen Geheimdienstagenten ein Auffangbecken und die Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit für das Land ermöglicht; eher zum Ärger von Colonel Sunil Luthra [ Ashutosh Rana ], welcher aber bald die Dringlichkeit und Nützlichkeit dieser Truppe erfährt. Pathaan selber trifft nämlich bald auf den früheren Kollegen Jim [ John Abraham ], der nach der Entführung von zwei Wissenschaftlern in Dubai und der Kreierung eines mutierten Pockenvirus mehrere Anschläge auf das Land plant, wobei er sich auch der Dr. Rubina "Rubai" Mohsin [ Deepika Padukone ] bedient.
Eine Aufhebungserklärung, eine 'Kriegserklärung', das 'Ende der Diplomatie', der Beginn oder eher die Weiterführung des 'schwierigen' Verhältnisses zwischen Indien und Pakistan, die Himalayaregion Kaschmir. Eine reale Welt und eine Fantasiewelt, ein Verbund mit dem Teufel, Chaos ist gewollt, Ordnung ist nicht gewünscht. Eine Drohung und eine Bedrohung, ein riesiges Waffenaufgebot, gleichzeitig eine Lokalität der Produktion und eine Internationalität, die Bildsprache modern, teilweise die Optik auf höchstem Niveau. Die Inszenierung wie ein Dschinn aus der Hölle, ein VIP-Bereich mit Sonderbehandlung, im Gestus reichlich auf Anschlag bis deutlich übertrieben gezeichnet, die Pose ist wichtig, der Showeffekt entscheidend.
Eine Befreiungsaktion in Afrika ist dabei eher mit allem ausgestattet, was man heutzutage nicht mehr haben möchte und nicht mehr benötigt, deutlich unnatürliche Körperbewegungen, Trickeffekte bei Explosionen oder dem Abfeuern von Waffen, schnell wird eine Übermenschlichkeit beim Titelhelden, dem Protagonisten erzeugt, die Gegner sind nicht ernstzunehmend, sondern bloß Pappkameraden. Tod oder Verletzung werden rein zum Entertainment, es steckt wenig eigenes Können hinter den Aktionen und Reaktionen, sondern es wird ständig nachgeholfen. Das ist Comic und unfreiwillige Komik, das Publikum hat diese Künstlichkeit mitgetragen, es wurde nicht davon gestört.
Die Dialogarbeit ist mäßig, im Inhalt des Gesagten, auch in der Art und Weise (viel Mischmasch aus Hindi und Englisch), die Dramaturgie baut auf eine Vorgeschichte, die erst noch erzählt werden muss, also wird mit achtzigminütigen Rückblenden gearbeitet und mit verbalen Darstellungen des Früheren, nicht auf der Prämisse aufgebaut, sondern diese erst vorgestellt. Gefangen zwischen einer Hollywoodisierung, einer Marvellisierung und einer Banalisierung wird die Geschichte aufgezogen, geheime Spionageeinheiten, Fragestellungen von Zweckmäßigkeit und Loyalität, der Unterschied vom Machen und Tun gegenüber dem Sagen und Diskutieren; all das wird zusammengewürfelt und vorgetragen, wirkt aber oft nur wie abgeschrieben und selten als frisch präsentiert.
Durchschaubare Rückprojektionen, schwingende Kameraeinstellungen, kräftige Farben, ein explosiver Angriff in Dubai, sich überschlagende Autos (auf menschenleeren Straßen), visuell und musikalisch stets überhöht, eine Tapferkeitsmedaille für Patriotismus, eine Regie mit scheinbar vielen Trümpfen, aber oft nur Bluffs. Als Actionkino viel zu oft ein Greenscreen-Inferno, eine Ansammlung anderer Ideen auch, eine bunte Flut von Bildern, die man schon gesehen hat und gemeint hat zu sehen, ein großes Déjà-vu von Szenen, obwohl die alle neu kreiert wurden, und dennoch nichts Kreatives daran ist. Es gibt Rückblenden in der Rückblende, es gibt weitere Ammenmärchen, alles ist berechnet und berechnend, dann geht es nach Spanien und in den Musikclip.
In der mehrminütigen Kurzfassung kann das seine Lichtblicke und Höhepunkte haben, seine Sehenswürdigkeiten, der Aufwand durch Regisseur und Autor Siddharth Anand ist auch deutlich da, der Wille, aber nicht das Wissen, in zweieinhalb Stunden stumpft es nur noch ab, trotz vieler Postkartenaufnahmen und vielversprechende Standbilder. Die Geschichte ist simpel und dennoch doppelt und spiegelt sich, sie ist lautmalerisch und breitbeinig, Russland ist hier noch Freund und Verbündeter, also wird nach einer bleireichen Flucht weiter gereist nach Moskau, die nächste Panoramaansicht präsentiert. Raus aus dem aufgesetzten Spionagekram und rein in den Heist, ein wenig Flirterei, eine Zusammenarbeit zwischen Mann und Frau, ein simples Verhältnis, nicht die jeder Hinsicht mehrdeutige Bromance noch bei War. Körperkult und Verführung ist hier natürlich auch vorhanden, Khan wirkt hier zuweilen unter der Würde, wie als Marionette, als Schaustück, die Weltgeschichte wie alles Andere nur als Vorwand, ein mutierter Bond, einer wie Stirb an einem anderen Tag, später ein Mission Imposible II Verschnitt.
So ab der Mitte, bei einem Zweikampf in einem russischen Gefängniszug und dem dortigen Gastauftritt von Salman Khan – (Tiger VS Pantaan ist für 2025 angesetzt; nach War 2 für 2024) –, kommt das erste Mal das Gefühl der Möglichkeiten auf, die sonst bislang nicht genutzt wurden oder verkannt. Da ist auch etwas Selbstironie vorhanden; wobei das schon eher zur Parodie gehört, hier aber nicht stört. Was dann noch kommt, ist u.a. eine Schießerei im geheimen Labor, eine motorisierte Jagd durch schneebedeckte Berglandschaften, und eine 'Schlittenfahrt' auf einem zugefrorenen See, und in Afghanistan ein Feuerwerk.