Grieselgruselexperiment
„Skinamarink“ ist einer der Horrorhypes des Jahres - und gleichzeitig einer der experimentelleren Titel aller Zeiten, die das je geschafft haben. Eine erstaunliche Entwicklung und Kombination. Denn ich kann mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass das Gro an Genrefans geschweige denn „normalen“ Zuschauern diese fiese Collage auch nur ansatzweise gutheißen kann. Selbst auf dem diesjährigen Fantasy Filmfest gab es etliche Stöhner, Zwischenkommentare und Walkouts. Klar, dort wird Fun und Splatter von Haus aus und je her am ehesten gefeiert. Dennoch war es überraschend diese Ratlosigkeit, Wut bis Überforderung im Publikum mitzuerleben. Aber jeden, der den Kurzfilm „Heck“ desselben Machers, derselben Art und mit nahezu demselben Grundgerüst gesehen hat, wird selbst das nicht überraschen. Das liegt alles näher an einer gruseligen Geduldsprobe und Kunstausstellung als an einem klassischen Horrorfilm. Das ist höchst polarisierend und minimalistisch, düster und andersartig, fast andersweltlich. Und gerade deswegen meiner Meinung nach dermaßen beachtenswert. Artsyfartsy mögen andere sagen. Erzählt wird in groben Zügen von zwei Kindern, die nachts im Dunkeln aufwachen und nicht mehr aus der Wohnung können, alle Fenster und Türen sind weg, die Eltern nahezu ebenso - und irgendwann ertönt eine verzerrte Stimme und will spielen…
Natürlich evoziert „Skinamarink“ ein Gefühl der Dunkelheit, der Einsamkeit, von Alpträumen und vielleicht sogar des Todes. Wie eine gefährliche, untergründige Leere, die alles auffrisst. Vorahnung und Vergangenes. Von fehlenden Eltern und endgültigen Fehlern. Von den Monstern im Schatten, die man aber nicht sieht und die man sich auch gänzlich einbilden könnte. Vom Gefühl des kindlichen Aufwachens und Alleinseins in einer stillen, pechschwarzen Nacht. Es gibt Gefühle des Verlusts, der rottenden Krankheit und des aushüllenden, gar nicht so unschuldigen Kinderprogramms. Blicke unter das Bett, verkehrte Welt, Eltern ohne Hilfe, Schwestern ohne Gesichtszüge. Schweigen auf essenzielle Fragen. Tiefes Nichts, das zurückstarrt. Man weiß es genau, man kann nichts dagegen machen. Dagegen wirkt „Blair Witch Project“ wie klassisches Filmemachen und Geschichtenerzählen. Das ist Panik in Schneckentempo, das ist Schreien ohne Mund. Jenseits von Eden. Zwischen den Sphären. Unter dem Bett, nicht nur der Blick dahin. Das ist Zeitverlust, Limbo ohne Boden, das ist Hölle ohne Ende, Traum ohne Wände. Selten fielen Augenlidern geschmeidiger zu während dennoch die Handflächen leicht nass wurden in manchen Sequenzen. Schnarchen im Saal. Funktioniert allein im Bett au'm Handy vielleicht eh besser. Einer der wenigen Filme, von denen ich das behaupten würde. Unterkühlt und ausweglos in mehrerlei Hinsicht. Das ist eine mega Idee und absolut heftige, strikte und sture Umsetzung des Konzepts. Aber jetzt kommt eben das riesige Problem mit „Skinamarink“: all das, passiert in MEINEM Kopf, Herz, in meiner Seele. Und für vieles davon gibt es sehr, sehr wenige Anhaltspunkte auf der Leinwand. Und wenn man sich all das selbst ausmalen muss, dann fehlt es vielen eben an Farben. Oder andersrum: gibt Kyle Edward Ball's Regiedebüt einem eben sehr wenige Stifte an die Hand. Zu wenige. Dennoch: herausragend auf seine eigene, künstlerische Weise.
Fazit: einer der experimentellsten, konsequentesten und mutigsten Horrorfilme seit langem. Weniger Mainstream geht kaum, fordernder geht kaum, alptraumhafter geht kaum. Wenn man sich darauf einlässt. Dennoch funktioniert sein Kurzfilm „Heck“ besser und wirkt weniger in die Länge gezogen, anstrengend, zäh. Trotzdem: „Skinamarink“ bringt eine absolut frische Stimme in den Horrorzirkus und ist mir zehnmal lieber als der fünfzehnten Film aus dem „Conjuring“-Universum.