Review

„Ist ja widerlich…“

In der 69. Episode der DDR-Fernsehkrimireihe „Polizeiruf 110“ ermittelt Hauptmann Peter Fuchs (Peter Borgelt) in seinem bereits 43. Fall, bekommt mit Oberleutnant Manfred Bergmann (Jürgen Zartmann, „Rotfuchs“) aber einen jungen Debütanten zur Seite gestellt, der insgesamt an lediglich vier Fällen beteiligt sein sollte. Das Buch zu „Der Teufel hat den Schnaps gemacht“ stammt von Manfred Mosblech, der auch höchstpersönlich die Inszenierung übernahm – sein bis dahin neunter „Polizeiruf“. Dieser wurde von April bis Juni 1980 in Potsdam und Berlin gedreht, am 18. Januar 1981 erstausgestrahlt und zählt zu den aus der Masse der DDR-„Polizeiruf 110“-Filme hervorstechenden Arbeiten.

„Das ist unvorstellbar!“

Theo Lute (Ulrich Thein, „Der Direktor“), Betreiber einer Autowerkstatt, ist zum Alkoholiker geworden, nachdem er seinen einzigen Sohn bei einem tragischen Autounfall verloren hat, an dem er seiner Frau (Annekathrin Bürger, „Verwirrung der Liebe“) die Schuld gibt. Entsprechend zerrüttet ist seine Ehe, die mittlerweile nicht mehr als eine Zweckgemeinschaft darstellt und in der Theos Frau co-abhängig geworden ist. Eines Morgens tritt er nicht zur Arbeit in seinem Betrieb an, sondern ist verschwunden. In einer Mischung aus Geständnisschrieb und Abschiedsbrief räumt er ein, jemanden umgebracht zu haben, und deshalb nicht mehr leben zu wollen. Seine Frau alarmiert die Polizei, woraufhin sich Oberleutnant Bergmann auf die Suche nach Theo Lute macht. Dieser möchte sich an einem Baum im Stadtwald aufknüpfen, bringt dies aber nicht fertig und besorgt sich stattdessen zwei Flaschen Schnaps, um sich einmal mehr bis zur Besinnungslosigkeit zu betrinken. Wird es der Polizei gelingen, ihn rechtzeitig zu finden, bevor er sich möglicherweise doch noch etwas antut? Wer ist sein Opfer – und wie kam es zu dessen Tod…?

„Der sieht ja aus wie tot!“ – „Nein, wie ein Alkoholkranker.“

Anhand dieses exemplarischen Einzelschicksals (an dem indes einiges weitere dranhängen) greift dieser „Polizeiruf“ die – hüben wie drüben – Volksdroge Nummer eins, den Alkohol, auf (in Ermangelung anderer Drogen quasi auch die einzige in der DDR). Es geht um Alkoholismus, dessen Gründe – und mögliche schwerwiegende Folgen nicht nur für sich selbst, sondern auch für andere. Damit wurde er seinerzeit zu einer der meistdiskutierten „Polizeiruf“-Episoden.

„Alles, was ich trinke, trinkst du nicht!“

Eine überraschend stylisches Schlafzimmer: Theo kann nicht schlafen, trinkt abends und auch bereits wieder in aller Herrgottsfrühe. Als er sich aus dem Staub macht, gefährdet er andere im Straßenverkehr. Während er in der Natur umherstreift (wo sich u.a. ein FKK-Pärchen aufhält), wird sein Brief gefunden. Der mit einem gewissen spitzbübischen Charme eingeführte, Alltagsflirts nicht abgeneigte Bergmann befragt Theos Frau und anschließend dessen Freund Eugen Zoch (Ezard Haußmann, „Brandstellen“), einen privilegierten Lebemann, zu dessen Datsche Theo gern mal einen Wochenendausflug ohne seine Frau unternahm, um mit ihm zu feiern und sich heillos zu betrinken. Aus den Befragungen, die Bergmann führt, ergeben sich Informationen zu Theos Leben, den Zustand seiner Ehe und das unbewältigte Verlusttrauma aufgrund des tödlich verunfallten Sohns.

„Wenn Engel reisen, lacht die Sonne!“

Hauptmann Fuchs als das Aushängeschild der Reihe kommt erst ins Spiel, als nach Theo gefahndet, aber zunächst lediglich sein Abschleppseil gefunden wird. Zugleich wird eine Hilde (Hildegard Alex, „Marta, Martia“) vermisst, was in zu Beginn noch nicht so recht einzuordnenden Parallelhandlungsszenen angesprochen wird, nach und nach aber mit Theo in Verbindung gebracht wird. Ist sie diejenige, die Theo auf dem Gewissen hat? Als ein See abgesucht wird, wird tatsächlich ihr Leichnam gefunden. Seine Spannung bezieht der Fall zunehmend aus der Frage, was zum Teufel (der den Schnaps gemacht hat) sich denn nun überhaupt zugetragen hat. Eine ausgedehnte Rückblende dröselt schließlich alles auf, ohne dabei die Dramaturgie zu vernachlässigen, im Gegenteil: Überwog in der ersten Hälfte dieses Kriminaldramas noch die höchst eindringlich und beeindruckend von Ulrich Thein gespielte Darstellung Theos als tragische Alkoholikergestalt zwischen halbnüchtern und Vollsuff, bietet die zweite Hälfte Suspense in Reinkultur, bei der man zwischen Mitleid mit Theo und Abscheu vor ihm schwankt, als hätte man selbst schon mehr als ordentlich einen intus. Zoch zeigt man uns nackt unter der Gartendusche, den tödlichen Gewaltakt jedoch nicht. Dafür aber sein Entstehen und seine Konsequenzen sowie, zumindest im Groben, die Verhandlung der Schuldfrage. Klar ist nämlich, dass Theo bei nüchternem Verstand wohl kaum zu dieser Gräueltat fähig gewesen wäre, er sich aber mindestens vorsätzlich betrunken hat.

Fuchs erweist sich in dieser Frage als strenge Autoritätsperson, die Theo eindeutig die Schuld zuspricht, aber – und das ist der entscheidende Fingerzeig an die DDR-Gesellschaft – auch Zoch eine mindestens moralische Mitschuld zuspricht und damit stellvertretend auch all jene meint, die nicht nur teilnahmslos dabei zugesehen haben, wie Theo Lute sich zugrunde richtete, sondern ihn sogar weiter mit Hochprozentigem versorgten, selbst wenn er sich offensichtlich in einem höchst verzweifelten Zustand befand und mangels Liquidität sogar schon mit seiner Armbanduhr bezahlen musste (wie in einer besonders memorablen Szene). Und damit es nicht nur um den Täter und dessen Umfeld geht, landen wir auch immer wieder bei der toten Hilde bzw. vielmehr dem, was von ihrer Familie übrig ist, u.a. nämlich ein Kind, das nun ohne Mutter aufwachsen muss. Entsprechend nachdenklich stimmt das Ende.

Sicherlich ist man heutzutage in der Suchtforschung, in der Psychologie und vielem anderen, was mit diesem und ähnlichen Phänomenen zusammenhängt, weiter als zu Zeiten dieses „Polizeirufs“. Dennoch ist er nach wie vor unbedingt sehenswert, lässt sich doch mühelos nachvollziehen, welch Wirkung er in seinem schonungslosen Realismus auf sein Publikum gehabt haben muss. Hierzu bei tragen die schauspielerischen Leistungen insbesondere Ulrich Theins, dessen Szenen mit düsteren Streichern unterlegt werden, aber auch Ezard Haußmanns, der die Auftritte seiner Figur Eugen Zochs regelrecht zelebriert und in seiner überschwänglichen, letztlich aber unangenehm egozentrischen Lebenslust einen starken Kontrast zur traurigen Gestalt seines Freunds Theo bildet. Unabhängig davon, welches juristische Nachspiel eventuell noch auf Zoch zukommt, erhält auch er seine Strafe, indem seine Frau (Regina Beyer, „Klärchen in Egmont“) die Spiele nicht mehr mitmachen will und ihm den Laufpass gibt, sodass er am Schluss eigentlich niemanden mehr hat.

So greift hier ein Rädchen ins andere wie in einer verheerenden Kettenreaktion, ohne dass vermeintlich einfache Lösungen zur nüchtern-sozialistischen Volkserziehung präsentiert würden. Großes DDR-Fernsehen und in jedem Falle – trotz (oder gerade wegen?) einer gerade aus heutiger Perspektive hier abseits des Alkoholmissbrauchs und dessen Folgen anheimelnd gemütlich erscheinenden DDR – auch Wessi-kompatibel!

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